Es ist wieder Zeit für das alljährige SdJ-Gerate: Was wird die Jury diesmal nominieren?
Selten war ich so sicher, was meine Tipps angeht wie in diesem Jahr. Und selten habe ich so geschwommen, zu bestimmen Wo die Spiele auftauchen: Auf der Liste zum Kennerspielpreis oder auf der Liste zum Spiel des Jahres? Ich bin mir bei fünf der sechs Titel so sicher wie man sich bei solchen Rateversuchen sein kann, aber nur bei zweien (Planet Unknown beim Kennerspielpreis und Kazooka beim Hauptpreis) bin ich mir ähnlich sicher, auch die Kategorie zu wissen. Ich weiß, ich wiederhole mich jährlich, aber das spricht nicht für die Kommunikation der Jury noch für die Stringenz der bisherigen Nominierungen. Begründen kann man ja immer alles und ich kann mir durchaus auch vergangene Entscheidungen herleiten, aber nicht selten bleibt der Eindruck, ein Spiel, bei dem die Einteilung etwas kniffliger wäre, wird dorthin gepackt, wo halt noch ein Platz für eine Nominierung frei ist. Vielleicht ist dies auch zumindest als angenehmer Nebeneffekt nicht unwillkommen, langfristig wäre es aber besser, wenn man Kennerspiele etwas sichtbarer vom Hauptpreis abhebt und lieber die Anzahl der Nominierungen flexibler gestaltet: Statt fixen drei eben auch mal nur zwei oder vier, wenn die Anzahl der klaren Kandidaten dies bedingt. Wenn ein Preis eine Orientierung bieten will – und das ist ja der sinn des Spiel des Jahres – dann müssen sich ja gerade die Nicht-Informierten ein konkretes Bild machen können, was für eine Niveaustufe mit dem aktuellen Preisträger erwartet. Ich denke, das ist im Moment nicht automatisch der Fall. Ich jedenfalls könnte für fast alle Tipps genauso viele Argumente für rot wie für Anthrazit finden, so dass ich, egal was kommt, eine Begründung parat habe. Doch nachträgliche Erklärungsversuche sind eigentlich kein Ansatz für eine Signalwirkung.
Doch genug dem allgemeinem Blabla, kommen wir ans Eingemachte: Konkretes Blabla.
Beginnen wir mir dem Hauptpreis: Hier vermute ich Challengers, Kuzooka und Die Gilde der fahrenden Händler. Ersteres und letzteres könnten alternativ auch beim Kennerspielpreis auftauchen.
Für Challengers spricht, dass hier ein neues Spielformat vorliegt: Ein Turnierformat wurde bislang noch nicht derart konsequent umgesetzt. Dabei ist der grundsätzliche Ablauf mit den Karten an klassischen Autoquartett-Spielen angelegt (ist es deswegen ein Auto-Battler?) und so halte ich die Einstiegshürde für niedrig. Auf der anderen Seite ist der Ablauf eben ungewohnt und Deckpflege á la Dominion liegt eher in der Sphäre der Vielspielenden. Ich bin nicht zuletzt wegen der Begeisterung, die das Spiel im Juryumfeld hervorruft, überzeugt, dass es nominiert wird. Nur für was ist – siehe oben – eben nicht eindeutig.
Kuzooka ist unter den Spielen, die ich gespielt habe – darunter meine drei „roten“ Nominierungen – mein persönlicher Favorit: Es ist originell, es ist etwas neues, das aber auch Wenigspielende nicht überfordert. Spieldauer und Anspruch passen zudem perfekt zum Hauptpreis und es ist eines der Spiele, die Wenig- wie Vielspielende gleichermaßen ansprechen. Doch trotz alledem und alledem, ist die redaktionelle Bearbeitung suboptimal. Mag die Jury jetzt noch die graphischen Schwächen ignorieren, so könnte die fehlende Regel als Ausrede hinhalten, das Spiel nicht zu nominieren. Allerdings hat der Verlag bereits eine verbesserte Regel nachgelegt. Sowas wird eigentlich auch von der Jury gefördert. Mal sehen. Ich wäre arg enttäuscht, wenn dies fehlen würde.
Die Gilde der fahrenden Händler bekommt im Moment einen enormen „Buzz“ und hat daher Next Station London verdrängt. Ich glaube nicht, dass beide nominiert werden. So viel „& Write“ gabs zwar schon, aber beim Hauptpreis wäre das enttäsuchend. Auch, weil dann vermutlich Kazooka das leidtragende Spiel wäre (außer, eines der beiden landet beim Kennerspiel… ja, ist ja schon gut). Was für die Gilde spricht, ist dass es zumindest optisch mehr als ein normales „&Write“ ist, weil ja gebaut wird. Das Aufbauen kann bei weniger analytischen Publikum – und das meine ich nicht negativ – durchaus als ein „normales“ Spiel gesehen werden, wo man eben kleine Häuschen baut. Es sind einige nette Entscheidungen drin, die es bei anderen Spielen des Genres so noch nicht gab, mir gefällt insbesondere, das man Aktionen aufwerten kann und so das Spiel asymmetrischer wird. Ich bin nicht absolut begeistert, dazu ist mir das alles etwas zu herkömmlich und fummelig- aber es ist sehr solide und das mag die Jury ja. Die fand ja auch den Kartographen deutlich spektakulärer als ich.
Next Station London – quasi mein Ersatztipp – hat ebenfalls viel Buzz bekommen und hat ebenfalls eine neue Idee: Verschiedene Buntstifte! Das habe ich aber tatsächlich nicht gespielt und kann daher nicht beurteilen, ob es vielleicht doch irgendwo vorbeizieht. Oder ob das ganze Wertungsgelöte, das bei solchen „&Writes“ immer eine Rolle spielt, diese nicht immer gleich in den Kenenrbereich heben.
Im Kennerspielpreis habe ich gegen den ausdrücklichen Rat von Fjelfras und anderen im Discord Dorfromantik angesiedelt. Ich habe es nicht gespielt, weil es mich so wenig reizt; Gerade bei Plättchenlegespielen mag ich das Scheitern und Bangen und Mitfiebern und weniger das Wohlfühllegen. Es wäre aber dumm, dieses Spiel nicht auf dem Zettel zu haben, wenn man sieht wie das Spiel in der Szene und der Jury angekommen ist. Ist der Einstieg wirklich leichter als bei My City (Kennerspielnominierung)? Viele sagen ja, aber ich weiß nicht ob die Bereitschaft von Wenigspielenden, eine lange Kampagne anzufangen, überschätzt wird. Taktisch wird es kaum in derselben Kategorie landen, wie Challengers, sind das doch die beiden größten Titelkandidaten.
Planet Unknown sollte noch rechtzeitig erschienen sein, um noch in den Kennerspielpreis reinzusliden – wenn es nicht zu kompliziert ist (Ich habs noch nicht gespielt). Mir scheint es vom Anspruch her noch komfortabel im Möglichen zu sein, auch weil die Mechanismen bekannt sind. Auch hier ein solides Legespiel – ein Trend – verknüpft mit einem soliden Engine Builder (auch ein Trend) und auch eines das viel positiven Zuspruch bekommt.
Beim dritten Nominierten bin ich tatsächlich weniger sicher. Ich tippe auf Council of Shadows. Das ist ganz klar ein Kennerspielkandidat und Alea-Spiele haben immer gute Karten von der Jury berücksichtigt zu werden. Dabei vermute ich weniger einen Bias (obwohl ich den nicht ausschließe) sondern eher, dass die Alea-Marke genau für die Art von Spielen ins Leben gerufen wurde, die auch vom Kennerspielpreis abgedeckt werden will. Ich hoffe aber insgesamt, dass die Jury einen Cryptid-Move macht und sich den Luxus gönnt ein wirklich originelles Spiel zu nominieren: Q.E. Auch hier ist die Jury sehr angetan, aber komischerweise wird hier betont, dass es kein Spiele für alle ist. Das trifft durchaus auf alle Spiele zu, aber bei einem -beispielsweise – kooperativen Legespiel sind die Vorbehalte anscheinend kleiner. Auf der Empfehlungsliste sehe ich es auf jeden Fall (alles andere wäre ein Europa-Tour großes Versäumnis), aber ob sich die Jury zu einer Nominierung durchringen kann ist auch eine Frage des Mutes. Auch hier wäre die Einteilung zum Kennerspiel gesetzt, Versteigerungsspiele, insbesondere welche ohen Geld, haben nun einmal eine ganz natürliche Einstiegshürde, weil es schwierig ist, selbstständig ein sinnvolles Gebot zu eruieren.
Zu Raten, was man auf der Empfehlungsliste findet, ist müßig, weil das eben, nunja, Empfehlungen sind, die mal erwähnt werden sollten, für die aber weniger Hürden gelten – auch weil die Länge der Liste nicht fix ist und die Jury keine Entschuldigungen finden muss, etwas nicht zu empfehlen. Neben den bereits erwähnten Spielen, die es dann doch nicht zur Nominierung gebracht haben, erwarte ich Hitster (keine Nominierung wegen Spotify, außerdem ein Quizspiel), entweder Thats not a hat oder Order Overload Cafe (Memo-Spiele, zudem zu „klein“ für den Hauptpreis, damit meine ich weniger dass keine Kartenspiele nominiert werden – das wäre ja falsch – sondern, dass die Spiele als Memo-Kartenspiele zu wenig Werbung für sich selbst machen, es zu wenig klar ist, warum die anders sind als Kinder-Memospiele) aber nichr beide, Turing Machine (zu solospielig für den Hauptpreis) und Spaceship Unity, schlicht um das Konzept zu würdigen. Wobei ich mir statt letzterem auch gut das handlichere und zugänglichere Noobs vorstellen kann.
Mit Heat rechne ich dagegen nicht, weil die Vertriebslage zu unsicher ist. Die Jury wurde sicherlich komplett damit bestückt, aber gelesen habe ich von der darüber auch noch nichts. Das wäre nach Flamme Rouge von denselben Autoren, das auch wegen des Erscheinungszeitpunktes vermutlich keine Beachtung fand, etwas tragisch, aber es wäre eine richtige Entscheidung. Niemand möchte ein Nicht-verfügbares Spiel des Jahres. Vor allem wenn es genügend andere Kandiaten gibt.
Insgesamt gibt es mit Dorfromantik und Challengers dieses Jahr zwei klare Kandidaten, darüber hinaus eine Menge solide Spiele und ein wirklich gutes (Kuzooka), das aber redaktionell nicht gerade optimal betreut wurde sowie einen Sylvester-Gewinner (Q.E.), der aber spielerisch etwas speziell ist. Beim Schreiben ist mir aufgefallen, wie sehr ich der Jury unterstelle ein solides Spiel ohne Kanten über ein besonderes Spiel mit Fehlern zu stellen. Das kommt nicht von ungefähr – die Jury hat in den Jahren (nicht zu Unrecht) betont, dass sie großen Wert auf gute Regeln legt. Das darf aber natürlich nicht dazu führen, dass spielerisch stets der solide Mittelweg eingeschlagen werden sollte. Das ist vielleicht eine Diskussion, die bis nach den Nominierungen warten sollte, aber Challengers ist das einzige Spiel, dass sowohl weitestegehend fehlerfrei ist (wobei ich das selber nicht besitze, so dass ich die Regel nicht wirklich berurteilen kann), als auch eine gewisse Originalität besitzt.
Ich persönlich merke wie wenig ich von dem Jahrgang aus Spiel-des-Jahres-Sicht begeistert bin. Ich habe schon sehr gute Spiele gespielt, aber ich merke dass mich viele „Hype“-Titel kalt lassen. In den Nuller Jahren als die „komplexen Euros“ die Spieleszene dominierten, ging es mir ähnlich, jetzt sind es eben Spiele, bei denen alle mehr oder minder nebeneinander Puzzles lösen, bei denen gegeneinander verschachtelte Wertungssysteme zu optimieren sind. Das kann mir durchaus Spaß machen, es sind einfach sehr, sehr viele Spiele dieser Art und ich weiß nicht wie viele ich davon tatsächlich „brauche“ und ob Wertungssystem A wirklich so viel neu und anders ist als Wertungssystem B. Diese Spiele sind alle super-solide, aber meistens gelüstet es mir nach mehr als nur nach einer Aufgabe. Das besondere, das begeisternde fehlt mir persönlich bei vielen Spielen in diesem Jahrgang. Aber das ist ein anderes Problem.
ciao
peer
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