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Zielführende Überlegungen

Vor zwei Wochen schrieb ich bereits, dass „Spaß“ für ein Spiel schon ein zentraler Aspekt ist – auch wenn man Spiel als Kulturgut  begreift. Aus einem ähnlichen Gedanken heraus wurde „im Internet “ die unbedachte Überlegung geäußert, dass Wargames bereits „weiter“ wären, als Nicht-Wargames, weil sie Teilsiege anbieten würden. Mich erinnert das ein bisschen an meine Schulhofdiskussionen, wer von uns jetzt „mehr Indy“ in seinem Musikgeschmack ist. Darüber hinaus ist die Aussage aber auch mMn schlicht falsch.

Viele Wargames bieten Abstufungen im Ergebnis ein: „Vernichtende Niederlage“ ist z.B. etwas anderes als eine „knappe Niederlage“, ein „Pyrrhus-Sieg“ etwas anderes als ein „Glorreicher Sieg“. Ich stecke nicht tief genug in der Wargameszene drin (respektive: Ich stecke da überhaupt nicht drin), aber nach meinem Verständnis liegen diese Abstufungen darin begründet, dass manche Missionen/Kampagnenm/Spiele eine asymmetrische Ausgangslage haben. Anders ausgedrückt: Eine Seite hat einen Vorteil. Die Imperium Romanum II– Regel hatte sinngemäß geschrieben „Wer die unterlegende Seite führt, kann es als Herausforderung verstehen, vielleicht das Blatt dieses Mal zu wenden“. Eine Abstufung macht hier sinn. Vielleicht verlieren die Römer diesmal nicht absolut gegen das kleine Dorf unbeugsamer Gallier, sondern schaffen eine „knappe Niederlage“?

Auf der anderen Seite – so das Argument – stehen Brettspiele, die so strukturiert sind, dass alles auf das „Gewinnen“ fokussiert ist. Es geht nur um Sieg oder Niederlage, dadurch würde Brettspiele das Potential mehr Motivationen anzubieten, verschenken . Dorfromantik sei deswegen ein solch besonderes Spiel, weil es hier nicht um das Gewinnen, sondern das Erreichen von Teilzielen geht.

Als allererstes möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass eigentlich alle Spiele mit Siegpunkten sowie fast alle Wettrennen natürlich eine ziemlich deutliche Abstufung des Sieges bieten. Ein Sieg, bei dem eine Person alle anderen auf der Siegpunktleiste umrundet hat, wird anders wahrgenommen werden, als ein Sieg über den zweiten Tiebreaker, nachdem alle Mitspielenden dieselbe dreistellige Punktzahl vorweisen konnten. Wer im letzten Zug noch vor der ewig führenden Person durchs Ziel gerutscht ist, hat einen „coolen Sieg“ erreicht, auch wenn das nicht explizit in der Spielanleitung steht. Man könnte ketzerisch sogar formulieren, dass Brettspiele „weiter“ wären, weil sie es nicht nötig haben, diese Dinge schriftlich festzuhalten, sondern einfach implizieren und den Spielenden die Freiheit lassen, sie so zu benennen wie sie wollen. Es sind insbesondere die Vielspielenden, die von einer Spielregel auch fordern, dass implizite Schlussfolgerungen doch bitte explizit ausgeschrieben sein sollten („Wenn ein Auto in der letzten Runde mit seinem letzten Punkt genau vor einem Auto landet, dass mindestens 3 Runden ununterbrochen geführt hat, so ist das als sogenannte ´Saucoole Aktion´ zu werten, die in einem Turnier doppelt zu werten ist“- fiktionale Regeldystopie).

Nun kann man natürlich zu Recht einwenden, dass diese Einteilung nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Brettspiele trotz Grautöne um das Spielende herumentwickelt wurden, dass es nach wie vor eine Person gibt, die das Spiel gewinnt und dass es das Argument mit den Teilzielen nicht entkräftigt. Geduld, junger Padawan!

Regelspiele – egal ob Wargames oder Brettspiele – sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ein Ziel haben, dass innerhalb der Aktivität als „wertvoll“ deklariert wird. Das Spiel selbst ist dabei der Versuch die vom Regelwerk aufgestellten Hürden auf den Weg zum Ziel zu überwinden. Insofern ist natürlich das Spielende ein integraler Bestandteil des Spieldesigns, es gibt dem Spiel eine Richtung und eine Struktur. Das ist bei Dorfromantik übrigens nicht anders: Ohne das Spielende, also quasi als „unendliche fortsetzbares“ Spiel, bei dem irgendwann immer alle Ziele erreicht werden können, würde Dorfromatik nicht funktionieren. Das Ziel ist hier nur anders benannt; Überspitzt ausgedrückt: Die Innovation von Dorfromantik ist es nicht, dass es keinen „Spielsieg“ in dem Sinne gäbe, sondern dass er explizit anders genannt wird. Dadurch wird es in diesem Fall einfacher, die oben beschriebene Freiheit der eigenen Begriffsbildung zu erkennen und zu nutzen.

Viele, Viele Gebäudeplättchen aus Agricola
Hier wählt man erst einmal nach Geschmack  aus.

Eigene Ziele-auch solche, die ich über das eigentliche Spielziel setze – sind auch keine Neuheit in Spielen. Viele Spiele erlauben das Setzen eigener Ziele: „Heute spiele ich mal auf X“, „Jetzt versuche ich mal endlich die blöde Pyramide fertig zu bauen“, „Ich will die Mission X schaffen, auch wenn es vielleicht sinnvoller wäre, Y zu probieren“ (letzteres war fast 1:1 eine Aussage in einem Spiel vom vorletzten Samstag). Gelegentlich wird diese Fokussierung auf persönliche Teilziele sogar negativ wahrgenommen, etwa wenn jemand nur verhindern möchte, dass eine bestimmte andere Person am Tisch verliert. Spiele bieten zudem oft explizit Teilziele an, die natürlich helfen, den endgültigen Spielsieg zu erreichen (etwa, in dem sie Siegpunkte bringen). Ihr Erreichen ist eine weitere Art und Weise wie Spiele den endgültigen Spielsieg quantifizieren – ich habe vielleicht nicht gewonnen, aber zum ersten Mal Teilsieg X erreicht.

Quantifizierungen und Teilsiege, eigenes Schwerpunktsetzen und das Nehmen selbst aufgebauter Hürden sind solch elementaren Bestandteile des Spieldesigns, dass wir sie als solche vielleicht gar nicht mehr wahrnehmen. Das heißt nicht, dass Spiele häufiger explizit benennen könnten, wie ein bestimmtes Ergebnis interpretierbar wäre oder alternative Ziele mehr in den Fokus stellen könnten, wie es Dorfromantik tut. Ich kann mir durchaus auch einen kreativeren Umgang mit Endbedingungen und deren Interpretation vorstellen – Etwa die Möglichkeit bei einem kooperativen Spiel zu wählen, ob man weiter auf den gemeinsamen Sieg spielt oder auszuscheiden, um seine In-Game-Liebe zu heiraten (was nicht als „Sieg“ o.ä. benannt wird). Aber unterschätzt werden, sollten die aktuellen Spiele in dieser Hinsicht auch nicht.

ciao

peer

Peer Sylvester
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