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Ancient Knowledge

Autor: Rémi Mathieu
Verlag: iello
für 2-4 Spieler*innen
ab 12 Jahren
Dauer: 30 Minuten / Spieler*in

Etwas einen Trend zu nennen, wirkt oft etwas abschätzig. So als wäre ein Trend nur eine vorübergehende geschmackliche Verirrung der Szene, die mit etwas Geduld wieder in Vergessenheit geraten wird. Dabei zeichnen Trends recht gut die Entwicklungen im Designhandwerk wie auch die aktuellen Interessen der Spieler*innenschaft nach. Unser Verständnis von modernen Spieldesigns wurde durch Trends geprägt, die einzelne Spiele ausgelöst haben. Agricola machte den „worker placement“-Mechanismus bekannt; so wie Dominion dem „deck building“ zu sehr viel Aufmerksamkeit verhalf. Die Spiele, die auf diesen Designs aufbauten, kann man recht klar unter„Trend“ zusammenfassen. Ähnliches zeichnet sich derzeit ab, auch wenn es nicht um einen einzelnen Mechanismus geht. Es ist stattdessen ein Merkmal einzelner Spiele, um den sich das Spielerlebnis selbst dreht: der Kartenturm.

Bis zu 6 Runden kann es dauern um eine Karte in Punkte zu verwandeln

Mit weit über 100 Karten ragt der Kartenturm deutlich über einem normalen Kartenstapel hinaus. Dabei ist es nicht allein die Menge, die entscheidend ist, sondern auch die Tatsache, dass im Kartenturm ausschließlich einzigartige Karten mit klar von einander unterscheidbaren Karteneffekten (d.h. Sonderregeln) stecken. Diese gilt es im Spiel taktisch klug zu wählen und einzusetzen. Jede weitere Partie verspricht das Entdecken neuer Kombinationen und damit auch neuer Taktiken. Die Langzeitmotivation – so der Gedanke – ergibt sich aus dem Bedürfnis alle möglichen Kombinationen auszuprobieren oder zumindest in Aktion zu sehen. Das birgt aber auch ein gewisses Risiko. Denn es braucht meist viel Zeit und Aufwand bis man sich sicher genug fühlt, um ein flüssiges Spielen zu ermöglichen. Wer mit ausreichend Ehrgeiz in Richtung Spielsieg spielen will, muss sich in der Regel die Mühe machen, alle verfügbaren Karteneffekte zu analysieren und ihren Nutzen für die aktuelle Spielrunde zu bewerten. Gerade in den ersten Partien ist das weder schnell, noch einfach. Vielspieler*innen sind einen solchen holprigen Einstieg meist gewohnt. Belohnend wird dieser Ansatz auch von Gruppen empfunden, die ein Spiel gerne wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder spielen.

Vieles von dem was Ancient Knowledge auszeichnet, fußt auf der Annahme, dass man sich entweder zur einen oder anderen Gruppe zählt. Die über 140 individuellen Karten müssen im Spiel entdeckt und eingesetzt werden. Es gibt eine enorme Menge an Regeln, die man während des eigenen Zuges beachten und abwägen muss. Entsprechend verliert das voll bedruckte Regelheft kaum ein Wort an Hintergrundbeschreibungen und füllt nur unwesentlich mehr Platz mit Beispielen.

Die Grundidee des Spiels ist schnell umrissen. Man spielt Karten aus der Hand über das eigene Spielbrett aus. Jede Runde wandern diese Karten einen Schritt nach links, bis sie das Spielbrett verlassen. Die Karten selbst haben einen Punktewert, den man am Ende des Spiels zusammenzählt. Aber sie haben auch Spielmarker, die am Ende des Spiels Abzüge bringen. Mit Hilfe der Karteneffekte versucht man die Spielmarker zu reduzieren und gleichzeitig die Spielkarten schnell über das Spielbrett zu schieben. Dieser Ablauf wird an vielen Stellen mit Entscheidungen angereichert, so dass die Menge an Regeln, die es im eigenen Zug zu beachten und abzuwägen gilt, schnell zunimmt. Auf Spielbrett und Karten gibt es unterschiedliche Symbole, die man verstehen und beachten muss. Regeltexte auf den einzelnen Spielkarten müssen berücksichtigt und im richtigen Moment angewandt werden. Im eigenen Zug darf man zwei Mal aus fünf unterschiedlichen Aktionen wählen, um sich durch das Meer an kurzer Regeltexte auf dem Tisch zu bewegen. Diese Aktionen sind zwar mit stimmungsvollen Begriffen umschrieben, helfen jedoch nicht dabei sich die dazugehörigen Regeln davon abzuleiten.

Weitere, kleine Karten kommen mit zusätzlichen Effekten daher

Denn Ancient Knowledge ist bis ins Mark ein Regelspiel. Es sind die Regeln mit denen wir spielen und nicht die anderen Spieler*innen. Das Regelsystem ist Werkzeug wie Gegner zugleich. Das Thema bleibt hinter dieser Beschäftigung mit dem Spiel zurück. Es leistet zumindest nicht das, was es könnte. Man hat den Eindruck, dass die Idee von „alternden Zivilisationen“ nur als Inspiration und Konzept des Spiels von Bedeutung war. Während der Entwicklung und Vollendung des Spiels blieb es nur noch als Verkleidung übrig. Das Thema ist grafisch hübsch in Szene gesetzt, aber für das Erlebnis ansonsten von vernachlässigbarer Relevanz.

Das ist bedauerlich, denn so wurde die Chance vertan das Spielerlebnis zu bereichern. Jedoch nicht weil das Spiel Zusammenhänge des Themas hätte abbilden oder abstrahieren sollen. Für solche Aufgaben gibt es pädagogische Spiele und auch Wargames. In einem Brettspiel dient das Thema als eigene Facette des Spielerlebnisses. Es kann unsere Vorstellungskraft anreichern und helfen unseren Entscheidungen mehr Gewicht zu verleihen. Das Thema kann narrative Farbe bieten, damit der „magische Zirkel“ am Tisch einfacher aufrecht gehalten werden kann. Das oft beschworene Gefühl der „Immersion“ ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das Thema des Spiels unsere Vorstellungskraft beflügelt. Das kann, aber muss nicht, durch Abbildungen realer Zusammenhänge entstehen. Manchmal genügt es den eigenen Aktionen einen erzählerischen Ausdruck zu ermöglichen.

Ancient Knowledge geht diesen Weg nicht. Die Aufmerksamkeit der Spieler*innen liegt im Abwickeln der einzelnen Schritte, welche durch das Regelwerk penibel vorgegeben sind. Die Spannungsmomente ergeben sich daraus, dass man von vielen unterschiedlichen Anreizen überwältigt wird. Man muss Karteneffekte vorausplanen, koordinieren und so auf effiziente Punktesammlung spielen.

Der Kartenturm (noch ohne Erweiterung) überragt den Startaufsteller

Die große Menge an Karten (der anfänglich erwähnte Kartenturm) bietet einen Überschuss an Angeboten, welche meist über mehrere Runden gestaffelt abgehandelt werden. So entsteht das Gefühl, dass Ancient Knowledge kontinuierlich in Bewegung ist. Sowohl die Kartenreihe, die man jede Runde einen Schritt nach links schiebt, wie auch die Flut an Faktoren und Effekten, die man im Kopf behalten muss, sind im Fluss. Nach einigen Partien formt sich der Eindruck, Ancient Knowledge hätte einen starken Wettlaufcharakter. Aber erst mit mehr Erfahrung entwickelt man Strategien, um das das Ende des Spiels schneller herbeizuführen.

Vieles was Ancient Knowledge interessant und ansprechend macht, kommt erst nach einigen Partien zum Vorschein. Nicht weil das Spiel zu Beginn schwach und langweilig ist, sondern weil sehr viel Spielwissen zu Beginn verborgen ist. Ein Beispiel: die Karten sind farblich in drei Gruppen unterteilt. Diese lauten Städte (rot), Megalithen (blau) und Pyramiden (grün). Erst wenn man die einzelnen Karten der Farbgruppen gegenüber stellt, lässt sich eine Art mechanische Gemeinsamkeit innerhalb der Farben erkennen. Eine Kartenfarbe verstärkt ihre Effekte gegenseitig. Eine andere beeinflusst die Spielablauf. Die dritte dient als Gegengewicht zu anderen Karteneffekten. Ancient Knowledge setzt kommentarlos voraus, dass Spielgruppen diese Art der Systemanalyse selbstständig angehen werden. Entsprechend bekommt man weder durch das Regelheft, noch durch das Spiematerial einen Hinweis darauf. Idealerweise wird diese Spielanalyse als belohnende Beschäftigung gewertet, statt als mühsame Hausaufgabe.

Ancient Knowledge ist nach eigenen Angaben ein Spiel in dem es um das Bewahren von Wissen geht. Gleichzeitig ist vieles von dem was Spieler*innen zum Spielen wissen sollten, aber im Spielmaterial verborgen. Erst wiederholtes Spielen ermöglicht es dieses Wissen auszugraben. Diese thematische Resonanz hat mich durchaus zum Schmunzeln gebracht. Aber im Gegensatz zum archäologischen Wissen aus sumerischen Schrifttafeln oder südamerikanischen Artefakten, fühlt sich das entdeckte Wissen in Ancient Knowledge wie eine Sammlung von Steuertricks an. Buchhalter und Versicherungsvertreter mögen dabei hin und weg sein. Aber wer sich nicht zu diesen Gruppen zählt, findet in Ancient Knowledge ein Spiel, das beschäftigt ohne zu begeistern. Eine Eigenschaft mit der Ancient Knowledge ganz und gar im Trend der Kartenturm-Spiele liegt.

Georgios Panagiotidis
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