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Punkt für Punkt

Es gibt Wochen, da habe ich es einigermaßen schwer mir ein gutes Thema aus den Fingern zu saugen. In anderen Wochen dagegen gibt es so viele Anlässe über etwas herzuziehen, dass es mir fast schwer fällt, mich auf ein Thema zu konzentrieren.
Diese Woche fällt in die zweite Kategorie. Nicht nur dass die Diskussionen im Spielerforum geradezu förmlich zu einem Kommentar einladen (Goodies und der Unterstützung eines Spieleverlages an der Restauration des Hamburger Wahrzeichens z.B.) ich hab auch ein paar Neuheiten gespielt, die alle so ein paar Besonderheiten haben, über die man wunderbar philosophieren kann!

So hab ich z.B. sowohl Jahr des Drachen (Alea) als auch Container (Valley Games) in der Minimalbesetzung gespielt – und beide Spiele versprechen nach der Partie mehr Spielspaß bei mehr Personen – da liegt doch glatt eine Beschäftigung mit den Spielanzahlangaben auf der Schachtel in der Luft!
Andererseits lässt mich Container sehr ratlos zurück – die Regeln sind nicht schwer und die Mechanismen sind originell. Allerdings so originell, dass ich immer noch nicht so genau weiß, wie man dieses Spiel am besten spielt! Im Prinzip gibt es ein Hin- und Herhandelssystem:
Man produziert Container und verkauft diese an die Mitspieler. Dann kauft man Container von den Mitspielern, die diese ihrerseits vorher gekauft haben und drittens versteigert man die Container, die man von einem Mitspieler gekauft hat, der diese Container seinerseits gekauft hat. Unterwegs erhöht sich der Wert wenig bis mittelstark (je nachdem, wie die Spieler spielen) und am Ende gibt noch einmal gebündelt Geld für die ersteigerten Container. Der reichste gewinnt natürlich.
Man sieht schnell, dass 3 Spieler suboptimal sind: Es sind gerade zu Beginn zu wenig Optionen vorhanden (man darf niemals bei sich selbst kaufen) und die Spieler können sich gegenseitig blockieren. Vor allem stimmt der Geldfluss aber nicht: Nimmt niemand einen Kredit auf und alle spielen sehr konservativ, kommt auch wenig Geld rein und die Wirtschat stagniert. Bei Spielmitte nahm ich und eine Mitspielerin kurz nacheinander Kredite auf und das sorgte dafür dass insgesamt mehr Geld im Umlauf war und das die Gewinne für alle stiegen. Sehr interessantes -und realisistisches! – Wirtschaftsmodell, aber anfällig für Group-Think-Phänomene: Wenn alle gleich Spielen, belohnt das System diese Taktik. Wenn alle gemeinsam anders spielen, belohnt das System eben diese Taktik. Ein interessantes Phänomen über das ich auch mal sprechen möchte – aber nicht jetzt!

Nein, die Inspiration für den heutigen Eintrag stammt vom Jahr des Drachen. Wie gesagt, ich bin mir bewusst, dass 2 Personen kaum die beste Besetzung darstellen dürfte: Zu wenig passiert auf der Reihenfolgemarkierung, zu oft bekommt man, was man will, so dass die Spieler sehr viel Raum zum optimieren haben. Vor allem aber stimmt das Verwaltungsaufwand-Spielanteil-Verhältnis nicht mehr richtig. Karten mischen, aufdecken, verschieben, werten – viel Zeit geht für die Verwaltungsdinge drauf, wenig für die eigene Planung. Bereits bei Notre Dame hatte ich das „spielerische“ vermisst – Notre Dame ist ja in erster Linie ein Buchhaltungsspiel ohne viel Interaktion (wobei es mir mittlerweile durchaus viel Spaß macht – es brauchte wohl seine Zeit)- aber das ist jetzt bei IJdD noch extremer geworden: Jeder bastelt an seiner Auslage herum und versucht gut durch die Katastrophen zu kommen. Das hat seinen Reiz, keine Frage, aber unter einem Spiel verstehe ich irgendwo was anderes. Aber sicherlich gewinnt das Spiel bei steigender Teilnehmeranzahl, da erst dann viele Elemente so richtig ziehen (z.B. die Mehrheiten zwischendrin).
Aber ein Problem hat IJdD meiner Ansicht nach (und damit sind wir -endlich – beim dieswöchigen Thema): Die Wertung. Oder besser gesagt die Wertungen.

Siegpunkte sind aus Autorensicht ein schöne Sache. Mit ihnen kann man viele verschiedene Aspekte in einem Spiel gleichstark betonen und ohne viel Aufwand verschiedene Siegstrategien ermöglichen. Siedler von Catan ist ein schönes Beispiel: Man kann gewinnen, in dem man viele Städte baut, in dem man auf die Boni oder auf die Entwicklungskarten geht. Dadurch sind immer Ausweichstrategien möglich und das Spiel kann auch spannend bis zum Schluß bleiben (vor allem wenn ein Teil der Wertung geheim ist und erst bei Spielende aufgedeckt wird). (BTW: Raja zeigt, dass das derselbe Effekt auch ohne Siegpunkte erreichbar ist, doch ist Raja eine Ausnahme) Selbst klassische Spiele nutzen Siegpunkte: Man denke an Skat, bei dem Siegpunkte gemäß der „Stärke“ eines Blattes gemessen werden. Auch hier sind verschiedene Taktiken möglich und hier bleibt dem Spieler die Wahl ob er eine höhere (aber vielleicht riskantere) Wertung riskieren möchte oder lieber auf die sichere, aber nicht so einträgliche Variante setzt.

IJdD ist aber ein Beispiel für einen Trend bei den Siegpunktspielen, dem ich etwas kritisch gegenüberstehe: Der Wertungsinflation. Statt verschiedene Wege am Ende zu belohnen oder die Siegpunktvergabe zu vernetzen wird hier fast zu jeder Zeit praktisch alles gewertet:
Man kann Punkte bekommen, wenn man dran ist. Man bekommt Punkte am Ende einer Runde. Man bekommt Punkte bei Spezialwertungen. Und dann gibt es noch eine Schlußwertung. Hier ein Punkt, da ein Punkt, hier mal drei und dafür da 2 für den Gegner… Nein, das ist kaum noch überschaubar (obwohl ich doch sehr regelerfahren bin, hatte ich Probleme mir alle Wertungsmöglichkeiten zu merken) und grenzt dann schon an Beliebigkeit. Da steht dann irgendwann Aufwand und Wirkung nicht mehr im richtigen Verhältnis zueinander. Letztlich hatte ich meine Partie verloren, weil mein Gegner 6x einen Siegpunkt mehr bei Rundennde bekommen hat als ich. Das ist irgendwie unbefriedigend, denn es ist ja keine überlegende Taktik gewesen – nur ein minimaler Vorsprung, den ich durch die Punktemaschinen, auf die ich gesetzt habe dann nicht ganz aufzuholen vermochte – was keiner von uns beiden absehen konnte. Irgendwie wäre das so als würde man bei Siedler am Ende jeder Runde noch die Mehrheiten in jeder Rohstoffzahl bewerten und Punktabzug für das Bewegen des Räubers einrechnen, bestimmte Kombinationen von Häfen belohnen und für Sets aus 4 Rohstoffen noch jeweils einen halben Punkt vergeben.
Das Ärgerliche ist, dass das so gar nicht notwendig ist: Zwar ist das Credo „Alles ist wichtig“ immer ein gutes Motto für ein Spiel (da es für Zwänge sorgt und Zwänge machen das Spiel interessant und bringen einem zum schwitzen), aber das heißt nicht, dass alles einen Siegpunkt (oder auch mal zwei) wert sein sollte. Viele Wertungen lassen sich verknüpfen: Wenn ein Rohstoff benötigt wird, um irgendwo anders ein Gebäude zu bauen, welches seinerseits einen Vorteil bringt, der das leichtere Beschaffen eines Siegpunktes ermöglicht, dann müssen weder Rohstoff noch Gebäude ihrerseits direkt ebenfalls einen Siegpunkt einbringen.
Gibt es am Ende dennoch Punkte für das Gebäude oder für eine Gebäudemehrheit, so vielleicht deswegen, um Gebäudebau noch einmal stärker zu belohnen – etwa weil die Gebäudetaktik sonst anderen Taktik unterlegen wäre. Dieser Punkteausgleich sollte aber nicht zu weit gehen – und da sehe ich das Problem bei IJdD. Hier sollte alles perfekt ausbalanziert werden und obwohl das Wertungsgeflecht an sich bereits sehr gelungen ist, wurden überall noch kübelweise Sonderwertungen und Extrabonuspunkte eingerechnet, damit ja keine Taktik einen Vorsprung haben könnte. Das Resultat erinnert an den Cartoon, bei dem der Heimwerker alle vier Beine des Tisches gleich lang haben möchte und immer wieder zu viel kürzt, so dass die anderen Beine auch gekürzt werden müssen etc, bis der Tisch gar keine Beine mehr hat.
Beispiel gefällig?
Es ist gut viele Tempel zu bauen, weil das Siegpunkte bringt (jeder Tempel einen). Es ist aber auch gut wenig, aber dafür hohe Tempel zu bringen, weil die dann im Falle einer Dürre leichter zu unterhalten sind. Außerdem verliert ein Tempel ein Stockwerk, wenn alle Bewohner ausgeflogen sind (was bei den vielen Katastrophen oft passiert) – und bestand es nur aus einem Stockwerk is es futsch und kann keine Siegpunkte mehr generieren. Ein schönes Dilemma.
Aber anscheinend nicht ausreichend, denn jetzt kommen bei Spielende noch die Mönche, die hohe Tempel noch einmal extra belohnen. Warum? Vielleicht damit mehr kaufbare Figure mitspielen und das Spiel eine „runde“ Spieldauer hat? Oder um die „Viele Tempel“-Taktik etwas zu schwächen? Wieso dann nicht einfach eine Zusatzstrafe, wenn ein Tempel abgerissen wird (Geld, Personen oder Macht, gibt ja genug Variablen im Spiel)?

Warum ist das alles so schlimm, fragt ihr? Ist es gar nicht, aber ich als Autor empfinde so eine Siegpunktwut erst einmal als unelegant. Wenn es bereits -wie im letzten Satz schon geschrieben – eh viele Variablen im Spiel gibt, wieso wird dann vor allem nur an einer gedreht? Warum wird das Netz nicht besser genutzt, statt überall Siegpunkte reinzuwürzen?
Hauptnachteil Nr. 1 ist nämlich dass die Einstiegshürde größer wird: Alle Wertungsmöglichkeiten zu beschreiben dauert schon lange, die dann noch zu verstehen und letztlich auch irgendwo zu nutzen dauert noch viel länger – das tut nicht gut. Hinzu kommt noch, dass die Siegpunktvergabe nicht unbedingt organisch ist oder, was den Schwierigkeitsgrad noch verstärkt.
Zweitens erhöhen die ganzen Wertungen den Verwaltungsaufwand, denn die Wertungen müssen ja alle durchgeführt werden. Ein Spiel mit einem hohen Verwaltungsteil wie IJdD wird dadurch noch zunehmend „Entspielt“.
Auch sorgen die Wertungen eher für eine Abstraktion des Themas, als für Athmosphäre. Der Buchhalteranteil wird verstärkt, der spielerische Teil vernachlässigt. Das gefällt (anscheinend)absoluten Vielspielern, aber Werbung für das Hobby „Spiel“ wird hier nicht gerade veranstaltet.

Das alles richtet sich explizit nicht gegen Stefan Feld, Alea oder auch nur gegen Im Jahr des Drachen (Das ich auf jeden Fall noch einmal in größerer Besetzung probieren möchte). Es richtet sich gegen den Trend der Wertungsinflation: Lieber ein paar klare Wertungsmöglichkeiten, vielleicht ein paar Bonuspunkte, als zu viel des „Guten“. Das macht Spiele eleganter und damit spielbarer. Und letztlich ist es das, was zählt, oder?

ciao
peer

P.S. Jaja, die Meilensteine kommen schon noch wieder. Versprochen!

Peer Sylvester
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4 Kommentare

  • Hi Peer!

    Gerade was die von dir angesprochene „Siegpunktwut“ angeht muss ich dir vollkommen Recht geben. Die Vergabe von Siegpunkten an sich ist ja keine schlechte Sache, aber wenns dann nur noch „Totoptimiererei“ wird, dann kanns doch sehr anstrengend und Spielspaßtötend werden. Bei Im Jahr des Drachen fand ichs persönlich noch an der Grenze, da das Umgehen mit den Negativereignissen im Vordergrund steht. Zu zweit würde ichs auch glaube ich nicht spielen wollen, aber die eine 5er Runde war schon sehr intensiv und herausfordernd.
    Wirklich gestört hat es mich bei Amytüdelüt. Hier tötet die Siegpunktflut jedes Aufkommen von Spaß und ist einfach nur pure abstrakte Rechenarbeit. Sicher, ein solide gemachtes Spiel, aber eines ohne Seele.
    Ich versuche das bei meinen Prototypen in letzter Zeit einzuschränken, oder völlig zu vermeiden… muss aber zugeben, dass es die Arbeit als Autor erschwert :-)

    Schönen Sonntag und viele Grüße
    Bernd

  • Obwohl ich den Artikel sehr schön zu lesen und argumentativ stimmig finde, empfehle ich weitere Partien des Spiels! So wie ich das verstanden hab, fußt diese Meinung in einem Grundsatz der vielfachen Wertung, allerdings aufgemacht am Beispiel IM JAHR DES DRACHEN. Besonders dieses Spiel besitzt sehr viele Stellschrauben und läßt sehr viele Möglichkeiten einer Strategie. Das finde ich sehr schön. Mich sprechen auch besonders solche Spiele an, gerne viele Wertungen und viel Kleinkram auf den man aufpassen muss. Für mich ist das ein Zeichen dafür, wie stark die Spielelemente ineinander verwoben sind und zueinander passen. Ein noch extremeres Beispiel als NOTRE DAME und IM JAHR DES DRACHEN sind m.E. nach IL PRINCIPE und noch extremer HERMAGOR. Und besonders diese Art von Spielen finde ich sehr gut! Ich bin bei weitem kein Optimierer und Grübelexperte. Ich „spiele“ diese Spiele einfach aus dem Bauch heraus und fühle mich dabei keinesfalls wie ein Buchhalter, obwohl ich vielleicht gerade einen solchen Job mache. Und gerade diese ineinander verbobenen Spielmechanismen empfinde ich als sehr elegant wohingegen einige Spiele, die extrem aufs wesentliche reduziert sind in meinen Augen oft plump daher kommen.

    So ist das persönliche Empfinden mal wieder bei vielen ganz anders. In der Spielbox gab es vor ein paar Ausgaben ja auch mal einen Artikel über diese Wertungsflut in einigen Spielen. Offensichtlich ein polarisierendes Thema. Denn das Beispiel NOTRE DAME hat ja offensichtlich viele Freunde gefunden.

    Um nochmal näher auf ein Beispiel aus dem Artikel einzugehen:

    Der Tempelbau. In unseren bisherigen Runden ist es mir nicht ein einziges Mal passiert, dass ich ein Tempelstockwerk oder gar einen Tempel abreißen musste. Im ganzen Spiel kommt zweimal das Ereignis „Dürre“, wohingegen ich zwölf Mal (!!!) Punkte für viele Tempel einheimsen kann! Wer da nicht riskiert mal einen Tempel nicht versorgen zu können und evtl. eine Person zu entlassen, die er wahrscheinlich noch entbehren kann, der spielt hier definitiv falsch!!! Und wer es dann doch anders spielt und die sichere Variante wählt, hat am Ende die Möglichkeit Mönche zu platzieren und evtl. eine ganz starke Schlußwertung hinzulegen. Wenn die anderen das nicht verhindern…

    Aber ich denke mal, dass das ein Anfängerproblem ist (Anfänger bei diesem Spiel). Wer es öfters gespielt hat, sieht diese Zusammenhänge ganz anders. Daher empfehle ich, eine endgültige Wertung zu diesen Strategien erst nach weiteren Partien zu fällen…

    ode.

    P.S. Toller reflektierter Artikel! Ich hoffe, mein Kommentar wird hier nicht offensiv, sondern als interessierter Diskussionsbeitrag gewertet.

  • Hi,
    natürlich freue ich mich über deinen Beitrag, Ode! Ich glaub auch, dass IJdD viel Spaß machen kann (ich hatte ja geschrieben, dass sich der Artikel ausdrücklich nicht gegen das Spiel richtet – das wäre nach einer Zweipersonenpartie auch verfehlt gewesen). Ich denke aber gerade schon, dass es uns Autoren gelingen kann (muss?) diesen Kleinkram und die vielen Strategiemöglichkeiten beizubehalten und zwar OHNE das man das Spiel durch viele Wertungsmöglichkeiten verkomplizieren muss – z.B. in dem man den Siegpunkterwerb vereinfacht oder (um beim Jahr des Drachen zu bleiben) Tempelhochbau anders belohnt (höhere Stockwerke bringen Bonus auf die Produktion von Feuerwerk oder was auch immer).
    Notre Dame gefällt mir übrigens mittlerweile recht gut, aber auch da denke ich dass z.B. die Kathedrale selbst nicht unbedingt hätte sein müssen… :-)