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Spiel des Jahres Preview

Kommenden Samstag wird das Spiel des Jahres und das Kennerspiel des Jahres gekürt. Ich werde im Urlaub sein. Tatsächlich stecke ich in den Vorbereitungen und habe nicht wirklich den Kopf frei für tiefsinnige Gedanken. Aber Kommentare über die nominierten Spiele, das ist immer drin!

Ich hatte bereits mit mäßigem Erfolg versucht die Nominierungen zu raten und anschließend zusammen mit Georgios eine Einschätzung gegeben. Jetzt will ich ein bisschen vorhersagen, was kommenden Samstag passiert und etwas genauer auf die Nominierungen eingehen.

Dieses Jahr gab es eine subtile Änderung: Die Preisverleihung findet bereits am Samstagabend statt, sonst geschah dies immer Montagvormittags. Dieses Jahr ist es für mich -siehe oben – wuppe, generell ist es für mich persönlich Samstags besser. Fällt die Preisverleihung einmal nicht in die Ferien, wäre es mir so möglich an der Veranstaltung teilzunehmen. Ich denke für die meisten anreisenden Content-Betreibenden ist es so günstiger, ggf. muss kein Tag frei genommen werden. Problematischer allenfalls für die BerlinCon, die das Samstagabend-Programm umstellen muss (oder auch nicht, die meisten der dortigen äste, sind eh bei der Preisverleihung nicht geladen). Eventuell verliert sich der Preis an einem Samstag abend auch eher –  viele Leute schauen dort nicht ins Internet und auch der Sonntag ist oft etwas „tote Zone“ was Meldungen betrifft. Aber das ist wirklich Beckmesserei und vermutlich gar kein Problem. Es werden so oder so einige meckern und einige beglückwünschen und einige darüber philosophieren das Catan jetzt den grauen Pöppel bekommen würde oder dass die Jury nicht mehr ernst zu nehmen ist oder wasweißich.

In dem verlinkten Artikel über Catan habe ich über Weight gesprochen. Es ist eine sehr problematische Größe, da sie in Prinzip nur die durchschnittliche Einschätzung des Schwierigkeitsgrades misst – aber es ist die beste, die ich habe und ich hoffe, dass es zumindest einheitlich problematisch ist. Betrachtet es einfach als Fantasy-Skala! Die letzten fünf roten Pöppel hatten folgende Wertungen: Kingdomino 1,2 – Azul 1,8 – Codenames 1,3- Just One 1,06 – Pictures 1,0 – MicroMacro 1,12

Die Nominierungen: Top Ten 1,06 – Cascadia 1,9 – 1,31. Alle drei liegen im Bereich der vorherigen Preisträger (Cascadia überraschenderweise eine Zehnerstelle über Azul) und sind von der Warte aus gleich wahrscheinlich.

Scout ist ein Kartenspiel, davon gab es noch nicht allzu viele Preisträger – zumindest wenn man Partyspiele wie Codenames oder Just One ignoriert. Bei Scout geht es darum die Hand zu leeren, in dem man sich mit Kombinationen überbietet. Das ist die Ostasiatische Schule der „Ladder Games“, basierend auf „Big Two“, in der Szene vor allem bekannt durch Tichu oder Zoff im Zoo. Der neue Kniff ist nun, dass die Hand nicht sortiert werden kann und das nur nebeneinanderliegende Karten als Kombination ausgelegt werden kann. Zudem endet die Runde sofort, wenn eine niemand eine Kombi toppt. Damit das funktioniert ist die Alternative zum Auslegen das Verringern der Auslage – man zieht eine Karte aus der letzten Kombination und nimmt sie auf die Hand. Da jede Karte zwei Werte hat, ist man flexibel und kann früh im Spiel sogar versucht sein, eine Karte zu nehmen, obwohl man auch auslegen könnte. Kartenpflege ist etwas feines! Aber riskant, denn Handkarten zählen potentiell Minuspunkte, wenn die Runde endet, weil auf die Nachfolgenden kein Verlass ist. Scout ist herrlich knifflig, mit neuartigen Mechanismen, das sich dennoch fast wie ein klassisches Kartenspiel anfühlt. Das könnte ich durchaus den ganzen Abend spielen, so wie Skat oder so. Von den drei Nominierten klar mein persönlicher Liebling. Aber ich bin nicht die Zielgruppe. Ich weiß nicht in wieweit das Wenigspieler:innen anspricht, gerade weil es ein bisschen nach Skatturnier und DoKoabend riecht (nur mit einfacheren Regeln). Tatsächlich räume ich diesem Spiel die geringsten Titelchancen ein – 10% etwa.

Cascadia habe ich ausführlich rezensiert. Es gibt nicht viel hinzuzufügen; Es sieht gut aus, Regeln sind klar, es ist solide. Solide. Von den dreien gefällt es mir am wenigsten; nicht dass ich es doof finde oder so, ich spiele es gerne mit, wenn es gefragt sein sollte. Aber: Wenn ich es nicht mehr spielen würde, würde mir auch nichts fehlen. Als Titelträger rechne ich dem Spiel dennoch größere Chancen aus, weil es eben so klassisch ist. Es würde alle jene beruhigen, die „sich endlich mal wieder ein richtiges Spiel“ als Titelträger wünschen. Aber auf die hat die Jury noch nie gehört, daher gebe ich ihm nur 40% Titelchancen. 10% weniger als

Top Ten. Wie sagte schon Jürgen Klinsmann; „Das ist ein Spielspaß, wo man schwer beschreiben kann“. Auf den ersten Blick geht es nur darum die Aussagen der anderen in eine Reihenfolge zu bringen. Tatsächlich geht es aber darum die eigene Zahl irgendwie sinnvoll zu kommunizieren und ins Verhältnis zu den anderen zu setzen. Georgios hat dies in seiner Rezension bereits beschrieben. Zudem muss man die Entwicklungsarbeit des Spieles bewundern: Die Karten sind lustig geschrieben und gut ausgewählt. Das Spiel ist in dieser Umsetzung mehr als nur die reine Idee. Das Resultat ist wirklich witzige Improvisation, die selbst einige meiner hartgesotteneren Vielspieler Spaß bereitete. Ich mag Scout einen Ticken mehr, auch weil es von der Mitspieleranzahl besser passt – aber Favorit ist Top Ten. Auch weil es sich am besten in die Reihe der vergangenen Preisträger einfügen würde.

Kommen wir zu den Vielspielerspielen:

Cryptid ist sicherlich die positive Überraschung bei den Kennerspielen: Ich jedenfalls hatte nicht damit gerechnet! Es ist ein lupenreines Deduktionsspiel, bei dem alle Beteiligten eine Information kennen (z.B. „Im Wasser“ oder Max. 3 Felder von einer Struktur entfernt“). Zusammengenommen ergeben diese Informationen die Lage von genau einem Feld. Das gilt es zu finden. Der Clou: Immer wenn man etwas abfragt, gibt man Informationen an alle. Dadurch lassen sich die Hinweise der anderen deduktiv ermitteln und somit auch das gesuchte Feld. Und ja, das ist reine Deduktion… zu dritt. Je mehr mitspielen, desto eher wird es irgendwann fast zu einem Wettspiel. Wenn nur noch wenige Kandidaten in Frage kommen, wenn ich dran bin: Will ich dann wirklich riskieren, dass jemand anderes schneller ist? Oder rate ich einfach, auch wenn dann die anderen bei einem Fehlversuch wertvolle Infos bekommen? Je nach Personalität kommt dieser Punkt früher oder später im Spiel und danach richtet sich auch, ob es als Hirnschmelzend oder lockerer wahrgenommen wird. Wie beim roten Pöppel ist auch in anthrazit das Spiel, dass ich persönlich am meisten mag, wohl der Außenseiter. Deduktionsspiele sind nicht jedermanns Sache – und bei Cryptid gibt es das systemimmanente Problem, dass ein Spielfehler das Rätsel für einige unmöglich machen kann. Allerdings kann man Spielfehler hier wenigstens zurücknehmen, wenn man sie denn bemerkt (anders als bei anderen Spielen wie Black Vienna).

Dune Imperium gefällt mir besser als Cascadia. Es ist schon deutlich besser als „Solide“, auch wenn ganz große Innovationen fehlen – aber die Kombi aus Deckbau und Worker Placement ist durchaus reizvoll und bietet viel Raum zum Ergründen. Die Fraktionen haben zwar nur kleine Sonderfähigkeiten, aber das reicht für eine gewisse Asymmetrie. Dune Imperium gefällt und auch wenn ich nicht vollends begeistert bin, verbleibt das Spiel in meinem Schrank. Genaueres gibt es in der Rezension.

Ich weiß nicht, was es ist, dass mich bei Living Forest so abgeschreckt hat. Irgendwie sehe ich die einzelnen Mechanismen und denke, einiges davon klingt durchaus reizvoll. Aber irgendwie hat mich das Gesamtpaket so wenig angemacht, dass ich mir das Spiel bislang nicht besorgt habe – meine Erfahrung und Einschrätzung beschränkt sich auf einer einzigen Partie Online. Das ist ein Problem bei einem Spiel, dass etwas von der Erfahrung lebt. Zudem wirken Onlinepartien von Deckbauspielen immer noch solipsitischer, da zumindest ich nicht extra rumscrolle, um zu sehen, was die anderen eigentlich machen. Rein vom Ansatz her begeisterte mich Living Forest aber doch eher wenig – alles wirkt sehr konstruiert und abstrakt – gerade auch im Vergleich zu Dune Imperium. Das könnte auch daran liegen, dass es hier keine Karteneffekte gibt. Die Karten liefern nur ein paar Symbole, die dann zum Kauf von Bäumen (Siegbedingung und Boni), zum Löschen von Feuern (andere Siegbedingung und Schutz vor schlechten Karten) oder zum Vorschreiten auf einer Leiste (Diverse Boni) nutzen können (en weiteres Symbol stellt eine weitere Siegmöglichkeit dar). Reines Symbolmanagement ist weniger überraschend und gleichförmiger, dass die Karten schön mit Tieren illustriert sind, wirkt da fast deplatziert, da eskeinerlei Bezug zwischen Karte und Effekt gibt (was mit der Ausnahme des Feuers und dem Wassersymbol auch auf alles andere zutrifft). Es gibt einen schicken Push-your-Luck-Mechanismus – Man deckt Karten auf und hört entweder freiwillig auf und macht zwei Aktionen oder deckt irgendwann das dritte „Doofheits“-Symbol auf und hat nur eine. Das ist durchaus pfiffig. Um den vernünftig nutzen zu können, braucht man aber schon etwas Erfahrung, wann es sich lohnt ein Risiko einzugehen und wann eher nicht. Überhaupt wirkt Living Forest so, dass es erst dann Spaß macht, wenn man es so weit durchdringt, dass man Abkürzungen nehmen kann, gezielt auf eine der drei Siegbedingungen spielt. Das ist allerdings kein Merkmal, dass mich persönlich besonders reizt.

Meine Favoriten sind also nicht Favoriten der Buchmacher – ist das ein Problem? Für mich nicht. Keiner der sechs Nominierten wäre in irgendeiner Form problematisch. Ich wäre zugegebenermaßen etwas enttäuscht wenn Cascadia und/oder Living Forest gewinnen würde, aber eher, weil dann die Jury sauberes Design über Originalität stellen würde. Zumindest bei Cascadia wäre die Zielgruppe dennoch gut mit dem Spiel bedient (Bei Living Forest wage ich da keine Aussage). Auch wenn es immer Mode ist, auf der Jury rumzuhacken -einige Seiten fühlen sich da als große Rebellen – neutral betrachtet macht die Jzry in den letzten Jahren einen guten Job. Das trifft auch dieses Jahr wieder zu.

Insbesondere wenn ________ gewinnt, weil es so viel ______ ist als _____ . Ihr habt es hier zuerst gelesen!

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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