Autoren: Charlie Mackin, Harry Mackin, Drew Tenenbaum
Verlag: Floodgate Games / Skellig Games
für 2 – 4 Spieler*innen
ab 10 Jahren
Dauer: 30-45 Minuten
Gutes Spieldesign zeichnet sich dadurch aus, dass es entscheidungsrelevante Informationen zugänglich macht. Deduktionsspiele ziehen einen Teil ihres Charmes und ihrer Herausforderung daraus, dass diese Informationen nur über Umwege erreicht werden können. Aus dem was im Spiel offenbart werden kann, müssen Bedingungen und Ursachen logisch hergeleitet werden. Hat man das geschafft, kann man eine Entscheidung fällen.
Im Herzen von Décorum steckt die Überzeugung, dass auch menschliche Kommunikation (zumindest unter neurotypischen Personen) nach diesen Prinzipien abläuft. Es werden Informationen angeboten aus denen Gründe und Auslöser abgeleitet werden sollen, welche man nutzt, um eine Entscheidung zu fällen. Je nach persönlicher Veranlagung sieht man das als eine völlig selbstverständliche oder eben absolut unsinnige Vorgehensweise, um irgendetwas auf die Reihe zu bekommen.
Im kooperativen Décorum erhalten alle Spielenden geheime Bedingungen, die es zu erfüllen gilt. Die Aufgabe präsentiert sich dabei als das Einrichten eines Hauses, d.h. vier Zimmer auf zwei Etagen müssen mit der richtigen Kombination aus Zimmerfarbe und Gegenständen ausgestattet werden. Dabei vereinen die Einrichtungsgegenstände ihrerseits mehrere Eigenschaften nach denen sie unterschieden werden können (Farbe, Typ und Stil).
Décorum zu spielen, heißt einen Deduktionsteil und einen Kombinationsteil zu absolvieren. Man muss herausfinden welche Bedingungen die Mitspieler*innen besitzen (z.B. „keine roten Gegenstände in den oberen Räumen.“ oder „im Erdgeschoss muss ein Raum blau sein“) und eine Lösung finden, um sie alle gleichzeitig zu erfüllen. Offen über die eigenen Bedingungen zu sprechen ist untersagt. Stattdessen muss man kleine Veränderungen am Spielbrett vornehmen, um an Hand der Reaktionen der Mitspieler*innen zu ermitteln, welche Bedingungen sie auf ihrer Karte zu stehen haben. Ist die Veränderung im Sinne einer Bedingung, widerspricht sie ihr oder hat sie keine Relevanz? Als Antwort ist nur erlaubt „Gefällt mir,“ „gefällt mir nicht“ oder „ist mir egal“ zu sagen. Aber was passiert, wenn eine Veränderung mehrere Bedingungen gleichzeitig betrifft? Derartige Klarheit in der Kommunikation lässt Décorum nicht zu. Der auf der Schachtel prangende Untertitel „Ein Spiel über passiv-aggressives Zusammenleben“ bezieht sich auf genau diese Einschränkung und weckt schnell Assoziationen an Szenen aus einer Sitcom.
Entsprechend ist in anfänglichen Partien das Schauspiel am Tisch der erste Anlaufpunkt, um mit Décorum Spaß zu haben. Mit unserer Reaktion auf Veränderungen der Inneneinrichtung brechen wir bald aus unserem gewöhnlichen Tonfall aus. Schnell denken wir uns kleine Erzählungen aus, weshalb die gelbe Vase („Omas liebste Blumenvase!“) ein bestimmtes Zimmer nicht verlassen darf. Es ist eine Bereicherung des Spielerlebnis, welches dem eigentlichen Spielverlauf nicht im Wege zu stehen scheint. Aber mit jedem weiteren Szenario (20 für 2 Spieler*innen, 10 für 3-4 Spieler*innen) weicht das amüsante Laientheater dem kniffligen Logikrätsel, welches sich aus den unterschiedlichen Anforderungen ergibt.
Mit seiner Spielidee – geheime Siegbedingung ermitteln und dann im Spiel erreichen – ähnelt Décorum dem japanischen Deduktionsspiel „Tragedy Looper“. Dort arbeiten bis zu drei „Looper“ zusammen, um die Siegbedingungen des einzelnen „Mastermind“ zu ermitteln und das Eintreten dieser Siegbedingungen zu verhindern. Es gibt noch einige weitere oberflächliche Unterschiede zwischen den Spielen (z.B. ist Tragedy Looper weit weniger humoristisch), aber der wichtigste Unterschied liegt in der beiliegenden Spielhilfe. In Tragedy Looper haben alle Spieler*innen Zugriff auf eine vollständige Auflistung der unterschiedlichen Bedingungen, die im Spiel zutreffen können. Mit Hilfe der Informationen, die man im Spiel sammelt, lassen sich so einzelne Möglichkeiten ausschließen bis man bestimmt hat, was die Siegbedingungen des Masterminds sind. In Décorum hingegen gibt es nur eine Liste an möglichen Faktoren, die auf unterschiedlichste Weise kombiniert werden können, um eine Bedingung zu bilden. Dazu gehören Farbe, Ort, Art, Stil und relative Anzahl mit je 4 möglichen Werten. (In späteren Szenarien kommen weitere Faktoren hinzu.) Aber es gibt auch die Möglichkeit, dass einzelne Faktoren mit einander verknüpft („ein rotes Zimmer muss mindestens ein rotes Objekt haben“) oder unvereinbar sind („kein blaues Zimmer darf ein blaues Objekt haben“). Es wird auch nicht gesagt aus wie vielen Faktoren eine Bedingung bestehen kann. Sowohl „mindestens eine Lampe im Haus“ wie auch „in der linken Hälfte des Hauses darf kein Stil vorkommen der Objekte, die sich im blauen Zimmer befinden“ sind vorstellbar. Wie komplex die Bedingungen in einem Szenario formuliert sind, weiß nur die Person, die sie auf ihrer Karte hat.
Eine einzelne Bedingung zu ermitteln wäre bereits eine interessante Herausforderung. Aber bei Décorum müssen wir in jedem Szenario bis zu 12 davon bestimmen und im Anschluss das Haus so einrichten, dass jede davon erfüllt ist. Aus unspezifischen Informationen sollen Spieler*innen also allgemeine Bedingungen ableiten deren konkrete Form ihnen nicht bekannt ist. Überforderung und Ziellosigkeit sind da nicht selten nachvollziehbare Reaktionen. Das Design versucht sich hier damit zu behelfen, dass man in bestimmten Abständen einzelne Bedingungen preisgeben darf. Aber das ist sowohl ungelenk als auch unbefriedigend.
Nach anfänglicher Heiterkeit über die lustigen Geschichten, die man sich am Tisch erzählt, fällt auf, dass Décorum einem zwar Hindernisse in den Weg stellt, aber unzureichend Werkzeuge an die Hand gibt, um das Ziel tatsächlich aus eigener Anstrengung zu erreichen. Dass es auch anders und besser geht zeigen Spiele wie Gardeners oder Mental Blocks. Eine lose Rundenstruktur und weit weniger Bedingungen führen dort zu einem flüssigen und dadurch auch sehr motivierenden Spielerlebnis. Das sind Stärken mit denen Décorum leider nicht aufwarten kann.
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