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Dies ist der Titel des Artikels, welcher vor dem Artikel selbst steht und vermittelt worum es im Artikel geht

Wer in der Schule ein Lieblingsfach hatte weiß, dass es ein schönes Gefühl ist, etwas richtig verstanden zu haben. So manche Brettspiele sind auch deshalb so reizvoll, weil sie Spielenden neue Probleme stellen, die es zu begreifen und zu lösen gilt. Wer jedoch auch komplizierte und unverständliche Hassfächer hatte, versteht vielleicht auch warum Regelwerke viele Menschen am spielen hindern.

Neulich habe ich ein Spiel an Hand seiner Online-Implementation erlernt. Dabei habe ich weder das digitale Regelheft studiert, noch Videos geschaut oder mich durch ein Tutorial gehangelt. Wie zu Beginn meiner intensiveren Beschäftigung mit Spielen habe ich mir mein Wissen in der (digitalen) Spielpraxis angeeignet. Vielleicht hat es gerade deshalb so gut geklappt. Viele meiner Regelfragen entfielen allein dadurch, dass mir das Interface einzelne Aktion einfach nicht ermöglichte. Einzelne Karten konnten nur zu bestimmten Phasen ausgewählt werden; Spielemarker nur auf bestimmte Orte gesetzt usw.

So zu experimentieren war für mich so lehrreich wie unterhaltsam. Ich erlernte die Regeln während ich das Spiel benutzte. Das war verständlicher als der verklausulierte Text und weniger ermüdend als ein Video zu schauen.

Nach dieser positiven Erfahrung kaufte ich mir das Spiel und versuchte den normalen Weg zum Regelverständnis zu gehen: ich las die Spielregeln. Obwohl ich das Spiel in seinen Grundzügen bereits verstanden hatte, musste ich das Heft nach den ersten zwei Seiten weglegen. Die auf Sorgfältigkeit und höchste Eindeutigkeit formulierten Regeln nahmen mir jede Lust auf Lesen, Lernen oder gar Spielen.

Als jemand der sich seit Jahren intensiv mit Spielen beschäftigt, kann ich mir nur ausmalen wie diese Spielregel auf Leute ohne diesen Hintergrund wirkt. „Expertenspiele“, mag der eine oder andere hier einwerfen, sind doch auch nicht für Einsteiger gedacht. Diesen fehlt es an Leidenschaft; sie haben eine viel zu kurze Aufmerksamkeitsspanne und überhaupt Angst mit komplexen Spiele in Berührung zu kommen. In Vielspieler-Kreisen gilt das als selbstverständliche und fast unumstößliche Wahrheit. Aber ich denke diese Erklärungen tun Menschen mit geringer Spielerfahrung Unrecht.

Wenn es um Zugänglichkeit geht werden Spielregeln (und Spiele) meiner Meinung nach falsch angegangen. Unter Vielspielenden ist es üblich, Regeln zum eigenen Vorteil zu deuten, zu beugen und auszulegen. Für diese Zielgruppe ist es daher auch zwingend nötig ein Regelwerk beizulegen, welches Fragen klar beantwortet und dient um Argumente zweifelsfrei in richtig oder falsch einzuteilen. Das Ergebnis sind Regeltexte, die quasi als Gesetze am Spieltisch dienen müssen. Was bei den Interessierten ohne große Spielerfahrung jedoch ankommt ist, dass man ohne juristische Fortbildung den Ablauf sog. „Expertenspiel“ nur mit großer Mühe begreifen kann.

Aber um gerade diese Menschen doch noch ans Spielen zu bringen, wird nun an Spieltiefe eingespart. So landet man oft bei seichten und belanglosen Spielen für die „Familie“ und anspruchsvollen Spiele für Regelfuchser und Paragraphenreiter.

Das kürzlich erworbene „Expertenspiel“ habe ich dann mit wenigen Sätzen einem Grundschüler vermitteln können. Seitdem spielen wir das alle paar Tage. Denn trotz der sprachlichen Verständnishürde des Regeltextes sind die Kerne des Spiels recht schnell erklärt und verstanden. Es ist durch einfache praktische Anwendung auch von Kindern schnell verinnerlicht.

Gelungene Online-Umsetzungen von Spielen zeigen eine Alternative auf, wie Spiele besser erklärt werden können. Sie legen zumindest nahe, dass die derzeitige Form von Regelwerken noch nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann.

Aktionsbasierende Anleitungen oder auch Regelwerke, welche nicht mit Blick auf den Wettbewerb auf höchstem Niveau verfasst werden, könnten ein wichtiger Schritt sein. Den Spielaufbau über Bilder statt über Text zu erklären ist in manchen Fällen vielleicht effektiver. Statt detaillierter Erläuterung der Siegbedingungen, könnten zentrale Spielmechanismen stehen, die es zu begreifen gilt. Man könnte Spielenden ausdrücklich Raum zum Experimentieren einräumen, damit diese sich die Logik der Spielelemente aneignen können.

Denn gerade wenn es darum geht Zusammenhänge zu vermitteln, wird auf Setting, Grafik und kohärente Symbolsprache zurückgegriffen. Dabei sind Menschen durchaus in der Lage sich abstrakte Verknüpfungen durch Beobachtung zu erschließen. Da hilft es sehr, wenn die Anweisungen im Heft nicht mit der Logik einer Mikrowellen-Anleitung von 1989 geschrieben wurden.

Georgios Panagiotidis
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