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Würde Siedler von Catan heutzutage in anthrazit ausgezeichnet werden?

Wen interessiert’s?

Obwohl die Frage bei Twitter aufkam: Anscheinend niemanden so richtig, denn die einzige Möglichkeit die Frage zu beantworten, ist alle Jurymitglieder zu befragen – wenn mehr als die Hälfte meint, Siedler wäre rot, dann würde die Jury es nach wie vor in rot auszeichnen. Andere Kriterien als die Jurymeinung gibt es nicht, denn die Jury alleine bestimmt, was rot und was anthrazit ist. Sie ist dabei unabhängig von vergangenen oder aktuellen Einteilungen. Zumindest der Vorsitzende Harald Schrapers hat die Eingangsfrage bejaht. Doch irgendwie waren die Frager mit der Antwort nicht einverstanden und versuchten Wiedersprüche zu erzeugen. Warum auch immer. Mich erinnerte das ein bisschen an Matthew Broderick in „In Sachen Liebe“, wo er versucht aus den Alltagsgesprächen seiner Exfreundin (die er abhört) mit dessen neuen Partner abzuleiten, wann es zwischen den beiden zum großen Krach kommt. Erfolgreich kann die Strategie nicht sein – siehe oben. Ein Spiel ist ein recht komplexes Gebilde und für wen ein Spiel geeignet ist, hängt an vielen Faktoren. Und diese Faktoren werden von jedem Jurymitglied anders gewichtet und damit wird eine andere Juryzusammensetzung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem anderen Ergebnis führen (Um Extrembeispiele zu nennen: Villa Paletti und Torres wären garantiert keine Preisträger gewesen, wenn die Juryzusammensetzung ein klein wenig anders gewesen wäre)

Viel interessanter als die Frage selbst, ist es daher zu beleuchten, was eigentlich hinter der Frage steht.

Wenn ich lese, dass Leute „traurig sind“, dass „Siedler von Catan heute in anthrazit ausgezeichnet worden wäre“ (eine Annahme, für die es keinen Grund gibt – siehe oben), dann stecken da zwei Implikationen drin: Zum einen, dass Siedler zu anspruchsvoll für den roten Pöppel ist und zum anderen, dass das für irgendwen schlimm wäre.

Beginnen wir mit dem letzteren Punkt: Wieso wäre eine Auszeichnung in anthrazit negativ? Vielleicht weil ihm dadurch der Erfolg verwehrt worden wäre, die ein roter Pöppel mit sich brachte?. Zwar stimmt es, dass der Hauptpreis in der Regel mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als der Kennerspielpreis, aber das heißt nicht, dass ein Spiel ohne Hauptpreis nicht erfolgreich sein kann – siehe Pandemie („nur“ nominiert), 7 Wonders, die Exitreihe oder auch die Legenden von Andor (Kennerspielpreigewinner). Sicherlich wird der Hauptpreis geholfen haben, für eine Verbreitung zu sorgen. Bedenkt man aber den weltweiten Siegeszug Catans, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Spiel seinen Weg auch in anthrazit gemacht hätte. Ansonsten fällt es mir schwer einzusehen, warum eine anthrazit-Auszeichnung negativ wäre, wenn sie denn einigermaßen nachvollziehbar ist – außer die Auszeichnung wird als weniger ernst genommen (was möglich ist, da sie etwas weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit steht – was leider auch zeigt, warum die Jury nach wie vor einen Preis verleihen „muss“ und nicht nur eine Liste empfehlenswerter Spiele). Das auch geäußerte Argument, fürher hätte man den Spielern ja noch mehr zugetraut, greift nicht, denn „früher“ gab es ja keinen Kennerspielpreis und daher MUSSTE in rot ausgezeichnet werden – es basiert also nur auf einem ominöse Bauchgefühl, die Jury hätte ihre Ansprüche runtergeschraubt (dazu weiter unten mehr).

Aber auch die andere Implikation steht auf eher tönernden Füßen: Der allererste Fehler: Es geht der Jury gar nicht um Anspruch, sondern um die Einstiegshürde, und damit primär um die Frage: „In wieweit kann man ein Spiel bei Wenigspielern problemlos auf den Tisch bringen und haben die auf Anhieb Spaß?“ Das hat mit Anspruch natürlich zu tun, ist aber nicht dasselbe (siehe auch diesen Artikel von Georgios). Gerade bei Siedler ist die Einstiegshürde niedriger als bei vergleichbaren Spielen, weil enorm viel vorentlastet wird: Einmal durch das innovative Regelkonzept, bei dem man gerade genug lernt, um das Spiel spielen zu können. Zweitens durch den sehr intuitiven Spielablauf: Man baut, man erntet, man handelt… Es gibt wenig Regeln, die über dieses Grundkonstrukt hinausgehen, es muss nichts „abstraktes“ gelernt werden – vergleicht man dies etwa mit Quacksalber und den diversen Chipstypen. Drittens ist Catan sehr konstruktiv angelegt und auch wenn es (vor allem zu viert) auch mal zu einer blöden Partie kommen kann, bei der jemand anfangs eingemauert wird, ist das Spiel meistens erst einmal frustfrei, insbesondere bei konstruktiven Händlern. All das sinkt die Einstiegshürde.

Ein Vergleich mit My City sei gestattet: Das wird im Laufe der Kampagne sukzessive komplexer. Da es aber sehr einfach beginnt, steht es bei rot – und das obwohl es, laut Boardgamegeek (Weight) anspruchsvoller ist als jeder Hauptpreisträger seit Einführung des Kennerpreises und auch anspruchsvoller als zwei der drei Kennerpreisnominierten dieses Jahres.

Damit sind wir wieder bei meinem ersten Absatz: Zu sagen Spiel X ist aber so und so anspruchsvoll und war nur anthrazit, also muss Spiel Y, dass etwas mehr Regeln hat, automatisch auch anthrazit sein, ist schlichtweg falsch. So einfach ist es nicht. Spiele sind komplexer als das und die Jury ist kein Elektronisches Superhirn, dass die Komplexität eines Spieles mit einer komplexen Formel berechnet und das Ergebnis ausspuckt. Zum Glück. Das macht es natürlich mitunter schwer für Außenstehende Einteilungen nachzuvollziehen und natürlich gibt es immer Grauzonen, aber die gab es tatsächlich auch schon immer.

Den Kennerspielpreis halte ich nach wie vor nicht für vollends gelungen, weil er die Marke verwässert. Er wurde aber klar eingeführt, um wenigstens 2 Titel prämieren zu können, statt nur einen – damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es sehr viel mehr gute Spieletitel gibt als in den 80er und 90er Jahren. Ob dies der richtige Weg ist, ist vielleicht die bessere Frage.

Unabhängig davon aber ein bisschen Statistik. In meinem alten Artikel Kurswechsel? habe ich alle Hauptpreisträger nach „Weight“ geordnet. Ich habe jetzt mal diese Statistik ergänzt:

Titel- Jahr – Weight (Laut BGG)

Hase und Igel 1979 2
Rummikubb 1980 1,74
Focus 1981 2,27
Sagaland 1982 1,26
Scotland Yard 1983 2,01
Dampfross 1984 2,14
Sherlock Holmes Crinminal Cabinet 1985 2,71
Heimlich & Co 1986 1,48
Auf Achse 1987 1,81
Barbarossa 1988 1,6 Dekade: Mittelwert
Cafe international 1989 1,73 1,875 Maximum: 2.71 Minimum. 1.26
Adel verpflichtet 1990 1,78
Drunter und Drüber 1991 1,94
Um Reifenbreite 1992 1,81
Bluff 1993 1,24
Manhattan 1994 1,95
Siedler von Catan 1995 2,35
El Grande 1996 3,18
Mississippi Queen 1997 1,71 Dekade: Mittelwert
Elfenland 1998 2,15
Tikal 1999 2,92 2,103 Max: 3.18 Min. 1.24
Torres 2000 2,94
Carcassonne 2001 1,91
Villa Paletti 2002 1,13
Alhambra 2003 2,11
Zug um Zug 2004 1,87
Niagara 2005 1,78
Thurn & Taxis 2006 2,27
Zooloretto 2007 1,76 Dekade: Mittelwert
Keltis 2008 1,65
Dominion 2009 2,4 1,982 Max: 2.4 Min: 1.13
Dixit 2010 1,22
Qwirkle 2011 1,6
Kingdom Builder 2012 2,1
Hanabi 2013 1,7
Camel Up 2014 1,5
Colt Express 2015 1,8
Codenames 2016 1,3
Kingdomino 2017 1,2
Azul 2018 1,8 Dekade: Mittelwert
Just One 2019 1,06 1,528 Max: 2,1 Min 1,1
Pictures 2020 1
Mittelwert bis Kennspielpreiseinführung:
1,963125
Mittelwert aller Preisträger (Kenner und Hauptpreis inkl 2020):
1,96653846

 

Kenner 7 wonders 2,33
Village 3,07
Legenden von Andor 2,76
Istanbul 2,59
Broom Service 2,4
Isle of Skye 2,23 Pandemic Legacy: 3,37
Exit (Mittelwert der 1. drei Titel) 2,65
Die Quacksalber von Quedlinburg 1,94
Flügelschlag 2,39 2,48444444 3,07 1,94 0,30883693
Die Crew 2,02

Natürlich sind in der letzten Dekade die Mittelwerte beim Hauptpreis runtergegangen, weil es ja den Kennerspielrpeis gibt. Tatsächlich teilen sich die Titel im Moment klar in „Weniger als 2“ und „Mehr als“ – mit jeweils einer Ausnahme (Kingdom Builder und Quacksalber), die zeigt, dass das alles nicht so einfach ist – siehe auch My City, und übrigens auch Nova Luna, dessen Weight oberhalb von 2 liegt. Hätte eines der beiden gewonnen, hätten wir die Diskussion nicht. Pictures ist das andere Extrem: Es hat die niedrigste Weight-Wertung aller Preisträger und ist damit ein Ausreißer. Nächstes Jahr sieht das wieder ganz anders aus – vielleicht (Wahrscheinlich ist es , nach dem Regress to the Mean – Prinzip)

Und noch etwas ist interessant: Der Durchschnitt aller Preisträger bis zur Kennerspielpreiseinführung liegt ebenfalls unter 2. So viel hat sich also nicht geändert.

ciao

peer

Peer Sylvester
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