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Jetzt müsstest du „Aua“ sagen…

Neulich hatte ich eine ungewöhnliche Situation am Spieltisch, die mich über das sogenannte Metagame nachdenken ließ. Der Begriff bezieht sich ganz allgemein gesprochen auf die Art und Weise mit der wir die Spielregeln in unsere Interaktionen einfließen lassen. Aber es betrifft auch wie wir das gemeinsame Spielen als solches begreifen. Es geht darum was uns innerhalb des Spiels antreibt. Die etwas abgegriffene Karotte, die uns in Form des Spielsiegs oder Siegpunkten vorgehalten wird, damit wir artig mentale und gelegentlich verbale Kunststückchen machen, wird auch durch die Erfahrungen und Erlebnisse ergänzt, die wir uns vom gemeinsamen Spiel versprechen.

Gerade letztere bauen auf eine Art Verhaltensskript auf, dass wir im Rahmen des Spiels als gültig betrachten. Mit diesem Begriff meine ich die reflex-artig ausgeführten Interaktionen wie zum Beispiel „Gesundheit“ zu rufen, nachdem jemand geniest hat. Oder dass man Leuten die Tür aufhält, wenn sie schwer zu schleppen haben. Oder dass man den Toilettendeckel wieder zuklappt, bevor man das WC verlässt. Alles das sind keine harten Regeln, die irgendwie geahndet werden, wenn man sie nicht einhält. Noch fällt das soziale Gefüge auseinander, wenn man sich nur manchmal daran hält. Schlimmstenfalls sind die Leute enttäuscht, die erwartet haben, dass andere das Verhaltensskript einhalten. Man wirkt schon sehr kleinlich, wenn man solche Unterlassungen sofort anspricht und einfordert. Zum anderen scheint nicht viel davon abzuhängen. Man mag es für einen Moment bedauern (oder sich auch kurz ärgern), aber in der einzelnen Situation ist es nur selten die Mühe wert irgendeine Regung zu zeigen.

Auf dem erwähnten Spielabend nun, hatte ich den Eindruck eine ähnliche Situation wahrzunehmen. Gespielt wurde ein kleines, flinkes Spiel, welches etwas älter ist und darum den etwas aus der Mode gefallenen Mechnismus der „player elimination“ (Spielerausgrenzung) beinhaltete. Zu Beginn der zweite Runde machte ein Spieler („Tom“) einen Zug, welcher einen anderen Spieler direkt aus dem Spiel warf. Das war erst Mal wenig skandalös. Dass es so früh passierte, war vielleicht unerwartet, aber da die meisten am Spieltisch noch damit rangen die Spieldynamik vollends zu erfassen, fiel weniger das Timing das auf, sondern die plötzliche Änderung des Spielverlaufs, da jetzt jemand übersprungen wurde.

Interessant hingegen war „Tom“s Reaktion. Mimik und Körpersprache legten nahe, dass er eine Reaktion der Runde erwartete. Vielleicht sollte die Effizienz des Zuges imponieren. Der daraus entstandene Vorteil sollte vielleicht den Ehrgeiz der anderen entfachen und sie unter Druck setzen. Vielleicht sollte die taktische Leistung in irgendeiner Form anerkannt und gewürdigt werden, in dem man respektvoll nickte oder durch das eigene Erstaunen die Überlegenheit des Spielers bestätigte. Tatsächlich geschah nichts davon. Das Spiel ging weiter. Es wurden Regelfragen gestellt. Die anderen grübelten über ihre Züge nach. Die Situation wiederholte sich noch ein paar Male als „Tom“ weitere Spieler aus der Partie warf. Aber auch hier war die Antwort oft eher verhalten.

Ich hatte den Eindruck, dass „Tom“ hier von einem Verhaltensskript ausging, an das sich niemand am Tisch hielt. So als hätte er gerade geniest und es wurde nur kurz genickt, statt ihm „Gesundheit“ zu sagen. Das Spiel wurde dadurch nicht unbedingt ruiniert. Aber es schien gleichzeitig nicht so richtig zünden zu wollen. Nach der zweiten Partie legten wir es zur Seite und spielten etwas anderes.

Wer sich unter diesen „Verhaltensskripten“ noch immer nichts vorstellen kann, und des Englischen mächtig ist, dem empfehle ich „The Greatest Gamer“. Ein kurzes PDF mit dem man aus einem Brettspiel flugs ein Rollenspiel machen kann. Es zeigt vor allem schön auf, dass wir soziale Rollen im Spiel einnehmen und diese nicht nur eigenen Skripten folgen, sondern wir oft von anderen erwarten sich an diese Skripte zu halten. Vielleicht sind diese Rollen nie so überspitzt wie in diesem Spiel, aber dennoch reicht es oft aus die Art eines Spiels zu erwähnen um in unseren Köpfen sofort einzelne Skripte aufzurufen.

Diese Verhaltensskripte sind vielleicht eine Art wie unsere Spielerwartungen sich direkt auf das Spielerlebnis auswirken. Sie umreißen welches Spielverhalten ein positives Feedback von der Gruppe einfordern. Dadurch sind wir angehalten uns noch weiter auf das Spielerlebnis einzulassen und noch mehr dieses Verhaltens an den Tag zu legen. In Videospielen gibt es audio-visuelle Feedbackschlaufen, die dem/der Spieler*in zeigen, dass die letzte Aktion besonders gelungen war. In frühen Anfangszeiten war es der steigende High Score (digitale Siegpunkte). Jahrzehnte später drückte sich dieses positive Feedback in Beat-em-Ups mit Combos oder Fatalities aus. Mittlerweile ist jedes digitale Spiel darauf ausgelegt dieses positive Feedback hoch-frequentig und ganz gezielt zu platzieren um dem Publikum ein besonders erinnerungswürdiges Erlebnis zu geben.

In Brettspielen gibt es mittlerweile auch Siegpunkte, Kombos und – dank player elimination – auch Fatalities. Aber die wirksamsten und stärksten Feedback-Schlaufen finden bei Mehrspieler-Spielen durch die Gruppe statt. Es sind die Reaktionen und Antworten der Mitspielenden, welche dazu dienen unser Spielerlebnis zu vertiefen und zu stärken.

Genau hier greifen dann die erwähnten Verhaltensskripte und formen eine Ebene unseres Metagame. Es ist die Ebene die dafür sorgt, dass bestimmte Verhaltensweisen von den Spielenden immer wieder an den Tag gelegt werden, eben weil sie ein positives Feedback erhalten haben. Wenn wir an eben diese gewohnt sind, treten wir dann auch in anderen Spielrunden mit der Erwartungshaltung heran, dass wir damit nicht nur den eigenen Spielspaß erhöhen, sondern auch „im Sinne des Spiels“ spielen.

Es sind genau die Momente, in denen einzelne Spieler*innen nach unterschiedlichen Verhaltensskripten handeln – oder zum Teil gar nicht wahrnehmen – die dazu beitragen können, dass ein Spiel oder auch ein Spielerlebnis nicht so richtig zu funktionieren scheint, obwohl niemand einen Fehler macht. Es ist sicherlich sinnvoll sich öfter zu fragen welchen Verhaltensskripte wir bei einem Spiel voraussetzen und an welche wir uns halten (oder auch nicht). Manchmal mag es helfen ein Spiel unter einem neuen Blickwinkel zu entdecken. Oder auch einfach nur erklären warum Spiele in manchen Spielrunden einfach nicht zu funktionieren scheinen.

Georgios Panagiotidis
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