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Maps of Misterra

Autoren: Mathieu Bossu, Timothee Decroix & Thomas Cariate
Verlag: Sit Down / Huch
für 1 – 4 Spieler*innen
ab 10 Jahren
Dauer: 45 Minuten

Es ist schwer Maps of Misterra spielerisch in den Griff zu bekommen. Irgendwie scheint es zwischen den Stühlen zu sitzen. Auf der einen Seite erinnert die Kombination aus gemeinsamen Spielplan und individuellem Spielplan an den 15. beeple Award-Gewinner „Remember Our Trip“. Gleichzeitig ist die Dynamik zwischen den beiden Plänen und vor allem zwischen den Spieler*innen eine andere. Es fällt schwer einen gedanklichen Rahmen um das Ganze zu setzen, wodurch Maps of Misterra gelegentlich den Vorwurf weckt, es wäre unthematisch. Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig.

Maps of Misterra ist im weitesten und auch im nahesten Sinne ein Legespiel. Jede Runde nimmt man sich ein längliches Kärtchen, aufgeteilt wie ein Domino-Stein, und legt es auf den eigenen Spielplan. Anschließend bildet man das so eben gelegte Kärtchen auf dem gemeinsamen Spielplan ab. Hat man etwa ein Kärtchen mit einem Waldsymbol und einem Bergsymbol gelegt, so platziert man an der entsprechenden Stelle auf dem gemeinsamen Spielplan ein Waldplättchen und ein Bergplättchen. Das ist noch recht einfach gehalten. Die erste Hürde ergibt sich daraus, dass man sein Kärtchen nur angrenzend an das Feld platzieren kann, welches zu dem Feld gehört auf dem die eigene Figur auf dem gemeinsamen Spielplan steht. Dieser unsichtbare Faden zwischen dem gemeinsamen Spielplan und dem individuellen Spielplan sorgt überraschenderweise in den ersten Runden für einiges an Verwirrung. Manchmal legt man ein Kärtchen auf den gemeinsamen Spielplan, obwohl sowohl Größe als auch Illustrationen nicht zusammenpassen. Oder man platziert das Kärtchen an eine Position, die die eigene Spielfigur auf dem gemeinsamen Spielplan nicht erreichen kann. Dieses gedankliche Hin und Her lässt sich aber oft dadurch vereinfachen, in dem man den gemeinsamen Spielplan als „Insel“ bezeichnet und den eigenen Spielplan als „Karte“. Die Anleitung spricht hier von „Inselplan“ und „Pergament-Tableau“. Es sind zwei sehr unpraktische Begriffe, um sie am Spieltisch regelmäßig zu nutzen. Das hemmt nicht nur das eingängige Spielverständnis, sondern auch den Spielfluss. Vor allem fühlt sich die thematische Einkleidung dadurch noch fremder an.

Die ersten Entdeckungen auf der Insel sind noch umstritten

Aufbauend auf dieser spielerischen Kerninteraktion gibt es sowohl Regeln, welche die Bewegung der eigenen Spielfigur auf der „Insel“ betreffen, als auch die Abweichungen zwischen „Insel“ und „Karte“ betreffen. Manche Plättchen auf der „Insel“ verändern sich im Laufe des Spiels mehrmals und verbauen oder erschließen mehr Bewegungsmöglichkeiten für unsere Figur. Manche Plättchen werden jedoch fixiert und verändern ihre Landschaftsart nicht mehr. Dieses Zusammenspiel zieht in den meisten Gruppen viel Aufmerksamkeit auf sich. Schnell werden regelmäßig wechselnde Landschaften mit Kommentaren gespickt: „Ich muss sie leider darauf hinweisen, dass dieser See nur ein kleiner Teich auf einem Berg war.“ „Werter Kollege, sie täuschen sich. Der Berg war lediglich ein Hügel in einem Wald.“ „Ich muss sie beide korrigieren, der Wald war nur ein paar Büsche in der Steppe.“ (etc. ad nauseum). Das sorgt zwar für einiges an Heiterkeit am Spieltisch, aber fügt sich selten nahtlos in das Thema das Spiels und damit auch in die Zielsetzung des Spiels ein.

Diese Zielsetzung, wenn man sie zumindest davon ableiten möchte wofür es am Ende des Spiels Punkte gibt, versucht hier einen Spagat, der viel dazu beiträgt, dass Maps of Misterra auch nach mehreren Partien schwer zu fassen ist. Denn Siegpunkte sind sowohl auf der „Insel“ als auch auf der „Karte“ zu holen. Das bedeutet man versucht sowohl den persönlichen Zielen für die eigene „Karte“ folgen, aber kann auch parallel dazu die Landschaften der „Karte“ denen der „Insel“ nachempfinden. Was auf dem Papier wie ein klassischer Design-kniff wirkt in dem gegensätzliche verlaufene Punktebedingungen Spieler*innen in eine verzwickte Entscheidungslage bringen, entwickelt am Tisch eine andere Dynamik. Da die Landschaften auf der „Insel“ direkt davon beeinflusst werden welche Kärtchen von den Spieler*innen auf ihre persönliche „Karte“ gelegt werden und deren Entscheidungen wiederum davon abhängen ob sie ihre eigenen Siegpunkt-Bedingungen erfüllen möchten, oder lieber ihre „Karte“ an die „Insel“ angleichen, wirkt das Spiel in seiner Punktevergabe wahlweise unvorhersehbar oder willkürlich. Die Hälfte der Punktequellen sind kaum beeinflussbar aber gleichzeitig thematisch einleuchtend. Landschaften auf der „Karte“, die den Landschaften auf der „Insel“ entsprechen, bringen Punkte. Dabei liegt die interessanteste und auch kniffligste Dynamik des Spiels darin, wie man seine Figur auf der „Insel“ so voranbewegen kann, um die eigene „Karte“ entsprechend der persönlichen Punktebedingungen auszufüllen.

Man könnte nun den Eindruck haben, dass Maps of Misterra mehr Regeln besitzt als es für ein rundes Spielgefühl nötig ist. Dass die unklaren und schwer berechenbaren mathematischen Zusammenhänge zwischen einer Entscheidung und ihrem Punktewert, es schwer machen voll und ganz in das Spielerlebnis einzutauchen. Aber ich würde stattdessen behaupten, dass Maps of Misterra zu wenig thematische Einkleidung besitzt, um den Blick der Spieler*innen auf das zu schärfen, was Maps of Misterra eigentlich interessant und besonders macht.

Die Verbindungs-Lotterie der sozialen Medien hat dazu geführt, dass ich vor einiger Zeit ein kurzes Gespräch mit einem der Co-Autoren des Spiels führen konnte. Dieser verwies mich auf ein Design Diary (zu vergleichen mit dem Audiokommentar in einer DVD/Bluray) in dem die Entwicklungsgeschichte des Spiels nachgezeichnet wurde. Diesen Text fand ich sehr interessant, aber auch enorm erhellend.

Denn darin wurden thematischen Leerstellen des Spiels aufgefüllt und durch den Blick hinter die Kulissen neu aufgeladen. Die notwendigen Abstraktionen des Kartographierens wurden benannt und betteten so unsere eigenen Entscheidungen am Spieltisch in einen anderen Kontext. Die Erklärung der Siegpunkt-Bedingungen als Wünsche und Vorgaben unserer vermeintlichen Geldgeber gab dem Spiel auch den nötigen thematischen Rahmen, um unserer Entscheidung mehr Gewicht zu verleihen. Wir können wahlweise der Wahrheit der „Insel“ verpflichtet sein, oder eben den Wünschen unserer Finanziers genüge tun. Gerade für Spieler*innen, die in den ersten Partien nicht auf höchste Effizienz optimierte Entscheidungen fällen (wollen), sind diese thematischen Orientierungshilfen Gold wert. In der mitgelieferten Anleitung gibt es eine halbe Zeile, die suggeriert, dass die Siegpunkt-Bedingungen mit denen wir spielen auch eine thematische Dimension haben.

Meine Karte richtet sich nach den Vorstellungen meines Geldgebers

Maps of Misterra zeigt damit, dass die thematische Einkleidung des Spiels eben nicht allein Ästhetik ist, sondern auch Entscheidungen und damit auch den Spielfluss lenken kann. Letztendlich sind es vor allem die ersten Partien eines neuen Spiels, welche von diesem kontextuellen Wissen profitieren. Ohne das Design Diary des Co-Autors wäre Maps of Misterra ein sehr viel oberflächlicheres und auch belangloseres Spielerlebnis für mich gewesen. Aber je mehr man über die thematischen Überlegungen und auch Hintergründe für bestimmte Design-Entscheidungen weiß, umso runder und robuster fühlt sich Maps of Misterra als Spielerlebnis an. Denn das Thema eines Spiels steckt nun mal nicht allein in der Schachtel des Spiels selbst, sondern vor allem im Hintergrundwissen und den thematischen Interpretationen mit denen die Spielgruppe vertraut ist oder vor dem Spiel vertraut gemacht wird.

Wir fügen am Tisch aus den thematischen Versatzstücken, die man uns zur Verfügung stellt, ein Spielerlebnis zusammen. Um ein Alfred Korzybski-Zitat aus den Designernotizen zu entwenden: „Die Karte ist nicht das Territorium“ auch wenn es hier eher heißen sollte: „Das Spiel ist nicht das das Spielerlebnis.“

Maps of Misterra funktioniert als Spiel besser, wenn man seine Hintergründe kennt. Denn gerade dann ist die Spannung zwischen der „wirklichen Insel“ und der „fehlerhaften Karte“, die man gemeinsam erschafft, interessant und witzig. Denn dann kann man diese Entscheidung begründen, ohne vorher eine mathematische Analyse eines meist undurchsichtigen und in der Regel sehr unvorhersehbaren Punktesystems durchzuführen. Ohne die nötige thematische Schärfe fühlt sich Maps of Misterra wie ein Spiel ohne klare Zielsetzung oder angepeiltes Spielgefühl an. Das ist bedauerlich, denn die Lösung für dieses Problem liegt so nahe. Maps of Misterra benötigt den Autorenkommentar um wirklich aufzublühen.

Georgios Panagiotidis
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