spielbar.com

War & Write II

Autoren: Jay Bernardo, Jerry Lee, Wei-Cheng Cheng
Verlag: Two Plus
für 2-5 Spieler*innen
ab 8 Jahren
Dauer: 30-60 Minuten
#Spiel23

War & Write II ist der Nachfolger zum von mir hoch geschätzten Mini WWII. Letzteres präsentierte auf unaufdringliche Art einen abstrahierenden, strategischen Blick auf ein Kriegsgeschehen. Dabei entlarvte es unwillkürlich die inhärente Unmenschlichkeit einer solchen Denkweise. Das Spiel unterschied nicht zwischen Truppengrößen oder führte Würfel ein, um Kriegsnebel zu simulieren. Es war ein strenges Spiel in dem man eine logistische Herausforderungen löste, um wichtige Länder einzunehmen, die Truppenpräsenz auf dem Spielbrett aufrecht zu halten und Technologien erforschte, um taktische Vorteile zu sichern. Der Preis in Menschenleben, den solche kriegerischen Vorstöße mit sich brachten, existierte in Mini WWII bestenfalls als kruder Kommentar am Spieltisch. Das Spiel imponierte mir, weil ich diese schonungslos auf Zahlen reduzierende Perspektive als unerwartet aufrichtig empfand. Die hässliche Fratze des Krieges ist die des Schreibtischtäters durch dessen Augen man den Krieg hier sah.

Im grellen Kontrast dazu steht nicht nur die Präsentation von War & Write II, sondern auch das Spielerlebnis selbst. Zwar dreht sich das Spiel erneut vor allem um ein logistisches Problem (die eigenen Truppen sollen zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort stehen), aber der Weg dahin, ist diesmal vor allem davon geprägt die Absichten und Pläne der Gegenseite zu antizipieren und sie zu vereiteln. Man versucht die eigene Truppenbewegungen um die vermeintliche Position der anderen Seite zu planen, in der Hoffnung an anderer Stelle durch zahlenmäßige Übermacht, zu gewinnen.

War & Write II baut dabei jedoch nicht auf dem Regelkonzept der beliebten Roll&Write oder Flip&Write-Spiele, sondern nutzt Zettel und Stift als Mittel, um Befehle auf dem eigenen Spielzettel zu notieren. Dass es damit auf die historischen Anfänge des Kriegsspiels zurückgreift, mag nicht sofort ins Auge springen, zeigt aber wie nah sich die beiden Spielformen sind.

Jede Partie wird über 6 Runden gespielt. In jeder Runde gilt es eigene Figuren auf bestimmte Orte auf dem Spielbrett zu bewegen, um mit den dadurch errungenen Punkten das Spielgleichgewicht am Ende einer Runde zum Vorteil des eigenen Teams zu ziehen. Trifft man unterwegs auf Gegner, kommt es zum Gefecht. Eine einfache Mehrheit genügt, um sämtliche gegnerischen Figuren in diesem Feld vom Spielbrett zu nehmen. In manchen Runden sind bestimmte Orte auf dem Spielbrett von besonderer Wichtigkeit, da eine erfolgreiche Präsenz zu zusätzlichen Punkten oder sogar weiteren Spielfiguren führt, die man befehligen kann. Denn neue Figuren auf das Spielbrett zu bekommen, kostet immer mindestens einen der wenigen Befehle, die man jede Runde erhält. Gleichzeitig gilt es aber die individuellen Sonderfertigkeiten im Blick zu behalten, welche einem in bestimmten Runden zur Verfügung stehen. Der Spielaufbau ist schlank, aber die Entscheidung welche Befehle man notiert, ist sehr fordernd. Es hilft daher, dass man in der üblichen Besetzung zu zweit gegeneinander spielt. Der offene Austausch ist dabei sowohl Teil des Designs als auch Teil des Spielerlebnis. Aber dazu gleich mehr.

Drei Armeen belagern sich gegenseitig

Wie der Name schon vermuten lässt, ist War & Write II ein einfaches Kriegsspiel. Weniger offensichtlich hingegen ist, wie viel Spaß es macht Panzer und Kriegsschiffe über das Spielbrett zu befehligen. Um zu erklären, warum mir das auch als Pazifist zusagt, muss ich etwas weiter ausholen. Denn jenseits der Regeln und der spielerischen Interaktion, stellt sich auch die Frage wie man mit einem Thema wie dem 2. Weltkrieg in einem Brettspiel umgehen kann.

Ganz allgemein gesprochen, lässt sich jedes Spielerlebnis in mindestens drei Ebenen aufteilen: die interaktive, die performative und die theatralische Ebene. Auf der interaktiven Ebene sprechen wir vor allem über Mechanismen. Der Begriff „Interaktivität“ wird oft mit Einflussnahme auf andere Spieler*innen gleichgesetzt, aber eigentlich geht es um die Einflussnahme auf die Spielsituation. Wie stark verändert eine von mir gefällte Entscheidung die Spielsituation? Wenn ich etwa eine meiner Spielfiguren in ein angrenzendes Feld befehlige, löst das bei meinen Gegenspieler*innen sofort Fragen aus. Sie müssen überlegen, ob mein Vorstoß eine Gefahr für ihre Position darstellt oder welches Ziel ich damit verfolge. Interaktivität ist nicht zuletzt deshalb so reizvoll, weil sie uns immer wieder die Möglichkeit gibt, die Spielsituation neu zu beurteilen. Vielleicht hat diese Veränderung eine neue Chance für uns ergeben, uns in eine bessere Position zu manövrieren. Aber vielleicht gibt es auch eine neue Gefahr, gegen die wie wir vorgehen müssen. Eine sich verändernde Spielsituation sorgt für Spannungsmomente, die ein Spiel packend und fesselnd machen können. Die interaktive Ebene lässt sich darum auch recht einfach identifizieren. Am Ende einer Spielrunde wieder fünf Karten auf die Hand zu ziehen, betrifft nur mich selbst. Wenn ich jedoch eine Karte spiele, mit der ich einen Spielstein der Gegenseite vom Spielbrett entferne, dann hat das eine deutliche Auswirkung auf die Spielsituation. Einige Regeln gehen auch einen Schritt weiter. In vielen kooperativen Spielen gibt es Regeln was und was nicht laut ausgesprochen werden darf. Das bringt uns zum nächsten Punkt über den ich sprechen möchte.

Auf der nächsten Ebene geht es um das Performative am Spiel. Auch hier geht es gewissermaßen um Interaktion. Jedoch fußt diese nicht auf abstrakten Mechanismen und kuratierten Spielregeln. Stattdessen erweitern wir hier das Spiel um den zwischenmenschlichen Faktor. Wie wir miteinander am Tisch umgehen, unsere Kommentare, unsere Körpersprache, das sogenannte Metagaming findet hier statt. Die performative Ebene ist dabei Teil des Spielerlebnisses, aber nicht zwingend Teil der Spielhandlung. Starren wir hoch konzentriert auf das Spielbrett, wenn wir unseren Zug im Kopf planen? Lachen wir, wenn eine unerwartete Wendung unsere Absichten durchkreuzt? Kommentieren wir lautstark wie schlecht doch unsere Optionen sind und das wir eigentlich schon verloren haben? Es sind solche und ähnliche Gesten und Handlungen, die ein Spielerlebnis zum Leben erwecken. Es sind aber auch genau die Dinge, die auf einer digitalen Plattform meist fast gänzlich fehlen, wenn sich die Spieler*innen nicht aktiv darum bemühen sie zu reproduzieren. Es ist der performative Teil des Spiels, der aus der spielerischen Interaktion eine soziale Aktivität macht.

Technologien liefern besondere Fähigkeiten

Die letzte Ebene des Spielerlebnis ist das „Theater“. Hier setzen wir als Spielende unsere Kreativität ein, um das Thema das Spiels zu erweitern. Wir vergrößern es und malen es mit eigenen Ideen aus. Das beginnt bereits beim Kopfkino, bei dem wir uns von Präsentation und Regeln des Spiels inspirieren lassen. Wir stellen uns vor was das Ausführen einer Spielregel im Kontext des Spielthemas bedeuten mag. Es ist Teil des Theaters, dass wir die verschiedenen Spielhandlungen zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen, und so eine Erzählung aus dem Spielgeschehen formen. Statt von Spielfiguren zu sprechen, die wir schrittweise versetzen, sprechen wir etwa von Truppenbewegungen aus dem Osten Europas nach Russland, oder einem Flottenangriff auf Japan. Es gibt keine Verbindung zur Realität zwischen dem was wir am Spieltisch tun oder dem was wir im Theater beschreiben. Die Komponenten des Spiels haben keine repräsentative Funktion, sondern allein eine symbolische. Sie sind Ausdruck einer Idee bzw. einer Vorstellung, sie haben kein direktes real-weltliches Pendant. Der kleine Holzpanzer auf dem Tisch verweist auf die Idee eines Panzers, nicht auf ein wirkliches Militärfahrzeug.

Aber es gehört auch zum Theater, dass wir die Möglichkeit haben kurzzeitig in die Rolle der Person zu schlüpfen, die wir im Rahmen des Spiels zugewiesen bekommen. Vielleicht sprechen wir kurz ein paar Worte in der Art wie wir uns den Charakter vorstellen. Vielleicht kommentieren wir das Spielgeschehen als würden wir nicht über Spielsteine und Pappmarker entscheiden, sondern über tatsächliche Menschen und Maschinen. Einfach gesagt: das Theater des Spielerlebnis erlaubt es uns für kurze Momente ins Rollenspiel abzutauchen. Eine wichtige Besonderheit: wir entscheiden in den meisten Fällen nicht so wie wir glauben, dass unsere Rolle entscheiden würde. Entscheidungen und damit die Teilnahme am Spiel und seiner Interaktion fällen wir nach eigenem Ermessen. Das unterscheidet das Brettspiel dahingehend grundlegend vom Rollenspiel (und auch Schauspiel) bei dem wir als reale Personen lediglich ausführen was der Charakter tun würde. Im Brettspiel sind unsere Entscheidungen weder unserer Rolle untergeordnet, noch werden wir zu unserer Rolle. Darum heißt diese Ebene des Spiels auch Theater. Wir bestimmen selbst über unser Handeln, aber das was wir tun beurteilen wir nicht nach dem Spielthema, sondern nach dessen Wirkung auf unsere Mitspieler*innen.

Darum ist der performative Teil des Spielerlebnis auch in unseren realen Empfindungen verankert, während das Theater reine Fiktion bleibt. Eine Fiktion, die wir betreiben um uns gegenseitig oder auch uns selbst zu unterhalten. Entsprechend ist es problematisch diesen Aspekt des Spielerlebnis als „Geschichte erleben“ zu verklären. Diese Geschichte entspringt aus unserer Vorstellungskraft und ist damit vor allem Projektion unseres eigenen Vorwissens und Ideen. Wir erleben darum weniger Geschichte im Sinne von Historie, sondern Schwelgen in unseren eigenen Vorurteilen, Voreingenommenheiten und auch Irrtümern, die wir an das Spiel tragen. Dabei kann das Spielerlebnis so vereinnahmend sein, dass wir unsere eigene Teilhabe an dessen Entstehung aus den Augen verlieren. Es kann so begeistern, dass wir davon überzeugt sind, dass diese Erzählung im Spiel lag und wir sie lediglich freigelegt haben. Gerade wenn es um eine saubere Analyse des Spiels und auch des Spielerlebnis geht, ist es von immenser Wichtigkeit die Verantwortlichkeiten klar zu trennen. Das Spiel bietet lediglich die Bühne, das Theater bespielen wir selbst.

Das große Finale endet immer mit Kapitulation

Aus diesem Grund ist es wichtig zu berücksichtigen wie War & Write II seine Bühne aufbaut und was es für unser Spiel darauf bedeutet. Das beginnt bereits mit der Spielschachtel, die an den Aufbau einer Comicbuchseite erinnert. Die Komposition ist hoch dynamisch mit Motiven, die aus ihren Bilderrahmen ausbrechen. Die Comic-typischen lautmalerischen Begriffe wie „Bang“ und „Boom“ wecken sofort Assoziationen an Superheldenabenteuer. Auch die Farbwahl ist bunt, kräftig und weit vom Anspruch an Realismus entfernt. Die Wirkung scheint offensichtlich: War & Write II befreit sich mit aller Kraft von der falschen Ernsthaftigkeit und Bedeutungsfülle, die andere Spiele für sich beanspruchen. Aber dieser Ton setzt sich auch im Spiel selbst fort. Die Farben sind auf hohen Kontrast und Nähe zur Comicbuch-Ästhetik ausgelegt. Ganz besondere Erwähnung sollte aber die Rückseite des Spielblatts erhalten.

Dort befindet sich ein Vordruck einer Kapitulationserklärung für die beteiligten Spieler*innen. Hier können sich zum Ende des Spiels alle Beteiligten namentlich eintragen und als Repräsentanten des jeweiligen Landes unterzeichnen. Die siegreiche Seite wird mit „Most Awesome High Command“ (zu deutsch etwa: voll großartiges Oberkommando) betitelt, während die Unterlegenen als „Surrendering Scum“ (etwa: kapitulierender Abschaum) unterschreiben müssen. Auch innerhalb des Dokuments selbst wird auf die nächste Partie von War & Write II hingewiesen. Alles daran ist Teil des Theaters. Es ist ein Abtauchen in die Fiktion des Spiels mit Hilfe der Mittel, welche uns das Spiel bereitgestellt hat. Eine Auseinandersetzung mit der realen Weltgeschichte oder ein Erleben einer geschichtlichen verankerten Perspektive findet hier in aller Deutlichkeit nicht statt. Mehr noch, in der Kapitulationserklärung verspricht die unterlegene Seite bereits Revanche. Selbst innerhalb der Fiktion, innerhalb des Theaters, wird mit dem Repräsentationsanspruch gebrochen und direkt auf die reale Ebene Bezug genommen.

Damit betont War & Write II seine Funktionsweise als Brettspiel. Das bedeutet im Mittelpunkt stehen die Spieler*innen und ihr Spielerlebnis, nicht die Annäherung an historische Erzählungen über den 2. Weltkrieg. Die Begriffe und Bilder des Spiels sind Teil des Theaters. Sie existieren als Teil unserer gemeinsamen Vorstellung und als Ausdruck der Ereignisse des Spielverlaufs. Alles das erinnert uns nur wieder daran, weshalb wir eigentlich Brettspiele spielen: um mit Menschen zu interagieren, in eine angenehme und unterhaltsame Beschäftigung abzutauchen, oder zumindest eine Beschäftigung, die erfüllend ist oder uns emotional zu packen weiß. War & Write II versteht das mit einer Klarheit, wie es nur wenigen Spiele dieser Art gelingt.

Georgios Panagiotidis
Letzte Artikel von Georgios Panagiotidis (Alle anzeigen)