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Abstrakte Themen und plastische Regeln

Es gibt ein paar typische Sätze in der Spielkritik oder auch in der Nachbesprechung auf meinem Spielabend, die mich immer etwas grummeln lassen. Äußerungen wie „Das Spiel selbst ist ja eigentlich abstrakt und könnte jedes Thema haben“ oder „Das Thema kommt beim Spielen nicht durch“. Derartige Kommentare greifen eine völlig legitime und zutreffend beobachtete Diskrepanz zwischen Regelmechanismen und Spielthema auf. Aber sie legen nahe, dass hier die Spielregeln das Thema unzureichend einfangen. Wenn die Regeln das Spiels nur das Thema stärker aufgreifen würden, dann wäre das Erlebnis packender.

Genau dieser Gedanke zäumt das Pferd von hinten auf. Denn es geht nicht darum, dass Spielmechanismen ihr thematisches Vorbild nachstellen und so Tiefe gewinnen. Ein thematisches Spiel zeichnet sich nicht durch detailgetreue Imitation aus, sondern durch erfolgreiche Inspiration.

Neben seiner mnemonischen Wirkung, dient ein Themas auch dazu, die Vorstellungskraft der Spielenden zu inspirieren. Dabei sollte man den Begriff nicht zu hoch hängen. Ein stark thematisches Spiel führt nicht dazu, dass man aufsteht und plötzlich Dinge in der Realität in Angriff nimmt, die im Spiel vorgekommen sind. Niemand gründet eine Restaurantkette, weil man bei Food Chain Magnate so viel Profit gemacht hat.

Die Inspiration wird von uns direkt in das Spielerlebnis überführt und bereichert es so. Eben weil wir anfangen die abstrakten Spielmechanismen in die Metapher zu übertragen, die uns das Spiel mit seinen thematischen Illustrationen und Begriffen anbietet. Statt farbige Würfel vom Spielbrett entfernen, bieten wir medizinische Behandlung für Infizierte in einer Großstadt an. Anstatt dass wir Plättchen aus Pappe auf das Spielbrett legen, bauen wir die Eisenbahnverbindung zwischen zwei englischen Industriestandorten aus.

Das passiert bei geübten Spieler*innen oft so reflexartig, dass es nicht verwunderlich ist, wenn dieser Schritt nicht mehr als eigenes Tun wahrgenommen wird. Es scheint dem Spiel inhärent zu sein, dass die gewöhnlichen Handlungen, die wir am Tisch ausführen zu diesen Worten und gedanklichen Bildern passen. Vor allem aber, lasten wir es dem Spiel an, wenn wir diese Dinge nicht tun. Das Thema „kommt nicht durch“, oder das Spiel ist „eigentlich ganz abstrakt“.

Ähnlich wie unpassend wirkende Vergleiche hinken, kann man sagen dass eine unpassend wirkende Metapher schwer greift. Wenn die Metapher nur mit viel Aufwand das abdecken kann, was sie umschreiben soll, sprich wenn das Thema nur mit viel Vorstellungskraft auf unser Tun übertragen werden kann, geht die Schwere zwischen dem realen Spielvorgang und der metaphorischen Umschreibung auseinander. Das kann zum einen passieren, weil die Metapher des Themas nicht gut ausgearbeitet oder gewählt wurde. Aber es kann auch passieren, weil die Spieler*innen sich die Metapher nicht erschließen können oder wollen.

Die anfänglich erwähnte Inspiration geht oft Hand in Hand mit Vertrautheit. Wir sind sehr viel eher in der Lage die Metapher mit den Spielhandlungen zusammenzubringen, wenn wir mit dem Thema vertraut sind. Oder wenn wir zumindest fassen können, wie die innere Logik des Themas aussieht. Wir mögen vielleicht nicht sämtliche Hintergrundtexte zu den Sardakk N’orr, den Winnu oder der Mentak-Koalition gelesen haben, aber sobald wir die Drohgebärden und Stellvertreterkämpfe von Supermächten während des Kalten Krieges verstehen, eröffnet sich umgehend die thematische Tiefe eines Twilight Imperium.

Aus vergleichbaren Gründen kann die Wahl eines Themas uns aber auch auf Abstand gehen lassen. Die Metapher, welche uns angeboten wird und die ihr zu Grunde liegende Logik und Assoziationen, führen bei vielen dazu, dass z.B. Spiele zum 2. Weltkrieg (a.k.a. Antifa-Europatour) aber auch Spiele die sich mit kolonialistischer Ausbeutung nicht-europäischer Orte kleiden, gemieden werden. Es ist eine für viele Menschen unappetitliche und eher abstoßende Vorstellungswelt, welche man vermeintlich mit den Regelmechanismen beim Spielen in Einklang bringen soll.

Sich eben gegen diese thematische Tiefe zu verwehren, in dem man die abstrakten Regelmechanismen in den Mittelpunkt stellt und die thematische Metapher so weit es geht ausklammert und ignoriert, ist eine gängige Möglichkeit ein solches Spiel dennoch spielen zu können. Denn die Aussicht beim Spielen in den Bahnen dieser Metapher zu denken, ist alles andere als einladend.

Dabei ist gerade das eine wichtige Funktion eines Spielthemas: es muss einladen die eigene Vorstellungskraft beim Spielen einzubeziehen. Statt das eigene Hirn allein auf die Analyse des nächsten Spielzugs zu trimmen, will auch die Kreativität unseres Hirnmuskels sich beschäftigen dürfen.

Wobei natürlich starke Gleichgültigkeit oder Unwissen die Relevanz eines Spielethemas herunterschrauben kann. Wer Spiele nicht als Beschäftigung mit der eigenen Vorstellungskraft schätzt, sondern vor allem als z.B. eine Form des harmlosen Wettstreits oder der persönlichen Herausforderung, wird Themen weder als einladend noch inspirierend empfinden. Ähnlich ist es auch mit Menschen, denen z.B. Fantasy-Inhalte oder Science-Fiction-Konzepte nicht geläufig sind. Auch hier gilt, damit die Metapher greifen kann, benötigt es eine aktive Teilnahme durch die Spielgruppe. Wenn diese weder daran interessiert ist, noch das nötige Vorwissen besitzt, wird das thematische Erlebnis des Spiels dünn bleiben.

Überhaupt ist der fehlende Bezug zu einem Thema eben gerade nicht über die mechanische Einbindung zu erklären. Es ist viel mehr die unzureichende Entwicklung der thematischen Metapher, um das Spielgeschehen sowohl klar als auch auf inspirierende Weise zu kommunizieren. Wenn Spieler*innen nicht motiviert sind, das Thema zu nutzen, um über ihre Spielhandlungen zu sprechen bzw. sich ihre Spielhandlungen mit Hilfe dieser Metapher vorzustellen, bleiben nur noch die Spielmechanismen übrig. Diese sind unvermeidbar abstrakt.

Georgios Panagiotidis
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