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Die wichtigen 90%

Georgios hatte bereits vor der Messe Deep Blue rezensiert und ich will das nicht Thema nicht groß aufwärmen. Allerdings hat mich  Deep Blue wieder an Kevin Wilsons Ratschlag erinnert, dass ein Autor die Handlungen in einem Spiel identifizieren sollte, die Spaß machen. Die Spieler sollten 90% des Spieles mit diesen spaßbringenden Dingen beschäftigt und nicht mit etwas anderem.

Nun ist die Regel natürlich als Faustregel, nicht als ehernes Gesetz zu begreifen, aber als solche funktioniert sie. Besser gesagt: Sie erinnert den Autoren daran, wo eigentlich sein Fokus liegen müsste. Viele Spiele haben einen klaren Kern, der prinzipiell Spaß macht. Nur ist der Kern oft verpackt in Verwaltungsaufgaben – teilweise wörtlich (Rundenende „aufräumen“ etc.), teilweise gefühlt – wie bei Deep Blue, wo ich die Karten mühsam erwerben muss und vor allem auch Züge brauche, um nachzuziehen oder um mich da hinzustellen, wo es etwas zu holen gibt. Nur 1 der 4 möglichen Aktionen erlaubt es mir, das zu tun, was ich eigentlich tun möchte – auch wenn es zeitlich gesehen die mit Abstand längste Aktion ist, fühlt sich Deep Blue deswegen schwerfällig an – ich bin eben Drei Viertel meiner aktiven Spielzeit mit Verwaltung beschäftigt.

Reine Verwaltungsaufgaben zu minimieren und optimieren macht sicherlich für jeden Autoren und Redakteur ein Teil der Arbeit aus. Problematischer sind die Deep-Blue-ähnlichen „Spielerverhinderungsaufgabe- oft aus dem Impuls heraus entstanden, ein Spiel „interessanter“ zu machen, in dem weitere Entscheidungen, weitere Kniffe eingebaut werden. Nun bin ich ja der Meinung, dass Entscheidungen ein entscheidender Kern von Spielerfahrung ausmacht, insofern ist der Ansatz erst einmal nicht verkehrt. Nur kann es passieren, dass die weiteren Kniffe, das Spiel eben nicht interessanter machen, sondern nur vom eigentlichen Kern ablenken. Das Spiel wirkt dann, als fehle der Fokus. Oder um es etwas konkreter zu machen: Wenn ich bei einem Spiel einen bestimmten Zug machen möchte – weil er gerade besonders clever ist, oder weil ich eine bestimmte Sache erreichen muss, bevor es ein anderer tut oder weil ich einen Bonus verwenden oder bekommen möchte – dann möchte ich diesen Zug auch machen können und nicht das Gefühl haben, erst einmal ein paar Formulare ausfüllen zu müssen.

Um gleich einen Einwand vorzugreifen: Dieses „Zug machen wollen“ heißt nicht, dass es keine Beschränkungen geben darf , sondern nur, dass der Weg zu den Aktionen, die man machen will, die eben Spaß machen, kurz sein sollen. Wenn ich eine Straße bei Siedler bauen möchte, muss ich die Rohstoffe haben – das ist eine Beschränkung – wenn ich die aber habe, kann ich die Straße einfach bauen. Und dann sogar noch weitere. Wie viel langsamer -ja ärmer! – wäre Siedler, wenn man nur eine Sache pro Runde bauen könnte? Man könnte das durchaus als „Spannungselement“ verkaufen, dass die Spieler dazu zwingen soll, genau über die Reihenfolge nachzudenken, in der sie ihren Kram bauen. In der Theorie also ein zusätzlicher Kniff – in der Praxis erzeugt dieser Kniff aber nur mehr Leerlauf, ich mache oft nicht das, was ich will – nämlich bauen – sondern ich denke über unwichtige Reihenfolgen nach und schaue den Mitspielern zu. Das ist natürlich ein konstruiertes Beispiel, aber ich kenne so manches Spiel, bei dem man nicht das Gefühl hat, dass dem Autoren klar war, welche Teile, seines Spieles jetzt eigentlich Spaß machen und welche Teile er nur eingebaut hat, um es den Spielern schwerer zu machen.

Die 90% sind  wie gesagt nur eine Faustregel – aber die dahinterstehende Intention ist eine wichtige. Wer Spiele analysieren möchte -sei es als Spieleautor oder als Rezensent – sollte diese Intention in einem Spiel abfragen und erkennen können.

ciao

peer

Peer Sylvester
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