spielbar.com

Verstehen Sie Nichtspieler*innen?

Viele von uns teilen den Spaß und die Freude, die Brettspiele ermöglichen, gerne mit anderen Menschen. Wenn es sich ergibt auch mit Menschen, die Brettspiele selten spielen oder deren letzte Erinnerungen an Brettspiele noch mit Erdkunde-Hausaufgaben oder dem ersten eigenen Handy verknüpft sind. Diese sogenannten Nichtspieler*innen sind auch aus Sicht der Verlage eine hoch attraktive und stark umworbene Zielgruppe. Stellt sie doch einen potentiell riesigen Markt dar, der die Kaufkraft des etablierten Vielspielermarkts um ein Vielfaches übersteigt.

(Am Rande: Ich nutze hier den Begriff Nichtspieler*in mit etwas Unbehagen, da ich nicht der Meinung bin, dass eine solche Gruppe in irgendeiner nennenswerten Größe existiert. Wer seit der Veröffentlichung von Die Siedler von Catan irgendwie Bewusstsein erlangt hat, wird seitdem gespielt haben und vermutlich immer noch in irgendeiner Form spielen. Auch wenn es nicht die in der Szene bejubelten Werke sind, aber Spiele wie Kniffel, Uno, Jenga und auch Werwolf sind mehr als ausreichend, um sich als Spieler*in zu verstehen.)

Mein Eindruck ist aber, dass diese Gruppe in der Szene oft sehr mythologisiert werden. Es wird ihr Eigenschaften und Überzeugungen zugesprochen, die sie zu einer sehr dehnbaren und für alle möglichen Diskussionen dienlichen Personengruppe machen, um mal dieses und mal jenes stichhaltige Argument zu ersetzen.

Nichtspieler*innen wird viel angedichtet. Unter anderem eine starke Aversion Regeln zu lesen oder zu lernen. Aber es heißt auch, dass sie wahlweise nicht willens oder fähig sind ein Spiel zu spielen, welches eine bestimmte Spieldauer überschreitet. Alternativ machen sie auch einen großen Bogen um Spiele, die erfordern, dass man Entscheidungen an Hand mehrerer Abwägungen fällen muss. Auf Komplexität reagieren Nichtspieler (homo sapiens non ludicae) wie die Hauskatze auf eine volle Badewanne. Alternativ dienen Nichtspieler*innen aber auch als unangreifbarer anekdotischer Beweis, um irgendein ein beliebiges Argument zu einem Spiel zu untermauern. Die Illustrationen verschrecken sie, oder ziehen gerade diese Gruppe an. Die Regeln sind zu kompliziert, oder gerade einfach genug. Das Spielerlebnis ist viel zu konfrontativ oder nicht interaktiv genug, usw. usf.

Nichtspieler*innen sind gerade wenn man klug über Spiele referieren will, ein Segen.

Ist Spiele kennen nicht auch eine Art Büchse der Pandora? (Nein.)

Man kann ihnen immer eine naiv-kindliche Unschuld zusprechen, dass sie Spiele einfach nur als Spiele verstehen, da sie vom bedrohlichen Wesen des Kennerwissens verschont worden sind. Warum nun ein Spiel weniger als Spiel wahrgenommen werden sollte, weil man sich näher damit beschäftigt, ist mir allerdings nicht ganz klar. Ein Film ist auch dann noch ein Film, wenn man den Subtext erkennt und ihn als solchen benennen kann. Die Vorstellung, dass die Freude an einem Film (oder einem Spiel) plötzlich verschwindet nur weil man sich tiefer damit befasst, scheint mir doch arg konstruiert und rückschrittlich zu sein.

Aber die vielleicht mächtigste und außergewöhnlichste Eigenschaft der Nichtspieler*innen ist, dass angeblich nur wenige Vielspieler*innen sie wirklich verstehen und begreifen können. Die gemeinen Vielspieler*innen sind schlicht zu tief in ihrer kleinen Blase gefangen und ohne jegliche Selbstwahrnehmung ausgestattet, um noch in der Lage zu sein auf Menschen eingehen zu können, die weniger Fachkenntnis besitzen als sie selbst. Mehr noch, es fällt ihnen sogar schwer andere Spielvorlieben als die eigenen wahrzunehmen und nachzuvollziehen.

Mir persönlich liegt das sehr quer im Magen. Ich halte diese Typologisierung von Menschen mit weniger Spielerfahrung als man selbst für bevormundend und herablassend. Sicherlich bedeutet mehr Spielerfahrung auch oft ein bewussteres Auseinandersetzen mit dem Medium, ob nun auf strategischer, ästhetischer oder sogar kulturwissenschaftlicher Ebene. Aber oft schwingt im Gespräch über Nichtspieler*innen die Annahme mit, dass diese einfachere, kürzere und vor allem seichtere Spielerlebnisse nicht nur bevorzugen, sondern auch nur dafür bereit wären.

Ein Begriff, der anfangs behelfsmäßig aufgegriffen wurde, hat sich verselbstständigt

Nichtspieler*innen sind keine homogene Gruppe. So bequem es auch sein mag, sie auf bestimmte Vorlieben, Neigungen oder Verhaltensweisen zu reduzieren, ist das einzige was Nichtspieler*innen wirklich gemeinsam haben die verhältnismäßig geringe Erfahrung mit modernen Brettspielen.

Diese Unerfahrenheit kann verschiedene Gründe haben. Manche haben noch immer schlechte Erinnerungen an Spielrunden aus der Vergangenheit, die sie im Glauben lassen, dass man in Spielen immer hoch verbissen um den Sieg ringen muss. Manche sind davon überzeugt dass man nur mit lückenloser Regelkenntnis sinnvoll an einem Spiel teilnehmen kann; oder dass Spiele allein davon handeln sich metaphorisch Knüppel zwischen die Beine zu werfen, etc. Alles das können Gründe sein, weshalb Nichtspieler*innen wenig dazu bewegt hat sich näher mit Spielen zu beschäftigen.

Aus einem weit gefassten Begriff, der Erfahrungsunterschiede benennen sollte, ist ein Spielertypus abgeleitet geworden, dem ein bestimmter Spielgeschmack, ein begrenztes Maß an Motivation und in manchen Fällen sogar eingeschränkte Lernfähigkeit angedichtet wurde. Meine Kritik ist nicht, dass es solche Menschen nicht gibt, sondern dass diese Verallgemeinerung störend bis hinderlich ist.

Vielleicht wurde der Untertitel etwas zu ernst genommen?

Erfahrenere Spieler*innen werden dazu verleitet sich Vorurteile anzugewöhnen, die den Austausch mit weniger erfahrenen Spieler*innen erschweren. Über allem steht der absolut toxische Gedanke, dass sich diese zwei Gruppen im Normalfall nicht verstehen können. Auf der einen Seite wird suggeriert, dass Vielspieler*innen sich in ihrem Elfenbeiturm verlaufen haben und „normale“ Leute nicht mehr verstehen können. Alternativ wird die Unerfahrenheit der Nichtspieler*innen zur Anspruchslosigkeit umgedeutet. Beide Ansätze sind ausgrenzend und wie man heute sagt: gatekeeping.

Auf der einen Seite müssen Nichtspieler*innen erst beweisen, dass sie für modernere Designs offen sind, in dem sie sich von einer seichten Spielerfahrung nicht abschrecken lassen. Auf der anderen Seite, nehmen sich einzelne Stimmen heraus Nichtspieler*innen besser, umfassender und auch wahrhaftiger zu verstehen als andere Menschen, die sich in der Szene bewegen.

In beide Richtungen führt die Dehnung des Begriffs Nichtspieler*innen dazu, dass wir Menschen nicht zu Wort kommen lassen oder ihnen den Zugang verwehren sich über das Medium auszutauschen. Der Begriff hat seinen Zweck: als sehr grobe Einordnung wie viel Vorwissen man voraussetzen kann. Mehr kann der Begriff aber nicht leisten.

Die eigentliche Hürde findet sich meiner Meinung nach darin den Kern der gemeinschaftlichen Aktivität Nichtspieler*innen unabhängig von den Eigenheiten des konkreten Spiels nahe zu bringen. Man muss hier ein nicht gerade geringes Maß an sozialer, kommunikativer und auch didaktischer Kompetenz mitbringen, um zu einer positiven ersten Spielerfahrung zu gelangen.

Das mag auch erklären, warum man Nichtspieler*innen ein Faible für kurze Spiele mit wenigen Regeln unterstellt. Als Erklärer*in (in Wort, Bild oder Schrift) nimmt man sich damit viel Druck. Den Kern der Spielerfahrung mit drei Regeln und 20 Minuten Spieldauer zu vermitteln, ist nun mal einfacher als das Gleiche an Hand von 28 eigenartigen Regeln, 47 speziellen Ausnahmen und 148 Kartenkombination zu versuchen. Es ist genauso möglich, aber das Risiko zu scheitern ist nun mal deutlich größer.

Nichtspieler*innen sind kein eigener Spieler*innentypus. Es ist sogar anzunehmen, dass sie in ihren Vorlieben und ihrem Spielverhalten viel größere Unterschiede zu einander aufweisen, als es Vielspieler*innen untereinander tun. Anstatt also Pauschalaussagen über Nichtspieler*innen und ihre Vorlieben und Neigungen zu treffen, ist es vielleicht sinnvoller zu schauen wie wir als Vielspieler*innen dafür sorgen können, dass fehlende Vorkenntnis effektiv kompensiert werden kann, wenn wir uns an einen Tisch setzen.

Georgios Panagiotidis
Letzte Artikel von Georgios Panagiotidis (Alle anzeigen)