Autoren: Céline Pieters, Raphaël Vanleemputten
Verlag: Éditions Fika/Asmodee
Für 2-12 Spielende ab 12 Jahren (vermutlich am besten 4-6)
Spieldauer: 45 Minuten
Der leider viel zu früh verstorbene Spieleautor Franz-Benno Delonge wurde einmal gefragt, ob er auch einmal ein Spiel über seinen Beruf – Richter – machen würde und seine Antwort war: „Unwahrscheinlich. Das Thema ist extrem ungeeignet“. Wenn man das Thema „realistisch“ abbilden möchten, mag da etwas Wahres dran sein (Wer will schon Verwaltungsarbeit nachspielen). Doch ähnlich wie Piraten in Spielen nie wirklich realistisch abgebildet werden, spricht wenig dagegen, sich am von Serien und Filmen geprägte Bild zu orientieren. Perry Mason oder Matlock könnten durchaus als Vorlage für ein Krimispiel dienen und wären eine Abwechslung vom Sherlock-Holmes-inspirierten Vorlagen.
Auf den ersten Blick versucht Im Namen des Volkes genau das: Es gibt einen Krimifall und die Spielenden sollen in die Rolle von Geschworenen herausfinden, ob die Angeklagte tatsächlich schuldig ist. Doch Im Namen des Volkes orientiert sich nicht nur vom Setting und einigen inhaltlichen Punkten am Film die 12 Geschworenen: Basierend auf dem mir vorliegenden Fall scheint mir ziemlich deutlich zu sein, dass dieses kleine Kartenspielreihe (in Belgien sind bereits 6 Fälle erschienen) die Mitspielenden auch zum Nachdenken über Rechtssystem und Gerechtigkeit anregen möchte. Das ist ein ambitioniertes Konzept.
Die Spielstruktur ist zu diesem Zwecke durchgescriptet: Die Karten von 1-12 werden verteilt, nacheinander durchgelesen und befolgt. Bereits am Anfang sollen sich alle im Spiel der Gerechtigkeit verpflichten. Nacheinander kommen nicht nur neue Informationen ans Licht, die den Fall z.T. in ein anderes Licht rücken, die Spielenden werden auch explizit aufgefordert zu diskutieren oder ein Meinungsbild zu erstellen und an einem Punkt sollen sie sich explizit zum Thema „Gerechtigkeit“ äußern. Da der Fall einige Grauzonen enthält, macht es auch Sinn, dass am Ende statt eines gemeinsamen Rateversuches eine geheime Abstimmung steht: Wofür wird sich die Mehrheit entscheiden?
In der Didaktik ist es ein Schlüsselkonzept, dass einer Lerngruppe klare Impulse, klare Aufgaben gegeben werden müssen. Dazu muss das Lernziel klar erkennbar sein – Wenn dem Lehrkörper nicht klar ist, worum es gehen soll, wie dann die Lernenden?`
Für mich drängt sich der Eindruck auf, das Autorenpaar konnte sich nicht ganz entscheiden, welche der beiden Ansätze ‑Krimifall oder Überlegungen zum Rechtssystem ‑ weiter verfolgt werden sollte; denn beide Wege werden nur teilweise beschritten. Im Ergebnis wissen die Spielenden nicht, worin die Herausforderung bestehen soll und wie sie das Spiel tonal lesen sollen. So gibt es im Spiel Prompts, auf denen eigentlich nur „Diskutiert, ob die Angeklagte schuldig ist!“steht ‑ das tun die Spielenden aber von selbst, sobald sich neue Fakten ergeben – darf man das nicht? Soll man das? Oder wie? Andere Elemente wie das Meinungsbild oder die erwähnte Karte, die explizit zur Definition von „Gerechtigkeit“ auffordern, werden weder eingeführt noch nach Verwendung wieder aufgegriffen. Was das Spiel mit diesen Elementen bezweckt bleibt so unklar. Nur ihre Existenz deutet daraufhin, dass hier mehr vorliegen soll, als ein Krimirätsel (für das man thematisch passender alle Fakten am Anfang hätte präsentieren können). Es bleibt den Spielenden überlassen, die von den Autoren geschaffene Lücke zu füllen und dazu bietet das Spiel schlicht zu wenig an; die Promptkarten wirken ehrlich gesagt, als wäre den Spieleschaffenden nichts so richtiges eingefallen.
Mit klareren Impulsen, besseren Prompts und einer knackigeren Story, hättte Im Namen des Volkes vielleicht den angedeuteten Anspruch erfüllen können. Ich fühlte mich beim Spielen ein wenig an Tough Calls erinnert: Dort waren Impulse und Ziele klarer, die Prompts deutlich besser und die Spielenden nahmen dadurch auch automatisch Gegenpositionen ein, aufgrund dessen es zu Diskussionen kommen kann. Tough Calls scheiterte jedoch an einer fehlenden Auflösung. Diese Auflösung dagegen hat Im Namen des Volkes ja: Am Ende steht ein Urteil. Eine gelungene Kreuzung aus beiden Spielen wäre wirklich etwas Spielenswertes. So bleibt das Spielerlebnis leider sehr unbefriedigend.
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