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Der allgegenwertige Kapitalismus

„Krieg“ und „Leben und Tod“ waren lange Zeit so ziemlich die einzigen denkbaren Themen für Spiele. Manchmal wurde auch noch gejagd, aber das war es dann auch so ziemlich. Als Spiele thematischer wurden – so etwa Ende des 19. Jahrhunderts – kamen auch Renn- und Reisespiele dazu, vor allem aber ging es um das schnöde Geld. Mit der industriellen Revolution änderten sich die Lebensumstände der Bürger und Nicht-adelige konnten Reichtum anhäufen. „Der Amerikanische Traum“ wurde geboren. Und der war vor allem: Reich zu werden. Spiele als Mittel zum Eskapismus spiegelten das wieder – alle werden reicher und der reichste gewinnt. Daran hat sich dann im Laufe des 20. Jahrhunderts erstaunlich wenig geändert. Obwohl gerade im 20. Jahrhundert ja doch auch andere Gesellschaftsformen auf der Welt zu finden waren, muss man  Spiele, die nicht auf dem Kapitalismus beruhren fast mit der Lupe suchen: Berühmterweise war Monopoly eigentlich als Kritik an einem Aspekt des Kapitalismuses entstanden, aber davon ist nichts mehr geblieben. Anti-Monopoly erschien in den 70ern als bewusster Gegenpol zum großen M (oder K. Je nachdem). Auch die Buschfunk-Spiele Es geht seinen Gang oder Bau Auf, die im Sozialismus der DDR spielen zählen zu den nicht-kapitalistischen Spielen. Darüber hinaus bleibt nicht viel. Selbst aus den sozialistischen oder kommunistischen Ländern sind mir keine Spiele bekannt, die das jeweilige System bewusst thematisieren -ich bin da aber absolut kein Experte – hier sind die Themen eher unverfänglich wie Märchen oder Pilze sammeln (nur verlinkt, weil ich das als Kind tatsächlich mal hatte. Wie das Spiel über die Grenze kam, weiß ich nicht, wir hatten es vom Flohmarkt).

Da das Kapitalistische System in der modernen Welt das vorherrschende ist, verwundert es nicht, dass Wirtschaftsspiele immer noch ein beliebtes Genre sind – Viele Themen sind nun einmal mehr oder minder direkt in der Wirtschaft verortet und auch wenn längst nicht immer der reichste gewinnt, sondern der beliebteste, ändert das nicht viel an den spielerischen System – Im Kapitalismus wird sich Beliebtheit natürlich mit Geld erkauft, wie z.B. bei der Klinik oder der erfolgreichste ist gleich auch automatisch der beliebteste. Wie halt im wirklichen Leben.

Ein bisschen verwunderlich ist aber der allgegenwertige Kapitalismus aber doch schon, wenn man bedenkt, wie viele verschiedene Themen es mittlerweile gibt. Selbst in der Zukunft oder im tiefsten Mittelalter ist der Kapitalismus allgegenwertig. „Star Trek“-Utopien ohne Geld sind im spielerischen Bereich seltener als extremste Auswüchse des Hyperkapitalismus im Weltraum. Und im Mittelalter wird dem Handel spielerisch mehr gefrönt als dem Feudalismus. Das jüngst erschienene Red Outpost, dass ein kommunistisches System abbilden soll, ist eine der absoluten Ausnahmen.

Neben dem Eskapismus und der Allgegenwertigkeit des Kapitals könnte man als Hauptgrund annehmen, dass es beim Kapitalismus ja gerade darum geht, dass jemand „besser“ ist als jemand anderes, wenn er reicher ist, dass der Reichtum immer verdient ist. Dieses Bild wird im Spiel natürlich genau umgesetzt: Wer gut spielt, gewinnt. So wird die Lüge des Kapitalismus ideal bedient.

Wer aber genau hinschaut kann sich fragen: Zumindest bei kooperativen Spielen, dürfte man doch mal sozalistische Ideen verfolgen, oder? Gerade die Planung, dass es allen gut geht, ist doch als Idee nicht so verkehrt und könnte vielleicht einmal verfolgt werden?

Und außerdem: Wie auch in der Wirklichkeit (die meisten Superreichen stammen bereits aus reichen Familien) funktioniert der hemmunglose Kapitalismus ohne jegliches Sozialnetz auch in den meisten Brettspielen nicht: Die Mehrheit der Spiele bietet tatsächlich ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dass es mit dem sehr viel leichter ist zu investieren und, ja, reich zu werden ist eine Kernaussage, die in Spielen drinsteckt, auch wenn vermutlich meistens nicht beabsichtigt. Und wenn es kein Geld gibt, so sind zumindest die Rohstoffe unbegrenzt. Und Arbeiter werden längst nicht immer bezahlt – zumindest nicht von uns. Vielleicht werden wir Spieler ja vom Staat unterstützt? In Mittelalterspielen ist es bestimmt der König, der seine Untertanen mit Nahrung versorgt, während sie unsere Mühlen bauen. In moderneren Spielen wage ich es zu vermuten, dass es staatliche Subventionen sind, die es mir erlauben, meinen Betrieb aufrecht zu halten, damit ich mir meine Siegpunkte leisten kann. Irgendjemand muss es ja tun.

ciao

peer

Peer Sylvester
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