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Reguläres SdJ-Gerate

Ja, es ist wieder soweit. Vatertag. Oder wie es manche nennen „Spiel des Jahres -Klausursitzung“. Montag bekommen wir die Ergebnisse dieser Sitzung mitgeteilt, insbesondere natürlich, welche 6 Spiele nominiert wurden. Das bedeutet: Die Tage danach wird gemeckert und die Tage davon wird spekuliert. Dem darf ich mich nicht verschließen, weil mir sonst meine Bloggerlizenz entzogen wird.

Von der  rechtlichen Bedeutung abgesehen, ist dieses Jahr die Nominierung natürlich irgendwie besonders interessant, denn die Juryasten mussten ja auch mit Kontaktbeschränkungen und fragwürdigen Online-Implementierungen klarkommen. Und für die Kritiker der Kritiker gilt natürlich dasselbe. Werden deshalb dieses Jahr mehr Spiele mit Zweiervariante oder Discord-Kanal nominiert werden? Oder gibt es ohnehin mehr Spiele, die diese Kriterien erfüllen? Darüber wird vermutlich nicht diskutiert werden, könnte es aber. Über die Frage, ob die Jury sich im Zweifel für ein ein Spiel mit genderneutralen Sprache im Handbuch entscheiden sollte  wird dieses Jahr sicherlich verstärkt diskutiert werden, die Zeichen stehen da auf „Wandel“ (Was im wesentlichen daran liegt, dass in der restlichen Kulturbranche der Wandel diesbezüglich schon weiter ist). Ich bin gespannt ob sich die Jury dahingehend äußern wird – ähnlich wie es Felber gerne bezüglich schlecht geschriebener Regeln gemacht hat, wäre eine Anmerkung durchaus denkbar. Ein Ausschluß ohne vorherige Warnung weniger. Immerhin bringt eine Anmerkung zu diesem Punkt mehr, als vages „Regeln sind nicht präzise“- Gerante; Ob ein Handbuch genderneutral ist, lässt sich relativ einfach festmachen.

Aber vom ernst zum Spaß: Was ist denn auf den Listen nun druff? Beide Listen haben einen klaren Kandidaten: Micromacro bei rot und Paleo bei anthrazit. Trotz immer vorhandenen Restrisiko (bei Micromacro wäre eine Triggerwarnung bei einigen Fällen angemessen und bei Paleo ist die Regel wohl nach wie vor sehr verbesserungswürdig), aber dennoch würde eine Nichtberücksichtigung doch sehr wundern. Aber was wird sonst auf den Plätzen zu finden sein? Auch hier eine bemerkenswerte symmetrie: Jeweils drei Spiele prügeln sich wohl um die verbleibenden zwei Plätze:

Beim roten Pöppel rechne ich mit Fantastische Reiche und Die Abenteuer des Robin Hood  mit Calico,als quasi „Auswechselspieler“.

Fantastische Reiche habe ich selbst nicht gespielt, aber einiges an Rezensionen, insbesondere auch von Jurymitgliedern, gelesen und es scheint mir ein ziemlich perfekter Kandidat zu sein: Einfache Regeln, insbesondere wenn man mit App-Unterstützung spielt, niedrige Einstiegshürde und ausreichend originell, zudem immer wieder neu: Mit anderen Worten: Es kann gut der SdJ-Zielgruppe zeigen, was in dem Hobby so steckt. Der Unsicherheitsfaktor hier ist der Verlag: Kann Strothmann Spiele nach Einschätzung der Jury genügend Exemplare drucken und verbreiten? Ich sehe den Verlag jetzt nicht unbedingt als kleiner an als PD (die ja mit Pictures gewannen), aber ich weiß nicht ob das meine Wahrnehmung ist. Von diesem kleinen Einwand abgesehen m.E. ein relativ sicherer Kandidat.

Bei Robin Hood bin ich erst knapp bei der Hälfte der neunteiligen Kampagne und sehe warum es z.T. als Favorit gehandelt wird: Es sieht supertoll aus und ist ein athmosphärisch dichtes Familienspiel. Allerdings ist das Spiel schon sehr gescriptet, mit eher kleineren Entscheidungsmöglichkeiten, so ein bisschen wie interaktive Geschichte á la Gone Home im Computerbereich. Ich bin mir nicht sicher ob das was schlechtes ist und falls dem so ist, ob sich die Mehrheit der Jury von der Erzählweise überzeugt wird, die Schwächen im Gameplay zu übersehen. Ähnlich wie My City im letzten Jahr, dürfte Robin Hood aber immerhin noch frisch im kollektiven Gedächtnis sein.

Calico ist dagegen spielerisch eher herkömmlich, aber -wie in der oben verlinkten Rezi beschrieben – außerordentlich gut gemacht. Ich würde sogar so weit gehen, dass es eine absolut super Wahl zum Preisträger wäre, weil es eines der wenigen Spiele ist, die sowohl Viel- als auch Wenigspieler in den Bann ziehen kann: Vielspieler durch die elegante Art wie absolut clevere Dilemma erzeugt werden, Wenigspieler, weil Aufmachung zum Spielen einlädt und die Einstiegshürde klein ist. Robin Hood bietet vielleicht das bessere Erlebnis, Calico ist aber das bessere Spiel. Es wäre meine Wahl, aber ich befürchte es wird sich eher auf der Empfehlungs- als auf der Nominierungsliste wiederfinden; es drängelt sich einfach nicht so in den Vordergrund.

Bei Antrazit bin ich – außer dem Oberfavoriten (auch auf den Titel) Paleo weniger sicher. Obwohl: Die verlorenen Ruinen von Arnak dürfte wohl ebenso gesetzt sein – Zwar sind sich die Kritiker einig, dass dies nur eine Kombination aus herkömmlichen Deckbau und herkömmlichen Worker Placement ist, aber eben eine herrausragende Kombi aus Deckbau und Worker Placement. Der Schwierigkeitsgrad scheint auch noch gut im Kennerbereich zu liegen. Aufgrund der geringeren Originalität wird es wohl an Paleo scheitern (außer letzteres wird doch unter „rot“ nominiert, was natürlich auch immer möglich ist).

Ein dritter Titel ist aber tatsächlich schwierig: Cubitos wird gerne genannt, aber die Rezensionen sind da nicht begeistert genug, denke ich. Zwei Titel fallen mir noch ein, aber beide sind mit Vorbehalt: Aeons End und Wasserkraft. Letzteres wird ja z.B. von Udo Bartsch maximal hoch bewertet, ist aber vermutlich zu hart, zu sehr Vielspieler, um noch zur erweiterten Zielgruppe zu gehören – Wäre es vor 20 Jahren (also vor Einführung des Kennerpreises) erschienen, hätte es wohl keine Chancen auf irgendwelche Preise gehabt. Gegen Aeons End spricht vielleicht das Thema (die Jury bevorzugt nach meiner Einschätzung eher eine klassische Robin Hood-Geschichte als Hassgeburten), aber auch die z.Z. eingeschränkte Verfügbarkeit. Jedes der beiden vermutlich nicht ausreichend für einen Ausschluß, aber eventuell im Verbund zu hart. Ich würde es Matthias aber gönnen und drücke hier die Daumen. Manchmal ist ja ein vierstunden Detecktive bei dem es u.a. um Prostiturion geht, auf der Liste, warum dann nicht ein Fantasy-Monster-plätten-Aeons End (Pranken des Löwens ist zu sehr im Kennerbereich)? Zumal ein klarer dritter Kandidat fehlt.

Mal sehen wie viel Prozent ich dieses Jahr falsch liege. Der Skandal ist sowieso auch schon klar: Nachdem ich die Spielbox-Noten gesehen habe, muss ich kopfschüttelnd vermuten , dass das ausgezeichnete Remember our trip übergangen wird. Einerseits ein Opfer der fehlenden größeren Runden (ich mags durchaus auch zu zweit, aber richtig gut ist es halt erst ab drei), andererseits scheint eine überraschende Anzahl an Spielenden das Thema nicht verstehen. Dabei finde ich gerade diesen Punkt sehr gelungen, so dass ich diesen Kritikpunkt nun gar nicht nachvollziehen kann. Für mich die diesjährige Spiel-des-Jahres-Nominierung des Herzens.

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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