spielbar.com

Ich weiß nicht, was soll das bedeuten?

Die klassische Lehre teilt Spielregeln in zwei Arten ein: In „mechanische“ und „thematische“ Regeln. Erstere bilden einerseits das Grundgerüst eines Spieles – bestimmen also, was die Spieler eigentlich genau  machen (Worker Placement, Kartensammeln oder – spielen, Versteigern, Würfeln etc.) – und enthalten andererseits auch administrativere Dinge, wie etwa Handlimits, die dafür sorgen, dass ein Spiel interessant bleibt (in dem etwa Simpelstrategien verhindert werden). „Thematische“ Regeln sorgen dafür, dass das Thema erkennbar bleibt, dass sich die Spielgeschichte im gewünschten Rahmen bewegt. Fehlen diese Bezüge zwischen Spiel und Thema,  fühlt sich das Thema „aufgeklatscht“ an.

Natürlich ist diese Sichtweise stark vereinfacht – sie ist ein Modell. Wie jedes Modell hat auch diese Sichtweise Grenzen, deren man sich bewusst seín muss. Die vielleicht wichtigste Grenze ist die fehlende Unterscheidung zwischen der Spieler*innen- und der Autor*innensicht. Das Modell impliziert, dass für jede Regel klar erkennbar ist, in welche Kategorie sie fällt. Nun kann eine Regel, die ein Autor*in thematisch begründet hat, sehr abstrakt daherkommen und für den Spielenden nicht mehr thematisch zu erkennen sein (Der umgekehrte Weg ist vermutlich seltener). Und damit sind wir im Kern dieses Textes: Die Rolle der Bedeutung.

Eine Autor*in schafft ein Werk und dieses Werk wird von den Spielenden interpretiert (zumindest bei thematischen Spielen, auf die ich mich hier konzentrieren möchte). Diese Interpretation kann, muss aber nicht mit der Intention de Autoren übereinstimmen. Wie funktioniert diese Zuordnung? Mache ich einen Zug in einem thematischen Spiel, so interpretiere ich diesen Zug innerhalb der Spielegeschichte. Das fällt mir um so leichter, je thematischer ein Spiel konzipiert ist: Bewege ich eine Plastikscheibe bei Risiko in ein Nachbargebiet auf dem Spielplan, ist das Framing innerhalb der Spielegeschichte klar: Ich bewege eine Armee von Ostaustralien nach Westaustralien. Führe ich dagegen eine Handlung bei Burgen von Burgund aus, gibt es kein Framing, was mir helfen würde, dem Tun irgendeine Bedeutung zuzuweisen – es bleibt eine abstrakte Handlung .

Diese Unterscheidung zwischen abstrakten und thematischen Handlungen ist nicht immer so eindeutig. Oft sind die Handlungen sehr viel subtiler und ob eine Bedeutung zugewiesen werden kann, hängt von der Interpretation der Spielenden ab. Diese Interpretation kann durch Kartentexte oder Graphiken verstärkt und gelenkt werden. Das gelingt aber nur, wenn diese Texte und Graphiken nicht im Bruch mit der Spielhandlung stehen und auch plausibel umgesetzt werden. Viele „Flavourtexte“sind deswegen nur Beiwerk, weil sie völlig losgelöst vom Karteneffekt stehen.

„Thimothy zog an seiner Zigarre: Ja, das war ein großer Wal, den er da im Aquarium ausstellen konnte. Der wird sicherlich viele Zuschauer anziehen!

Klaue einem Mitspieler die oberste Karte aus der Auslage!“

Es gibt diesen alten Lern-Sinnspruch: „Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“ Der lässt sich fast 1:1 übertragen: Sag mir, wie ich etwas zu interpretieren habe und ich werde es vergessen, zeige es mir und ich werde es vielleicht übernehmen, aber sind Handlungen, die ich mit Bedeutung fülle. Das bedeutet insbesondere, dass ich durch Handlungen intentierte, aber nur „erzählte“  Bedeutungen quasi „überschreiben“ kann – anders ausgedrückt: Ich interpretiere etwas aufgrund meiner Handlung, nicht aufgrund der Aussage eines Verlages oder Autoren im Regelheft.

Das typische Beispiel ist Puerto Rico: Hier setze ich eine braune Scheibe, die mit einem Schiff angelandet ist, in eine Plantage. Die Interpretation „Sklave“ liegt durch die Handlung näher, als dass es sich um einen „Kolonisten“ handelt, nicht zuletzt, weil wir gedanklich „Kolonisten“ nicht mit „Plantagenarbeit“ gleichsetzen und vielleiht auch, weil wir Kolonisten mehr eigenes denken unterstellen – die Kolonisten sind wohl eher die handelnden Spieler, die entscheiden, wer wo arbeiten muss.  (Einschub: Das Argument wir würden sie ja auch in eine Universität einsetzen ist übrigens gleich aus mehreren Gründen eher schwach: Zum einen ist die Universität nur ein einzelnes Gebäude unter vielen Plättchen, zum anderen haben natürlich auch Sklaven an einer Uni gearbeitet und in der Regel haben Sklaven diese Uni gebaut. Da das Spiel keinerlei Hinweise darauf liefert, dass die Scheibe dort Ethnologie unterrichtet oder Chemische Forschungenb durchführt, bleibt die naheliegende Bedeutung bestehen). Die vom Verlag intendierte und im Regelheft kommunizierte Bedeutung „Kolonist“ wird durch die tatsächliche Handlung überschrieben. Ein Wechsel der braunen Scheibe zu einer weißen würde die Interpretation deutlich abschwächen, aber die Handlungsinterpretation bleibt erhalten – sie wird nur weniger graphisch unterstützt.

Diese vom Autoren nicht gewollte Interpretation ist der Grund, warum ein Verlag gut daran tut, seine Spiele extern auf diese Assoziationen überprüfen zu lassen – und zwar auch von Spielern mit verschiedenen Backgrounds, denn die Interpretationen sind natürlich individuell.  Gerne wird dies in bestimmten Kreisen als „übertriebene PC“ abgetan, aber die dann gebrachten Beispiele sind eben deshalb absurde Beispiele, weil ihnen eben jener Kontext fehlt: Ein Journalist fragte auf Twitter mal, ob Spiele jetzt generell auf gelbe, schwarze und rote Spielfiguren verzichten sollten, um keine ungewollten Assoziationen aufkommen zu lassen. Die Frage ist deswegen so absurd, weil sie eben jeglichen Kontext ausblendet:  Die Farben braun, schwarz, weiß , gelb oder rot sind erst einmal kontextlos und somit auch nicht per se „rassistisch fragwürdig“. Niemand interpretiert ein Damespiel als „Europäer gegen Afrikaner“, weil das Spiel überhaupt keine Handlungen anbietet, die diese Interpretation stützen würde. Wenn aber schwarze Pöppel gekauft und dann zum arbeiten eingesetzt werden, wenn im Gebiet „Wilder Westen“ auf dem Spielplan neutrale rote Spielsteine eliminiert werden müssen oder in Ostasien die Heimat gelber Spielsteine liegt, dann wird die Farbe von den Spielenden mit mit Bedeutung gefüllt. Ob der Autor das gewollt hat, ist Nebensache – Der Autor ist an dieser Stelle tot.

ciao

peer

Peer Sylvester
Letzte Artikel von Peer Sylvester (Alle anzeigen)