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Spiel 2020 – Digital bleibt alles anders

Die Internationalen Spieletage in Essen wurden in diesem Jahr durch die SPIEL.digital ersetzt. Nun ist diese vorbei und es geht darum die Eindrücke und Erfahrungen zu verarbeiten. Fangen wir mal mit dem Banalen und Offensichtlichen an: es war anders als sonst.

Es fehlte die lange Anreise. Es gab keine vollen Gänge. Man musste auch nicht mit vollgestopften Beuteln aus den Hallen stapfen. Stattdessen gab es nur eine Webseite, deren Funktionsweise man sich erst langsam selbst erarbeiten musste. Dementsprechend reagierten so einige Besucher erstmal mit laut angekündigter, pathetisch zelebrierter Enttäuschung und Ernüchterung. Wer die Reaktionen auf die Spiel-Des-Jahres Nominierungen und Auszeichnungen kennt, dem wird auch hier die Melodie verdächtig bekannt vorkommen. Alles war total falsch und unbrauchbar. Alle wussten es besser. Alle waren sich ja schon die ganze Zeit darüber im Klaren, dass das nichts hätte werden können.

Aber auch die Antwort darauf folgte einem vertrauten Muster: das sind nur Nerds, die sich in ihrer Blase verloren haben und ihre First-World-Problems als großes Unrecht anprangern. Es sind die neophoben Verweigerer von allem was nicht in alte und bekannte Formen passt. Die SPIEL.digital ist der unaufhaltsame Marsch des Fortschritts und es wurde mehr richtig als falsch gemacht.

Es wäre zu bequem nun zu sagen, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Aber das sehe ich nicht so. Vielmehr haben beide Seiten auf ihre Art und Weise Recht. Lediglich die Gewichtung der Argumente hängt sehr von der eigenen Erwartungshaltung an die SPIEL.digital ab.

Die Internationalen Spieltage sind eine facettenreiche Angelegenheit, die jedem Besucher eine etwas andere Erfahrung bieten. Es ist zum einen eine Neuheitenschau. Ein Ort an dem der anspruchsvolle Spielefreund sich informieren kann was sich in den kommenden 6-8 Monaten in seinem Metier so tun könnte. Aber es ist auch ein großer Spielplatz, an dem man Neues wie auch “Altes” (d.h. Spiele die man evtl. schon seit zwei Jahren kaufen kann!) probieren darf und der Reichtum der unterschiedlichen Spielideen einen uneingeschränkt zu entzücken weiß. Aber es ist auch eine Verkaufsmesse, in der Händler wie Verlage schon mal großen, sogar überlebenswichtigen Umsatz machen können. (Die wiederkehrenden Einzelfälle gestohlener Ständekassen sei Mal außen vor gelassen. Wobei diese Mensch gewordenen Bremsspuren dieses Jahr eher dumm aus der Wäsche geguckt haben werden.) Natürlich ist die Spiel auch ein Branchenereignis in dem Kooperationen entstehen und Freunde wie Mitbewerber sich gegenseitig treffen und austauschen können. Obendrein ist es aber auch eine große gemeinschaftliche Erfahrung, die leidenschaftliche Brettspieler prägen kann wie es eben nur das Eintauchen in einer riesigen Menschenmenge an Gleichgesinnten vermag. Auf der Spiel zu sein hat sich immer so angefühlt als wäre man vier Tage lange genau dort, wo man schon immer hingehört hat.

Wie gesagt, die Spiel ist viele unterschiedliche Dinge für viele unterschiedliche Menschen und die Spiel.Digital ist wie oben schon erwähnt anders.

Nüchtern betrachtet hat sie als Kaufmesse ganz klar abgebaut. Der eine oder andere lokale Verlag man insgesamt mit einem ausreichenden Plus aus der Messe gegangen sein, aber wer auf internationale Verkäufe gesetzt hat, ist in den meisten Fällen wohl leer ausgegangen. Das lag unter anderem auch daran, dass es keine Infrastruktur gab, welche zu den typischen Impulskäufen führt, von denen in früheren Jahren jeder profitieren konnte. Führte ein tolles Cover, günstiger Preis oder einfach nur ein nettes Gespräch am Stand zu einem Kauf, gab es auf der Spiel.Digital so manche Hürden, die das verhinderten. Überraschend viele Spiele konnte man nicht kaufen oder lediglich vorbestellen. Manche musste man sich aus dem Ausland importieren lassen und konnte das häufig nicht einmal mit einer Sammelbestellung zusammenfassen. Wer sich anmaßte mehr als drei Spiele aus dem Ausland holen zu wollen, zahlte an Versandkosten oft so viel wie man hierzulande für eine Neuheit wie Gloomhaven – Pranken des Löwens ausgab. Das resultierte in einer deutlichen Dämpfung der sonst so typischen Kauflust auf einer Spiel.

Die Neuheitenschau war verständlicherweise ähnlich eingeschränkt, aber dadurch kein Stück weniger interessant als in den Jahren zuvor. So manche Verlage waren mit erklärenden Videos, Artikeln und auch digitalen Proberunden so gut aufgestellt, dass man sich gleich doppelt geärgert hat, wenn das Spiel erst in 3-4 Monaten erhältlich sein würde. Insbesondere Verlage, die sich frühzeitig an Medienschaffende gewandt haben, haben einen sehr überzeugenden und professionellen Eindruck hinterlassen. Wem das nicht im Vorfeld möglich war, muss nun darauf bauen, dass die bis zum Jahresende verfügbare Plattform auch weiterhin mit neuen Medieninhalten und Kaufoptionen gepflegt und ausgebaut wird.

Überhaupt wird es immer deutlicher, dass die Spiel 2020 vor allem die Spiel der Content-Macher war. Formten in vergangenen Jahren die Kaufmöglichkeiten und das Kaufdelirium oft die Erinnerungen an die Spiel, sind es nun die Erlebnisse rund um das Live-Angebot. Statt einer endlosen Flut leicht prolliger “Loot”-Bilder auf sozialen Medien, bleibt diesmal die Erinnerung an das gemeinsame Erlebnis in Erinnerung. Warst du dabei als “Team Knuffig” ins Leben gerufen wurde? Hast du die Sätze “Sind wir noch Live?” und “Drück ich jetzt diesen Bu-” gehört? Erinnerst du dich noch daran als der Manu beim besten Willen nicht auf den Namen von Klemens Franz kam?

Dieses Jahr ist die FOMO – die Angst etwas verpasst zu haben – nicht in den Spielen, die man nicht gespielt oder gekauft hat, sondern in den ungekünstelten und menschlichen Momenten des Brettspieler-Unsinns, dem man auch aus der physischen Entfernung beiwohnen konnte.

Für mich war die Spiel.Digital eine fast ausschließlich positive Erfahrung. Das Gemeinschaftsgefühl, das mich sonst nach vier Tagen bei und mit Freunden auf der Messe bis nach Hause begleitet, steckte mir in der Vergangenheit noch Wochen lang in den Knochen. Dieses Mal merke ich dass mich die intensive Beschäftigung mit Spielen und den Menschen, die ähnlich viel Leidenschaft damit verbinden wie ich, immer noch elektrisiert. Ich tausche mich weiter angeregt auf sozialen Medien aus. Ich plane und überlege wann ich mir vielleicht noch weitere Neuheiten im Nachhinein zulege. Ich bin noch immer stolz wie Bolle, dass das Beeple Radio an dem ich mitgewirkt habe, so positiv angenommen wurde.

Aber ich merke auch, dass die Spiel.Digital fürs nächste Jahr noch viel zu verbessern hat. Gerade die internationale und international-denkende Spielerschaft ist viel zu kurz gekommen. Über die Gründe zu spekulieren ist müßig, aber insbesondere die internationale Dimension hat die Spiel zu den wichtigsten vier Tagen im Jahr gemacht haben. Mein Wunsch lautet, dass diese Internationalität in 2021 wieder an Bedeutung gewinnt. Dafür muss Infrastruktur geschaffen werden, die Käufer und Verkäufer wieder näher zusammenbringt. Dafür müssen ein paar Ecken und Kanten des User Interface geglättet werden, um nicht nur die hartgesottenen Digitalisten abzuholen, sondern auch die Gelegenheitsnutzer, die auf einer früheren Spiel mit einem Monopoly Böblingen und einem Menara unterm Arm schon zufrieden aus den Hallen gegangen wären.

Dafür muss aber auch die Erkenntnis reifen, dass die wichtigste Präsenz auf einer Spiel.Digital nicht in der Größe der Kachel und ihren Verknüpfungen liegt. Es ist die Kompetenz der Livestreams (Video und Audio) mit der man Augen und Aufmerksamkeit auf die Spiele lenkt, die man jetzt und sofort per Klick kaufen kann.

In den Momenten, in denen es der Spiel.Digital gelang so zu funktionieren, dass sie Besucher von einer tollen gemeinschaftlichen Erfahrung zu einem einfach erwerbbaren Spiel führte, war sie dann doch nicht ganz anders als sonst.

Georgios Panagiotidis
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