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Spielerklärungen – Ein Lied vom Können und Müssen

Ein Spiel zu erklären, gerade wenn es ein eher komplizierteres oder ungewöhnliches ist, stellt immer eine Herausforderung dar. Das liegt natürlich auch daran, dass Menschen neue Inhalte auf unterschiedliche Arten erlernen. Manche benötigen den Dialog. Andere müssen die Spiele mit den eigenen Händen anfassen und ausprobieren und so weiter und so fort.

Wenn man Spiele erklärt, kann man sich zu einem gewissen Grad darauf einstellen. Aber die eigentliche Schwierigkeit liegt an anderer Stelle. Ein Spiel definiert sich über seine Interaktivität. Es definiert sich darüber, dass Spieler*innen handeln und ihre Handlung im Rahmen des Spiels bestimmten Einschränkungen unterliegt. Dementsprechend liegt es nahe bei einer Spielerklärung diese Handlungen und Einschränkungen zu erläutern.

Schnell entsteht aus dieser Erkenntnis die Annahme, dass das Beschreiben eben dieser Einschränkungen ausreicht, um zu erläutern welche Handlungen im Spiel möglich sind. Oder einfacher gesagt: wenn ich aufliste was man alles beachten muss, lässt sich daraus herleiten was getan werden kann.

Nun mag es durchaus zutreffen, dass es Menschen gibt, die aus diesen Angaben eine Handlungsanweisung herleiten können. Wie oben bereits erwähnt, lernen Menschen auf unterschiedliche Weise Neues. Ich kann jedoch selbst bestätigen, dass es ebenfalls viele Menschen gibt, auf die das nicht zutrifft. Oft beobachte ich an mir selbst wie auch an anderen, dass sie derart geschriebene Spielregeln im Kopf umstellen und neu umschreiben, wenn es darum geht sie anderen zu erklären oder überhaupt selbst zu verstehen. Oft lenke ich die Aufmerksamkeit dabei auf die Handlungen der Spieler*innen und weniger auf die Beschränkungen dieses Handelns. Ich erkläre immer erst was man in einem Spiel macht, statt darüber zu sprechen wie unser Handeln – aus Gründen des Spielgleichgewichts oder der Herausforderung – eingeschränkt wird.

Das nun also ist die große Herausforderung einer Spielerklärung. Sie muss in gleichem Maße umreißen was Spieler*innen tun als auch die Einschränkungen dieses Tuns benennen. Denn den Personen am Tisch wird immer eine Doppelrolle zugewiesen. Sie sind Protagonisten und Regelwächter. Sie treiben das Spiel durch ihre Handlungen voran. Aber sie müssen auch sämtliche Einschränkungen und Bedingungen im Kopf halten, um ihre Einhaltung zu gewährleisten und so dem Spiel überhaupt eine erkennbare Form zu geben.

Beide Aufgaben zu erfüllen, wird dabei zunehmend schwieriger, je mehr Regeln das Spiel aufweist. Daher greifen immer mehr Verlage darauf zurück Regelübersichten beizulegen oder durch visuelle Erinnerungshilfen auf dem Spielmaterial den Kopf zu entlasten. Wenn man die Bildsprache auf der Karte, dem eigenen Spieltableau oder dem Spielbrett verstehen kann, entlastet das die Spieler*innen am Tisch. Es gibt ihnen mehr Raum um sich auf das Spiel selbst einzulassen, statt auf die korrekte Ausführung der Spielmechanismen. Das Ergebnis ist ein Spielgefühl, welches flüssiger und leichtfüßiger empfunden wird.

Aber den Weg dorthin muss eine Spielerklärung erst ebnen. Eine vergleichbare Entlastung der Spieler*innen findet hier noch viel zu selten statt. Stattdessen versucht ein Großteil der Verlage einen ganzheitlichen Text zu bieten, der sowohl Handlungen als auch Einschränkungen in einem vermittelt. Es ist ein Spagat, der mit zunehmendem Anspruch der Spiele in nahezu unlesbaren Texten mündet. Mehr noch, es sind Texte, die sehr viel guten Willen und Lernbereitschaft auf Seiten der Spieler*innen einfordern. Die Klassifizierung als „Kenner-“ oder „Expertenspiel“ kann diesen Aufwand zwar ankündigen, aber er ist dadurch noch lange nicht gerechtfertigt.

Eine zielführende Spielerklärung muss daher versuchen so sauber wie möglich zwischen Handlungen und Einschränkungen zu unterscheiden. In gesprochener wie auch geschriebener Form muss kommuniziert werden was Spieler*innen im Spiel tun werden. Es muss aufgezeigt werden in welchen Momenten Entscheidungen nötig sind und welche Einschränkungen für diese Entscheidungen gelten.

Man kann die Regeln eines Spiels als Umzäunung des Spielbereichs verstehen. Sie unterscheiden zwischen dem was für das Spiel relevant ist und dem was es nicht ist. Aber es ist unser Handeln innerhalb dieser Abgrenzung, welches das eigentliche Spielen ausmacht. Wir müssen beides zu einem ausreichenden Maße kennen, um ein Spiel zu spielen. Es ist ein Irrtum zu denken, dass beides gleichzeitig erklärt werden kann.

Darum hat die Zugänglichkeit eines Spiels zu einem kleinen Teil mit seinem Umfang zu tun, sondern vor allem damit wie sauber die Erklärung zwischen der Handlung der Spieler*innen und den Einschränkungen durch die Regeln unterscheidet. Spielen ist im Kern eine handlungsgetriebene Beschäftigung und kein quasi-juristisches Gedankenspiel. Erst muss uns eine Spielerklärung sagen was wir tun, bevor wir uns damit beschäftigen was wir dürfen.

Georgios Panagiotidis
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