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Escape Tales: Low Memory

Verlag: Kosmos
Autor: Jakub Caban/Bartosz Idzikowski
Spielerzahl: 1-4
Alter: ab 18 Jahren (eigentlich schon ab 16)
Dauer: 3 Teile á 120-150 Minuten

Dies ist das zweite „Escape Tale“ nach The Awakening. Diese Reihe von Kosmos setzt auf zwei Sachen als Alleinerkennungsmerkmal im Escape-Room-Genre: Eine entspannte Rätselatmosphäre ohne Zeitdruck und eine dramatische Geschichte mit Wahlmöglichkeiten.

Ersteres wird erreicht, in dem es nicht nur keinerlei Zeitdruck gibt, sondern auch eine vorbildliche Hilfefunktion ohne Strafen. Prinzipiell gibt es keine Punktwertung am Ende, die einem erzählt, wie schlecht oder gut man abgeschnitten hat. Das heißt auch, dass die Rätsel gelöst werden können, ohne dass man das Gefühl hat, die Autoren stehen hinter einem und disziplinieren jeden Fehltritt.

Die Rätsel selber sind zwar ein wenig in die Geschichte eingebaut, aber eher so wie die thematische Einbindung in einem Euro; Es sind Logikrätsel, bei denen die logischen Verknüpfungen Namen und Symbole der aktuellen Story benutzen. Dies entspricht also mehr dem Ansatz der Computer Escape Games und weniger dem thematischen Puzzleaspekt von klassischen Computeradventures. Die Rätselseite ist dabei absolut in Ordnung und auch wenn es das eine oder andere schwächere Rätsel gibt: Wer diese Logikpuzzles schätzt, kommt hier voll auf die Kosten. Es sind gute Rätsel, deren Bearbeitung Spaß macht.

Die andere Seite ist die Geschichte. Im ersten Teil hatten wir eine lange, düstere und recht humorbefreite Geschichte um ein geheimnisvolles Ritual, die immer wieder betonte wie düster sie war. War in Ordnung, allzu viel Interesse die verschiedenen Abzweigungen zu probieren hatte ich nicht – schon weil ich keine Lust hatte mich erneut an ein mehrstündiges Puzzlespiel zu machen, bei denen ich einen Teil der Rätsel würde noch einmal lösen müssen, nur um auf ein anderes Ende zu hoffen.

Dieses Problem wird in Low Memory nun umgangen: Statt einer durchgehender Geschichte werden drei kürzere Handlungsstränge erzählt, die zusammenhängen aber nicht aufeinander aufbauen. Jeder Strang enthält ca. zwei Entscheidungen – da kann man eher einmal  die andere Seite des Entscheidungsbaum erkunden. Da die erste Geschichte auch durchaus interessant und mysteriös ist (diesmal bewegen wir uns zwar im Science-Fiction-Genre aber die Geschichte ist nach wie vor eher düster), waren wir guter Dinge, was diese Box betraf.

Und an dieser Stelle ein Bruch und die Klarstellung: Der reine Escape-Room-Puzzle-Aspekt des Spieles ist durchaus gelungen und wem das der wichtige Part ist, der wird auch mit dieser Box gut bedient. Als reines Exit-Spiel kann Low Memory überzeugen.

Betrachtet man jedoch das Konzept aus Story und Escape Room als ganzes, so scheitert Low Memory an seinen eigenen Ansprüchen. Und damit meine ich nicht die oben erwähnte etwas aufgesetzte Verbindung aus Rätseln und Story – es scheitert an der Story, es scheitert an den Entscheidungen und auch an dem System, doch irgendwie Strafen einbauen zu wollen.

Letzteres ist dem Mechanismus geschuldet, dass von den Elementen im aktuellen Raum nur ein begrenzter Teil angesehen werden kann – Die Spieler sollen sich also entscheiden, was sie für wichtig erachten. Gab es da bei Awakening viele Bonusrätsel zu finden und manchmal auch die Wahl „Gehe ich nach A oder B“ sind hier viele Ecken schlicht rote Heringe. Das wäre noch in Ordnung, wenn es irgendwelche Methode gäbe zu erkennen, was wichtig ist und was nicht, aber gerade im zweiten Fall scheint die Devise zu herrschen „Alles was unwichtig aussieht ist entscheidend, die augenscheinlich wichtigen Ecken sind Zeitverschendung“. Alternative Puzzles oder Wege sind weitestgehend Mangelware. Dieses Scheibensystem wird so nicht nur nicht ausgereizt, es ist schlicht frustrierend. Und unnötig, denn wenn man einfach noch einmal beginnen kann, macht man es ja eh besser – es wurde nur Zeit vergeudet. Ich habe nie verstanden, warum die alten Choose your own Adventure books Würfelprobe hatten, bei deren Scheitern man starb. Man konnte ja sofort denselben Weg noch einmal laufen – so lange bis der Würfelwurf glückt. So wird durch die Probe niemals wirklich Spannung erzeugt, weil es um nichts geht – und in diesem Teil der Escape Tales gilt das leider auch für das Scheibensystem.

Die Story selbst ist im ersten Teil interessant, verflacht dann aber Zusehens. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Charaktere, in dessen Haut man schlüpft, praktisch nicht ausgearbeitet sind. Man weiß so gut wie nichts über sie und was sie eigentlich erreichen wollen. Im dritten Teil bleibt unklar, was eigentlich das genaue Ziel der Mission ist. Der Zusammenhang zwischen den drei Geschichten fällt zudem für mich ein bisschen in das Tal zwischen „Alles ergibt am Ende sinn“ und „Mulholland Drive“. Drei Geschichten, die völlig unterschiedliche Aspekte einer gemeinsamen Welt abdecken, wären vielleicht interessanter gewesen. Ich bin zudem auch der Meinung, dass eine Geschichte nicht dadurch Dramatik erhält, dass sie völlig humorbefreit daherkommt und ständig betont, wie dramatisch das alles ist. Dramatik wird dadurch erzeugt, dass die Leser/Spieler sich mit den Charakteren identifizieren und für sie schwierige Entscjeidungen treffen müssen. Nun, Ich schreibe oft, dass Spieleautoren nun einmal keine Schriftsteller sind und das ist hier deutlich. Prinzipiell ist das auch nicht schlimm –  Es ist völlig in Ordnung, wenn die Geschichte ein Rätselspiel lediglich unterstützt – aber wenn auf der Schachtel steht „Erlebe die Geschichte“ dann erwarte ich hier einfach ein bisschen mehr Handwerk. Ein guter Schriftsteller hätte hier das Spiel wirklich auf ein neues Level heben können – Die Ansätze sind ja da!

Die Entscheidungen sind eine Sache, die ich im ersten Spiel wie erwähnt nicht wirklich genutzt habe. Hier gibt es wie gesagt pro Teil etwa zwei neuralgische Stellen, wobei einem klar sein muss, dass gerade im zweiten und dritten Teil die ersten Entscheidungen der Art „Links oder rechts?“ sind – was nicht sehr interessant ist. Das ganz am Schluss verschiedene Enden auch von den Entscheidungen am Anfang abhängen, bedeutet freilich, dass man eben doch wieder das ganze Ding durchspielen muss, wenn man neugierig auf die alternativen Wege ist. Und das bedeutet dass man fast alle Rätsel im letzten Teil noch einmal lösen müsste- da einige Rätsel dabei sind, die eher Dechriffrierung im weitesten Sinne benötigen, ist das eher Arbeit als Rätselspaß. Auch dieser Kritikpunkt haben sich die Escape Tales selbst verschuldet: Ein weniger ambitioniertes Projekt (ohne Entscheidungen) hätte diesen Kritikpunkt gar nicht erst gehabt. Den „Wiederspielteiz“ als Argument lasse ich nicht gelten: Immerhin dauern die Escape Tales ja rund dreimal so lange wie ein herkömmliches Exitspiel und haben ihr Geld so auch nach einmaligem Spielen bereits wortwörtlich eingespielt.

Dass ich von Escape Tales leicht frustriert bin kommt nicht daher, dass es nicht gut wäre, sondern daher, dass es verspricht, dass es viel besser hätte sein können. Diese dramatische Wendung wirkt schwerer als die in der Geschichte.

Peer Sylvester
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