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Wird nun (endlich) alles schlechter?

Mittlerweile  dürfte jedem klar sein, dass als ich schrieb, ich bin im Urlaub und würde jetzt unregelmäßiger schreiben, keine Witze gemacht habe ;-) Allerdings war die Funkstille länger als geplant, aber na gut, dass Wetter in den Tropen lädt einfach nicht zur lockeren Kommunikation mit meiner Leserschaft ein. Immerhin ist die Rezi von Burgen von Burgund online.

Was mich hier aus meiner Abgeschiedenheit aufgeweckt hat ist eine in Prinzip alte Beobachtung: Einerseits meckern viele immer über das ach so gesunkene Niveau des SdJs, andererseits befürchten dieselben Leute immer die unmittelbar bevorstehende Auflösung von Alea aufgrund sinkender Verkaufszahlen. Und das ganz ohne da eine Verbindung zu sehen. Ich dachte ich gebe mal ein bisschen meinen Senf dazu… ;-)

Beginnen wir mit dem Niveau: Ich hab oft genug über das SdJ geredet, also fasse ich mich kurz. Die Advokaten des „Mehr Niveau“ fallen leicht (nicht immer) in zwei Fallstricke. Erstens gehen sie ganz einfach davon aus, dass was ihnen Spaß macht, auch anderen Spaß machen muss. Und das wenn sie anderen die Regeln erklären, diese das Spiel auch gut verstehen. Das ist natürlich erst mal eine gewagte Behauptung, denn das SdJ richtet sich ja gerade an Ungeübte und an Familien. Wer für „7 Wonders“ oder „Burgen von Burgund“ argumentiert muss die Frage beantworten, ob diese auch für z.B. 10-12jährige geeignet sind, die Kinder von spielunerfahrenen Eltern sind (Ich sage nicht, dass sie es nicht sind, aber diese Frage muss auch immer mit beantwortet werden) oder ob man es sich leisten kann, die Familien aussen vorzulassen (auch diese Frage beantworte ich hier nicht, dass sind eben ie Fragen, die man diskutieren muss und diskutieren kann, es aber oft nicht tut). Wer übrigens einen kleinen Selbststest machen möchte, versuche mal jemand anderem ein Lied vorzuklopfen. Die Chancen stehen gut, dass er das nicht erkennt, obwohl es doch ach so einfach ist… Aber vor allem ist es gar nicht unbedingt so, dass in jedem Wenigspieler ein Vielspieler steckt, der rausmöchte – genauso wie nicht jede Leseratte unbedingt Tolstoy oder Ulysess durchackern muss.

Der zweite Fallstrick ist die Forderung, dass man das Publikum nur fordern muss und die sich dann automatisch den besseren Spielen anpassen, bzw. dass die mit ihren Aufgaben wachsen und dann lernen auch komplexere Spiele zu spielen. Nun dieses Konzept wurde in der Erziehungswissenschaft bereits verworfen und durch „Fördern statt Fordern“ ersetzt (übertragen hieße es: Mehr Erklärer in Läden, mehr Hilfen wie Prof. Easy o.ä.). Davon ab kann man sich aber auch ansehen und feststellen, dass -von den Siedlern einmal ab – die komplexeren Spiele eher weniger erfolgreich waren, als die weniger komplexen. Vor allem aber gab es ein Experiment und das heißt El Grande: Im Kielwasser von den Siedlern haben viele Leute es gekauft und es war komplex. Kam es dadurch zu einem Ansturm auf komplexere Spiele? Eher nicht. Rein subjektiv würde ich zudem sagen, dass El Grande zu den Spielen gehört, die am häufigsten ungespielt auf Flohmärkten liegen, und man könnte schlussfolgern, dass liegt am Niveau…

Kommen wir zu Alea. Ich habe keine Einsicht in die Verlagsinterna, genauso wenig wie die Apokalyptiker die spätestens seit Puerto Rico den Untergang der Vielspielermarke predigen. Zu Unrecht, wie man ja unschwer erkennen kann (und Alea hat gerade mit Burgen von Burgund zumindest einen kleinen Hit gehabt, zumindest nehme ich das mal an). Was Stefan Brück aber im Spielboxforum verraten hat ist: Die Verkaufszahlen sind gesunken. Das dürfte in erster Linie mit der größeren Konkurrenz zu tun haben. Als Alea anfing war es DER Verlag für anspruchsvolleres (von Kleinverlagen abgesehen). Doch im Laufe der Zeit kamen mehr und mehr Verlage hinzu, die ein ähnliches oder gar dasselbe Klientel bedienen: Z.B Ystary oder  eggertspiele, andere Verlage öffnen ihr Sortiment auch dem Vielspielersegment (z.B. Pegasus). Dadurch verteilt sich die Käuferschaft auf mehr Spiele und es bleibt weniger für den einzelnen Verlag und eben auch für Alea (da die Spielerschaft insgesamt gewachsen ist, kann ein internationaler Erfolg auch größer ausfallen als früher, aber so ein Erfolg ist wiederum auch seltener). Um so wichtiger, dass ein Spiel genau bei seiner Käuferschaft ankommt – deswegen hat Alea den Vertrieb von Ravensburger weg gewechselt (was ja der Hauptgrund für die Untergangsstimmen war).

Und nun sind wir bei der Verknüpfung: Wäre die Sache mit den anspruchsvollen Spielen als SdJ wirklich so einfach, wieso der Vertriebswechsel? Dann könnte man Alea guten Gewissens im normalen Supermärkten (na gut, in Kaufhäusern) vertreiben, die unbefleckten Käufer würden auch mal zugreifen und dann sofort zu Vielspielerspielen bekehrt werden und weiter Aleaspiele kaufen. Wenn diese These falsch ist, dann würden die Wenigspieler vielleicht mal ein Spiel kaufen und dann keines mehr, weil sie keines wollen. Wenn die These richtig wäre, wäre wohl „Schlag den Raab“ nicht unbedingt das bestverkaufteste Spiel in Deutschland des vergangenen Jahres. Wenn die These falsch ist, haben die Rufer im Forum mehr Ahnung als die Verantwortlichen von Ravensburger (der, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, auf ein stetiges Umsatzplus in den letzten Jahren zurückblicken kann).

Ich überlasse den Leser die Entscheidung und gehe zurück zu meinen Mangoshakes.

ciao

peer

Peer Sylvester
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3 Kommentare

  • Hi Peer, dein Kommentar ist der differenzierteste zum Thema SdJ, den ich in den vergangenen Jahren gelesen habe und deshalb sicher auch der beste. Ich teile deine Analyse vollständig und wenn man die Erkenntnis, dass nicht jeder Gelegenheitsspieler per Handauflegen zu einem Vielspieler bekehrt werden möchte, zugrunde legt, so versteht man auch eigentlich jede Entscheidung der Jury über all die Jahre. Selbst umstrittene Entscheidungen werden dann nachvollziehbar, wenn man sich anschaut, wie der Spielejahrgang jeweils bestückt war. Gut ist auch dein Hinweis auf „El Grande“. In Wahrheit stellte sich ja damals auch nicht die Frage, ob man nun die Spielergemeinde (nach Catan) mit immer anspruchsvolleren Spielen fordern könne, sondern man war im Grunde in Zugzwang dieses (sehr gute, aber auch sehr anspruchsvolle) Spiel zu wählen, weil der Jahrgang keine großen Alternativen bot. Auch Spiele, die auf den ersten Blick als SdJ-Alternativen in Frage kamen, wurden oft mit guten Gründen nicht ausgewählt (Zwei-Personen-Spiele, Themen nicht familienkompatibel etc.). Somit dürfte auch Qwirkle eine gute Wahl sein. Eigenartig ist nur, dass dieses Jahr die große Schelte ausbleibt, Sind die / wir Vielspieler mit der Ergänzung durch das Kennerspiel zufrieden? So leicht lässt sich das Volk bekehren? Eigentlich haben wir ja durch den Deutschen Spielepreis eine gute Alternative zu den Familienspielen beim SdJ. Ich jedenfalls bin jedes Jahr wieder gespannt auf beide Preise (SdJ, DSP) und kaufe mir zumeist beide Spiele, wenn ich sie denn nicht schon habe. Ciao – Andreas

  • Spiele, die leicht und schnell zu erklären, müssen nicht unbedingt leicht zu spielen sein. Ich glaube, daher sollte man dazwischen doch differenzieren. Ich kann auch verstehen, dass viele Familien sich nicht erst eine halbe Stunde mit den Spielregeln beschäftigen wollen, bevor sie anfangen zu spielen.

  • @ Andreas: Danke für das Lob. Ein weiteres Argument ist mir noch eingefallen: In den USA dominierten lange „anspruchsvolle“ Spiele von Avalon Hill die Spielerszene, während in Deutschland eher Kost mit leichte Zugang prämiert wurde. Durchgesetzt hat sich (z.T. auch in den USA) letzteres, Avalon Hill ging pleite.

    @ der Drei: Natürlich, ich hatte mich hier https://www.spielbar.com/wordpress/2011/04/17/2148 schon ein bisschen damit befasst. Im Prinzip gehts der Jury eigentlich um die Einstiegshürde. Aber eine präzise Wissenschaft ists eh nicht.