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Das ist meine Nische. Es gibt viele Nischen wie diese, aber keine ist wie meine Nische

Ich lebe in einer Nische. Nicht wie Harry Potter unter der Treppe in einem kleinen Kabuff, obwohl vielleicht doch. Nein, ich meine mein Hobby und damit auch meinen Beruf. Jeder Mensch findet da seine Nische und manche Nischen sind größer und andere kleiner. Manche Nischen wachsen und andere Schrumpfen. Aber eine Nische hilft einem von der Menge nicht überfordert zu werden.

Ich habe viele Jahre in der TCG-Nische verbracht. Ich habe Turniere gemacht und mich mit Leuten über Magic-Strategien unterhalten. Ich habe Karten getestet und selber designed. Ich hatte Spaß, aber es war mein Hobby. Und dann konnte ich mein Hobby zum Beruf machen. Ich fing an dafür Geld zu bekommen, das zu machen, was ich schon vorher gemacht habe. Und ich habe es weiterhin mit derselben Liebe machen können.

Aber ich wusste es ist eine Nische. Wenn ich als Einzelpersonen die Europa-Vertretung eines US-Verlages war, dann wusste ich, dass es nicht so groß sein konnte als Nische. Auch wenn ich mit Tausenden von Spielern und 40 Vertrieben in ganz Europa geredet habe. Aber wichtig war mir, ich war glücklich in der Nische. Aber nicht alles in der Nische ist gleich wichtig oder gleich groß. Und nicht jeder in der Nische gleich gut. Wenn einer wegfällt oder was schlecht mache, kann alles dadrunter zusammenbrechen. Je mehr in der Nische sind, desto stabiler wird das Ganze. Diesen Tipping Point will fast jede Nische erreichen. Manche schaffen es, manche fallen auch wieder darunter. Manche wachsen aber so sehr das sich Unternischen bilden. Und wie sehr auch in einer Nische etwas an Menschen, sowohl an einzelnen, als auch an kleinen Gruppen, hängt versuche ich hier zu erläutern. Dazu aber ein kurzer Exkurs.

„Der Fuß der Pyramide …“

Als OP (=Organized Play, Also Turniere, Ligen, Meisterschaften, etc)-Mensch habe ich einen anderen Blick auf Dinge. Ich musste immer damit kämpfen, dass OP als Marketing betrachtet wurde. Das war auch richtig. Aber es war anders als Marketing. Für mich war OP immer Sales, obwohl es anders als Sales war. Und das machte OP zu seiner eigenen Nische in der Unternehmstruktur. Der wichtigste Unterschied zum Marketing Bereich ist eindeutig die Zielgruppe und die Art wie man mit diesen Leuten kommuniziert. Klassisches Marketing muss eine andere Nachricht an andere Menschen anderes transportieren als es OP tut. Dazu schauen wir uns mal diese Gruppen an.

Es gibt eine Spielerpyramide im OP Bereich. Den Fuß der Pyramide muss Marketing füllen. OP holt die Leute dann die Pyramide hoch. Ich versuche das mal am Beispiel einer vergleichbaren Brettspielerpyramide aufzuzeigen. Diese ist natürlich etwas simplifiziert, aber ich denke das sollte helfen die Nachricht zu vermitteln. Das tolle an der Pyramide ist, sie zeigt wie viele Personen damit im Verhältnis gemeint sind. Und dennoch ist keine dieser Stufen eine homogene Gruppe. Je nach Größe können sich dort Nischenpyramiden bilden, wie bei einem Mandelbrotbaum.

Der Fuß der Pyramide ist der Selten und Gelegenheitsspieler. Von denen gibt es sehr viele. Sie kaufen einmal im Jahr etwas wo der rote Pöppel drauf ist und sind stolz auch mal was anderes als Monopoly und Mensch Ärger dich nicht gespielt zu haben. Die meisten Menschen befinden sich aber außerhalb dieser Pyramide und sind überfordert mehr als die zwei gerade genannten Spiele aufzählen zu können.

In der nächsten Stufe sind die Kennerspieler. Sie spielen öfter mal was, haben auch schon einiges kennengelernt, aber sie wollen sich auch nicht überfordern und betrachten Spielen oft als Zweit- oder Dritthobby.

In der dritten Stufe haben wir die ganzen Spieler, die oft spielen und gerne viel spielen. Sie fahren zu Veranstaltungen und kennen auch so einiges. Aber sie müssen nicht alles spielen und sie müssen auch nicht nur das Neuste spielen.

In der Spitze sind die Hardcore-Spieler. Das sind Spieler, die nicht vor 10 Tage Willingen zurückschrecken und denen die Spielzeit nicht das wichtigste ist. Das sind nicht unbedingt die, die die schwersten Brocken spielen müssen, aber sie würden sich im Notfall auch davon nicht abhalten lassen. Und in dieser Gruppe gibt es natürlich auch viele die gerne ihre Meinung sagen und dann aus ihrer Perspektive nicht erkennen, dass sie nur die Spitze sind.

Der Begriff „geerdet“ zu werden passt auch in dieser Struktur manchmal mehr als man glauben mag, wie manchen immer wieder klar wird, wenn sie mit Menschen in Kontakt kommen, welche auf der untersten Stufe oder gar Außerhalb der Pyramide sind. Manche verschließen sich aber davor und wollen mit der Außenwelt nichts zu tun haben. Jedem womit er glücklich wird.

„Ich sollte mir bewusst sein, welche Nische ich bedienen will.“

Kommen wir also zu den Unterschieden des Marketings. Das klassische Marketing versucht die unterste Ebene und alles außerhalb davon zu erreichen. Es geht darum neue Leute zu Spielern zu bekommen, mit genau diesem grandiosen Spiel. Es soll die Basis der Pyramide stärken und mehr Spieler ran holen. Dazu gehören Kampagnen im Fernsehen, welche auf Grund ihrer Kosten heute sehr selten sind, verglichen mit damals in den 70ern oder 80ern. Welcher Teil vom Marketing da aber so sehr erfolgreich war mag ich nicht ausmalen, wenn ich bedenke wie sehr unser Hobby in den letzten 5 Jahren gewachsen ist, aber Will Wheaton ist bestimmt nicht unschuldig.

Das OP auf der anderen Seite versucht mit den Spielern in der Pyramide zu kommunizieren. Es versucht die Leute Stückweise die Stufen hochfallen zu lassen. Je breiter die Pyramide wird, desto mehr Spieler können auf jeder Stufe angesprochen werden. Jedes OP Programm sollte für eine dieser Stufen konzipiert sein und an diese vermittelt werden. Bei TCGs macht man eine Liga für die unterste Stufe. Laden- und Regionalturniere für die nächste Stufe und Meisterschaften für die oberste Stufe. Eine League of Legends Meisterschaft schaut sich der normale Mensch nicht an, aber wer schon in der Pyramide ist, interessiert sich was da passiert. Wer in der Nische sitzt kann mit dem Hero-Building was anfangen. Und Hero-Building haben wir auch im Brettspielbereich, wenn wir an Fans bestimmter Autoren, Illustratoren oder gar Rezensenten denken.

Bei Brettspielern muss dieses OP-Marketing anders aussehen. Ich sollte mir bewusst sein, welche Nische ich bedienen will. Will ich den obersten Punkt, die Mitte, den Fuß oder gar außerhalb abzielen. Viele Blogger sind in der Szene und entsprechend viele gibt es die genau in diesem Segment auch bedienen. Das kommt aus dem Ursprung, dass sie über ihr Hobby erzählen wollen. Es ist ihre Nische in der sie auch gehört werden wollen. Manche finden auch ihre Nische in der Nische, wie der Solo Manolo oder auch die Ü50 Spieler. Aber wie sieht das Marketing aus, für Leute, die Strategien wollen, für die, die Let’S Plays wollen, für die, die Regelerklärungen wollen, und so vieles mehr. Jede Stufe braucht eine andere Art angesprochen zu werden. Und jede Stufe hat auch ihre eigenen Spiele die sie interessieren. Entsprechend muss für diese Stufen auch kommuniziert werden.

„Wenn Beiträge einen Ratlos zurücklassen …“

Und es gibt die Jury Spiel des Jahres. Diese hat sich als Ziel gesetzt, vor allem die Leute außerhalb der Pyramide und gerade noch die unterste Stufe anzusprechen. Dieser Schwerpunkt war vielleicht nicht der Ansatz als sie sich vor 40 Jahren gegründet haben, was auf Grund der kleinen Größe der Nische ihnen keiner übel nimmt, aber es war das erklärte Ziel, das sie die letzten 10 Jahre immer mehr ausdrücklich erklärt haben. Die Spitze ist ihr egal, was betrachtet der Größe auch Sinn macht. Das Kulturgut Spiel soll gefördert und verbreitert werden. Und dazu zählt eindeutig eine Zielgruppe außerhalb der Pyramide oder maximal auf der untersten Stufe. Man kann der Jury vieles vorwerfen, aber das sie dieses Ziel sich gesetzt haben und sie auch so kommunizieren wäre jetzt keins davon. Die Nachricht war bisher immer eindeutig.

Vielleicht ändert sich das jetzt. Die Jury ist im Umbruch. Die Zahl der jüngeren Mitglieder, die in den letzten Jahren reingekommen ist, ist gerade sichtbar. Eine Verjüngung, die ich begrüße und nicht missen möchte, denn ich bin mir sicher, die Jury ist besser, je vielseitiger sie ist. Ein Wieland Herold als gestandener Mann, ein Udo Bartsch mit seinen über 20 Jahren Erfahrung und auch ein Bernhard Löhlein der einen ganz anderen Blick auf viele Sachen wirft sind genauso bereichernd, wie ein Martin Klein, Tim Koch oder Julia Zerlik, um mal drei der letzten Neuzugänge aufzuzählen. Die Jury wird so nicht nur bereichert um Journalisten aus anderen Sphären, sondern vor allem auch um Blicke auf andere Gruppen.

Sollte aber die Jury ihren Anspruch aufgegeben haben die unterste Pyramidenstufe anzusprechen wäre das schade, aber dann soll sie das sagen. Ob sie allerdings dann als Jury noch einen Wert hat, falls sie genau das aufgibt ist eine andere Frage.

Und wie komme ich darauf, dass sie das tun könnte? Diesen Eindruck im Detail zu schildern ist schwer. Es hat vor allem damit zu tun, was ich als einer in der Nische wahrnehme. Einen Blick, den Leuten von außen bestimmt nicht wahrnehmen. Ein Eindruck, der mir aber von anderen der Nische gefühlt bestätigt wird. Es hat was damit zu tun, wie genau kommuniziert wird, wer angesprochen wird und über welche Kanäle das passiert. Wenn Beiträge einen Ratlos zurücklassen, dann ist das nichts, was man so abschüttelt.

Die Jury hat in ihrer Art ein Problem was viele Gruppen dieser Art haben. Auf der einen Seite hat sie als Verein eine Aussage und jeder einzelne in diesem Verein trägt als sein Teil diese Kommunikation. Wenn einer was sagt, steht das für die gesamte Jury. Auf der anderen Seite sind alle diese Mitglieder aber immer noch ehrenamtliche Mitglieder und sie betreiben ihre Rezensionen unabhängig von den anderen Jurymitgliedern und müssen ihre journalistische Arbeit machen ohne sich da beeinflussen zu lassen. Sie kommunizieren ihre Meinung. Diesen Spagat in der Kommunikation, wann wird für wen gesprochen, wann ist es eine eigene Meinung und wann repräsentiere ich damit die gesamte Jury ist sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich.

„Ich bin kein Journalist.“

Ich wäre gerne Journalist. Ich schreibe gerne und analysiere gerne Sachen. Ich versuche es immer objektiv zu betrachten und zu beleuchten was in meinen Augen gut oder schlecht ist, ob mir die Objektivität immer gelingt, kann ich nur hoffen. Und ich freue mich, wenn ich Sachen anders sehe als Andere, wenn wir ausknobeln können, was es ist an dem wir uns unterscheiden und reiben. Und unabhängig davon, dass ich Sachen kritisiere, kann ich aber nachvollziehen, warum es andere dennoch oder gerade deswegen mögen. Es gibt viele bekannte Spiele wo ich Frust bekomme und sogar in Worte fassen kann, was mich daran ärgert und ich sehe entsprechende Spiele als große Hits und komme damit gut zurecht. Aber dieser Frust geht nur über eine Erklärung. Das geht selten in drei Sätzen und vor allem nicht ohne einen Zusammenhang zu schaffen. Der Kontext ist wichtig. Und das war immer mein Anspruch, wenn ich was kritisiert habe. Sei es meine Meinung zu Andor oder auch Scythe.

Die Jury veranstaltet im Juni eine Fortbildung für Journalisten im Brettspielbereich. Für eine Nische. Auch wenn die Nische wächst und gemessen an der Masse an Menschen die als Blogger in diese Nische strömen diese vermutlich nicht mehr klein ist, so ist es dennoch eine Nische. Synes Ernst schrieb, dass es bessere Journalisten braucht, wenn die Nische wächst und auch um die Nische weiter zu vergrößern. Und das sehe ich auch als eine der Aufgaben der Jury. Raus zu platzen und nicht die Nische zu bespielen. Es geht um den Markt da draußen. Der ein oder andere in der Jury sollte sich dieser Zielsetzung nochmal bewusstwerden und im Notfall die eigene Fortbildung besuchen.

Ich habe mich für die Veranstaltung angemeldet und wurde ausgeladen. Mit einer für mich sehr gut nachvollziehbaren Begründung. Ich bin kein Journalist, sondern im Gegenteil Verleger, ein Spagat der mich zwingt bestimmte Sachen zu lassen. In Weilburg waren nicht nur Autoren sondern auch Grafiker, Verleger und viele Andere. Wir haben uns gegenseitig geholfen und in Workshops und Vorträgen zusammengearbeitet. Ich hoffe die Jury bringt in Hamburg den Bloggern, aber auch sich selber da noch was bei.

Matthias Nagy
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