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Wenn ein alter Mann über die Wolken redet…

Woran ich merke das ich alt werde? Ich werde immer pessimistischer. Da kündigt Ravensburger ein neues Trading Card Game (TCG) an und ich reagiere nur mit einem Schulterzucken. TCGs sind so verdammt 90er und vielleicht noch 00er. Aber Welche neuen TCGs sind in den letzten 10 Jahren rausgekommen? Kein Erwähnenswertes. Warum ist das also so eine große Meldung?

Ich vermute, weil die meisten, die darüber reden, älter sind und die crazy Zeit miterlebt haben. Aber schauen wir mal wer heute noch TCGs spielt.

Magic The Gathering ist der Platzhirsch. Sie haben den Bonus, das erste gewesen zu sein und sie haben viele Jahre vieles richtig gemacht und haben zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Weichen gestellt. Zum Beispiel ist eins der größten Probleme, die Spieler reinzubekommen, das Beibringen der Regeln. Solange das auf dem Schulhof passiert, funktioniert es sehr gut, als die Spieler älter wurden, musste ein anderes System her. Und darauf waren sie vorbereitet, indem sie Arena parat hatten: eine Computerspielumsetzung. Die Leute konnten die Regeln schnell lernen und es gab einen Gutschein für echte Karten in einem Laden. Die Leute wurden dahin gezogen, wo sie andere Spieler trafen, wo sie merkten, das Spiel ist mehr als das bisschen am Computer und sie die faszinierende Community kennenlernen konnten. Auch sonst machen sie viel richtig und werden wohl noch lange bestehen. Fast 30 Jahre Geschichte zeigen das. Die Pflege des Sekundärmarktes hilft daneben zusätzlich.

Dann gibt es Pokémon. Das Spiel war um die Jahrtausendwende ein Riesending, dagegen sah alles andere winzig aus. Es war 20-mal so groß wie Magic, ohne dass Magic auch nur einen Cent verloren hatte. Pokémon ist vermutlich auch das Spiel mit dem höchsten Auf und Ab in seiner Geschichte. Es gab immer wieder Phasen, wo es mehr gekauft wurde und Phasen, wo es weniger Umsatz generierte. Aber es wurde immer mehr gekauft als gespielt. Dem Verlag konnte das recht sein. Während in den ersten Jahren vor allem die Fernsehserie und die Game Boy Umsetzung ihren Beitrag geleistet haben, gab es andere Aufschwünge gerade durch neue Nintendo-Spiele. Und schließlich einen weiteren durch Pokémon Go. Und schließlich die Twitcher, die alte Kisten kaufen und die Booster live aufmachen und die Karten vorher versteigern, bevor der Booster geöffnet wird. Das Spiel dahinter ist gar nicht mal schlecht, aber die allerwenigsten spielen es auch.

Die Nummer 3 ist Yu-Gi-Oh!. Basierend auf einem Manga und einem noch größeren Anime, welche damals etwas von Magic inspiriert war, aber völlig Japansich-typisch abgehoben war. Yu-Gi-Oh! wird viel gespielt und Turniere mit vierstelligen Teilnehmerzahlen machen das deutlich. Die Fernsehserie zeigt auch immer wieder, dass gespielt wird und der Wettkampf im Vordergrund steht.

Diese Spiele sind bekannt und auch in jedem Hobby-Laden zu bekommen. Auch wenn in den letzten 30 Jahren noch rund 500 andere TCGs rausgekommen sind, so sind sie alle wieder eingegangen. Ob mit Würfeln oder nur mit Karten. Die wenigsten konnten überleben. Spiele wie Dicemasters leben mehr vom günstigen Preis als der Marvellizenz, und Flesh and Blood werden die meisten Leser dieser Zeilen vermutlich noch nie gehört haben, und das, obwohl es die Nummer 4 am Markt ist, wenn auch weit hinter den ersten 3.

Nun kommt also Ravensburger und kündigt ein neues TCG an. Eins mit einer Disneylizenz. Und alle halten den Atem an und vermuten das nächste große Ding. Aber wird es das? Ich habe da meine Zweifel. Aber lasst uns die Pros und Cons mal durchgehen.

Spielmechanik: Das Spiel soll eine Neuauflage von Behind sein, habe ich gehört. Ein Spiel, das Ravensburger damals noch unter dem Label Fishtank rausgebracht hat. Das Spiel war wohl klasse, was ich von so manchen gehört habe. Selbst habe ich es nie gespielt. Vermutlich haben sie an den Regeln noch etwas geschraubt. So dass ich hier ein deutliches Plus ansetzen würde. Vermutlich würden es auch noch ein paar mehr anspielen, wenn es kein TCG wäre.

Lizenz: Wenn Ravensburger etwas kann, dann Lizenzen. Disney Villainous ist ein sehr großer Erfolg mit mehreren Erweiterungen und sogar schon einem Marvel Ableger. Auch die etlichen Spiele mit Filmlizenzen verkaufen sich prächtig. Aber schauen wir mal, was das für Filme sind. Lauter Klassiker aus den 70er und 80ern. Ist irgendein moderner Film dabei? Wonder Woman vielleicht. Die Zielgruppe ist hier deutlich die Generation, die sich an diese Filme erinnert und das Geld hat diese zu spielen. Keins der Spiele macht die Jüngeren an. Auch Villainous kaufen Eltern, die dann ihren Kindern nochmal die alten Disneyfilme zeigen können, um das mit ihnen zu spielen. Und diese Lizenz soll also ein TCG-Geschäft aufrechterhalten? Ich habe da meine Zweifel. Ich gönne ihnen den Erfolg, aber ich sehe es nicht. Es gab auch genug andere Lizenzen, wo man sich vieles erwartet hätte, wie Star Wars, Star Trek, Herr der Ringe, Simpsons, aber keins davon konnte lang genug durchhalten.

Das Modell: Kommen wir zum größten Problem. Der Vertrieb als TCG. Viele hatten irgendwann keine Lust mehr auf das blinde Kaufen und Hoffen was Großartiges zu ziehen. Dafür hatte FFG mit den Living Card Games (LCGs) eine Lösung. Aber selbst davon geht man weg, weil die Leute keine Lust auf viele Erweiterungen haben und den Überblick verlieren. Arkham Horror und Herr der Ringe kommen nun in großen Boxen raus wie klassische Brettspielerweiterungen. Die älteren Käufer bekommt man kaum für TCGs. Die jüngeren aber sind schwer zu bekommen. Und es gibt hier keine konkrete Fernsehserie, keinen konkreten Comic und kein konkretes Computerspiel, um die Leute reinzuziehen. Zumindest keine von denen ich wüsste. Also müssen Demos gegeben werden. Und bei einer jüngeren Zielgruppe, bleiben von 1000 Demos etwa 100 Leute hängen. Von den 100 spielen aber maximal 10 noch nach einem Jahr mit. Rechnet mal hoch, wie viele Demos gegeben werden müssen, damit das Geschäft dauerhaft aufrechtbleibt. Gerade bei TCGs kannst du auf Grund der Randomisierung nur durchhalten, wenn die Auflage groß genug ist. Denn Kartenseltenheiten, die in einem Booster nur einmal drin sind, haben ihren eigenen Druckbogen und auch der hat eine Minimalauflage, damit sich die Einstellung der Maschinen lohnt.

Ich gönne es Ravensburger, damit Erfolg zu haben. Vor allem wenn das Spiel solider ist als so manch anderes Spiel auf dem Markt. Die aktuelle Situation mag ja auch verführen, dass da Luft drin ist und Platz für einen weiteren Wettbewerber. Aber um als TCG dauerhaft durchzuhalten, muss auch nach 3 Jahren noch ein Verkauf von einem neuen Set funktionieren. Und das ist herausfordernd. Und da bin ich pessimistisch auf meine alten Tage. Aber ich gönne Ravensburger den Versuch.

Matthias Nagy
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