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Es ist schwierig. Aber wie schwierig? Schwierig genug? Schwierig…

Videospiele sind zwar ein verwandtes Medium, haben aber eine andere Diskussionskultur als Brettspiele. Das liegt natürlich auch an der Verbreitung: Es spielen deutlich mehr Leute Videospiele als Brettspiele, damit gibt es auch mehr Umsatz, damit gibt es auch mehr Bedarf an Content und Diskussionen. Auf der anderen Seite ist die gewachsene Computerspiel/Nerdkultur bisweiligen, hm, schwierig. Manchmal ist man dann doch recht glücklich, dass es bestimmte Phänomene im Brettspielbereich nicht oder zumindest nicht in dem Ausmaß gibt.

Dennoch ist es immer mal interessant, Diskussionen im Videospielbereich anzusehen und auf die Brettspielszene zu übertragen. So gab es in den letzten Jahren eine Dauerdiskussion zum Thema Schwierigkeitsgrad von Computerspielen: Soll man den Schwierigkeitsgrad anpassen können? Sollte es besondere Belohnungen (etwa Cutszenes oder auch anderes Equipment) für diejenigen geben, die ein Spiel auch auf den höheren Stufen schaffen? Ist es selbstironisch wenn sich ein Spiel wie Wolfenstein über diejenigen lustig macht, die den einfachsten Schwierigkeitsgrad wählen oder ist das nur Gatekeeping? Auf der einen Seite standen diejenigen, die sich durch ihre Leitung beim Spielen eines Computerspieles definieren, auf der anderen Seite diejenigen, die eher Casual Gamers denen Zeit und/oder Geschicklichkeit fehlen um ein Spiel zu meistern, aber dennoch alles sehen zu wollen. Es ist keine Überraschung, dass letzteres die sympathischeren Leute sind, die verstanden haben, dass Spiele durchaus für alle sein sollten und das es niemanden etwas angeht, woraus ich meinen Spaß beziehe – und das ich niemanden etwas wegnehme, wenn ich ein Spiel auf einfachstem Niveau durchspiele.

Im Brettspielbereich finden wir diese Diskussion nicht, das zugrunde liegende Dilemma aber am ehesten in Rätsel- und kooperativen Spielen. Allerdings ist bei letzteren die Frage eher eine andere: Wie schwierig sollte ein kooperatives Spiel sein, damit es nicht frustriert, aber genug fordert, dass man nicht das Gefühl hat, es wäre „gelöst“ und damit nicht mehr motivierend. Das ist ein bisschen eine andere Fragestellung, eher vergleichbar mit der Frage, wie ein komplexes Spiel aufgebaut werden sollte, dass die ersten Partien dazu motivieren, sich weiter zu verbessern. Die Konnotation des „Ich habe etwas geleistet, auf das ich stolz sein kann“ fehlt hier weitestgehend.

Im Rätselspielebereich, insbesondere bei den Escape Games, findet man dagegen durchaus eine Entsprechung. Das ist nicht weiter überraschend, denn schließlich sind die Escape Room-Spiele Nachkommen von Computerspielen: Die ersten Escape Rooms waren Browserbasiert und quasi „Mini Adventure games“ mit spezifischer Aufgabenstellung. Irgendwann kam eine japanische Firma auf die Idee die -insbesondere in Japan beliebten – Browserspiele als Echtes Erlebnis nachzubauen – die „Real Escape Games“. Daraus wiederrum sind dann die Escape-Room-Spiele entstanden, die in der ersten Generation zum Teil sogar mit „Der Live Escape Room für zu Hause“ beworben wurde. Mittlerweile wird dieser Spruch für die Live Escape-Rooms verwendet, die wegen Corona ihre Räume entsprechend angepasst ins Internet gestellt haben. Damit hat sich der Kreis geschlossen.

Anders als die Browserbasierten Escape Rooms, brauchten die Live Versionen ein Zeitlimit, damit eine langsame Gruppe nicht den Zeitplan des Tages sprengen würden. Damit Gruppen aber nun nicht frustriert werden (und auch aus Sicherheitsgründen) werden die Gruppen von einer Betreuungsperson unterstützt – „hängt“ die Gruppe bekommt sie Tipps (sie kann natürlich auch darauf verzichten und riskieren, den Raum ungelöst verlassen zu müssen). Beide Elemente – Zeitlimit und Tipps – haben es auch in die „Heimversionen“ geschafft. Aber warum eigentlich?

Prinzipiell gibt es kein Grund für ein Zeitlimit. Wenn ich die Lösung nicht innerhalb des Zeitlimits löse, passiert ja nichts, was mich daran hindern würde, einfach weiterzuspielen – es gibt ja keinen Selbstzerstörungsmechanismus oder so. Im Gegenteil: Wenn ich von vorne anfangen müsste, wäre das nur alberne Bürokratie – ich kenne ja die Lösungen der bereits gelösten Rätsel und es gibt weder Grund noch Möglichkeit irgendetwas anders zu machen. Insofern spielt man einfach weiter – viel Spannung wird durch das Zeitlimit nicht erzeugt, weil es keinen echten Nachteil gibt, dieses zu überschreiten. Also wurde – so die Designlogik – eine Punktwertung eingeführt, um schnelles Spiel zu belohnen.

Hilfen in einem Rätselspiel machen absolut sinn. Hänge ich fest, komme ich partout nicht weiter, ist das frustrierend. Ohne Hilfe kann ich das Spiel nur einpacken und hoffen irgendwann vielleicht doch auf die Lösung zu kommen und das Spiel wieder anzufassen. Das geschieht aber in der Praxis nicht, zumal es in praktisch jedem Escape Room -ob virtuell, „live“ oder auf dem Spieltisch – bessere und weiter her geholte Rätsel gibt. Gerade wenn man auf der richtigen Spur ist, aber die letzte Verkomplizierung nicht mitbekommt, hängt man fest (und natürlich gibt es auch mal Rätsel wo man einfach keine Ahnung hat, um was es eigentlich gehen soll). Eine gute Hilfestellung lässt alles im vertretbaren Rahmen laufen und sorgt dafür, dass die Spieler nicht gefrustet sind. Sie läuft aber auch dem Zeitlimit entgegen. Wenn es als große Leistung gilt, ein Spiel möglichst schnell zu durchschauen, dann kann ich diese Leistung dadurch erreichen, dass ich die Hilfefunktion häufiger nutze. Eigentlich ist es die größere Leistung ein Spiel ohne Hilfesysteme durchzuspielen als dies möglichst schnell zu tun. Rein aus Wertungssicht müssen daher beide Kategorien berücksichtigt werden. Ergo: Es gibt Strafen für die Verwendung des Hilfesystem (an dieser Stelle die Anmerkung, dass dies natürlich nicht für alle Systeme gilt. Escape Room- The Game etwa hat ein Automatische Hilfesystem, dass zwar oft als „zu unspezifisch“ kritisiert wurde, aber tatsächlich genau dem Hilfesystem eines live Escape Roomes entspricht).

Das aber wiedderum verkehrt den Sinn des Hilfesystems ins Gegenteil: Statt einer Hilfe ist es jetzt mit einer Strafe verbunden: Nutzen bedeutet Punktabzug. In der ersten (schnell geänderten) Version von Unlock war die Strafe sogar drakonisch: Einmal nachschlagen bedeutete damals fast vollständigen Punktverlust. In der Form erzeugt das System Frust – insbesondere wenn es gar nicht helfen kann, z.B. weil die Tipps nicht zielführend oder unverständlich sind oder weil das Rätsel noch gar nicht gelöst werden kann, weil noch nicht alles notwendige entdeckt wurde. Durch die Koppelung an ein Punktesystem wird die Hilfe nicht genutzt, um Frust zu vermeiden, sondern nur um noch größeren Frust zu vermeiden.

Der Denkfehler liegt m.E. hier darin, die abschließende Wertung als das Wesentliche eines Escape Rooms wahrzunehmen. Ähnlich wie bei den oben erwähnteb Computerspielen ist die Idee, dass man auf seine Leistung am Ende stolz sein kann (oder auh nicht); dass man eine Prüfung abgelegt und mehr oder minder gut bestanden hat. Nun müsste ich lügen, wenn ich behaupten würde, ich würde nicht stolz darüber empfinden, ein Rätselspiel mit maximaler Punktzahl und/oder guter Zeit bestanden zu haben. Aber dieser Effekt ist allemals ein kleines Bonbon am Ende – ein Bonbon wohlgemert, dass ich in vielen Escape-Spielen nur zu selten gereicht bekomme. Viel stärker wirken oft die negativen Gefühle Frust und Ärger über als blöd empfundene Rätsel. Der Grund ist einfach: Das Wesentliche bei Escape Rooms ist nicht die Belohnung am Ende, sondern der Weg dahin: Das Rätseln, das sich darüber Austauschen, vielleicht auch das Erleben der Geschichte (falls es eine gibt) und vor allem das Gefühl ein Rätsel gemeistert zu haben – und sei es mit kleinen oder mittleren Einhilfen – nicht umsonst verzichten Broswerbasierte Escape-Rooms auf Punktewertungen aller Art. Ich stehe bei einem Escape Room mit niemanden im Wettstreit – und schon gar nicht mit Leuten, die gar nicht mit am Tisch sitzen und die ich im Zweifelsfall gar nicht kenne. Deswegen geht es auch niemanden etwas an, ob ich drei Hilfen brauchte oder Zehn oder Null. Das möchte ich -ohne Druck und Strafen! – bitteschön selbst entscheiden. Eine Punktwertung in einem Rätselspiel ist schlicht überflüssig – und damit sind wir bei der obigen Diskussion über Computerspiele. Content und Belohnungen für Leute, die körperlich, geistig und nicht zuletzt auch finanziell in der Lage sind, ein Spiel oft und gut genug zu spielen, um auf höchstem Niveau bestehen zu können ist eine Form von Gatekeeping. Und ein System, dass mir jedes Mal auf die Finger haut, weil ich das Abenteuer vielleicht doch von 23.00 noch beenden möchte, weil ich ohne neue Brille die kryptsichen Zeichen nicht mehr gut genug erkenne oder weil ich schlicht zu blöd bin die Überlegungen des Rätseldesigners nachzuvollziehen, erfüllt nicht nur seinen Zweck für Unterhaltung zu sorgen nicht, sondern ist es am Ende des Tages ebenso.

ciao

peer

P.S. Die Escape Tales haben kein Zeitlimit und ein vorbildhaftes, straffreies Hilfesystem. Leider gibt es dennoch eine „Wertung“, die zudem völlig von willkürlichen Entscheidungen abhängig ist und sogar zum vorzeitigen Spielabbruch führen kann. Offensichtlich konnten sich die Autoren nicht ganz vom Leistungsgedanken freimachen.

 

Peer Sylvester
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