Ich wiederhole mich ungern, werde mich aber aus aktuellem Anlass doch einmal selbst zitieren; In diesem Artikel schrieb ich
Robert deNiro brachte es in einem Interview zu dem Film „Reine Nervensache“ auf den Punkt: „Nein, wir machen uns nicht über die Mafia lustig. Das sollte man in der Tat lassen Wir machen uns über MafiaFILME lustig“. Die Klischees, die durch Filme und Fernsehen etabliert wurden, bilden mittlerweise ihre eigene Fiktion ab, mit eigenen Regeln. So lange sich nun ein Spiel in diesem Bereich bewegt, ist es leichter alle Bezüge zur Realität auszublenden. Problematisch wird es erst, wenn ein Spiel diese Trennung durchstößt uns einen daran erinnert, dass hinter der Klischeehaften Welt eine hässliche Realität lauert.
In Spielen verwenden wir Fiktionen, die zum Teil recht problematische Hintergründe haben: Mord, Krieg, Diebstahl, Kolonialismus, Sklaven, Tierquälerei, Piraterie, um nur einige zu nennen. Das ist alles in Ordnung, wir wissen ja, dass es sich um Fiktionen handelt. Die Frage ist immer, ob diese Dinge glofiziert werden. Ähnliches gilt für die Mafia. Wie in dem Zitat angesprochen, sind die meisten Spiele mit Mafiathema reine Fiktionen, die zudem auf anderen Fiktionen/Klischees (Filme oder Bücher) basieren und deren Schablonen überenehmen. Wir spielen nicht die Mafia, wir spielen eine Popkulturelle Schablone der Mafia. Entsprechend können diese Spiele auch die Handlungen der echten Mafia nicht glorifizieren oder auch nur befürworten. Mafia und Mafia-Filme sind zwei sehr unterschiedliche Dinge.
Das Spiel La Famiglia von Maximilian Thiel nun durchbricht diese Trennung. Der vollständige Titel La Famiglia: The great Mafia war nimmt explizit Bezug auf reale Geschehnisse. Der große Mafiakrieg (auch „der zweite Mafiakrieg“ ) war ein äußerst blutiger Konflikt, der insgesamt fast drei Jahre tobte (1981-1983) und vermutlich über 1000 Menschen das Leben kostete (darunter auch viele Unschuldige). Hier wird also nicht die popkulturelle Schablone der Mafia als Vorlage genommen, sondern tatsächlich die Mafia, in all ihrer Grausamkeit. Hinzu kommt noch, dass dieses Ereignis nicht allzu lange her ist, entsprechend gibt es viele Menschen, die einen unmittelbaren persönlichen Bezug zu den Geschehnissen haben. Insofern war es vielleicht nicht überraschend, dass es mit dem Erscheinen des Spieles in Italien dort einen kleinen Aufschrei gab – Insbesondere Personen, die Menschen durch die Mafia verloren haben, betrachteten das Spiel als Affront. Leider reagierte der Autor nicht optimal auf die Aussagen. Zwar entschudligte er sich „falls sich jemand durch das Spiel angegriffen fühlt“ (was nun einmal eine Nicht-Entschuldigung ist), aber er spielte den Ball direkt zu den Empörten zurück: „Ich sehe kein Problem“, „Das Spiel ist sehr abstrakt, daher sind die Morde eigentlich nicht wirklich im Spiel enthalten“, „Viele Leute assozieren den Mafiakrieg mit dem Tode von Giovanni Falcone, Paolo Borsellino, die aber zehn Jahre nach dem Krieg getötet wurden (…) Diese Morde haben nichts mit der Mafia aus dem Spiel zu tun“ sind Aussagen, die sich eher so lesen, als würde Thiel die Personen, die sich beschweren, korrigieren: „Ihr liegt falsch. Das Spiel ist nicht schlimm“ (Hervorhebung von mir).
Ich werde versuchen als Mittler zu erklären, wo die Probleme und Missverständnisse liegen. Beginnen wir einfach einmal mit der ersten Aussage von Thiel „Ich sehe kein Problem“: Kurz gesagt: Das ist irrelevant. Thiel hat nach eigener Aussage – und das glaube ich ihm unbenommen – ein Thema gewählt, mit dem er sich auskennt. Das ist gut, da gibt es nich ganz andere Beispiele. Das heißt aber nicht automatisch, dass seine Perspektive auch allgemeingültig ist. Ein Spiel, bei dem reale Personen vorkommen, wirkt anders auf Personen, die diese Personen persönlich kennen, auf Angehörige, auf Freunde oder Kontrahenten, als auf Leute, die diese Namen nur aus Geschichtsbüchern kennen. Will man vermeiden, dass Personen mit persönlichem Bezug negativ reagieren, so hilft es, wenn man diese Personen vorher befragt. Bei Spielen, die in anderen Kulturen spielen, sind kulturelle Berater:Innen aus ähnlichen Gründen mittlerweile etabliert. Ein Autor oder eine Autorin haben nicht die Deutungshoheit über ihr Spiel.


Zweitens muss aus dem Spiel heraus klar werden, warum das Thema gewählt wurde. Es ist ein Unterschied in der Wahrnehmung, wenn ein Thema eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema darstellt oder nur ein Hintergrund oder gar wegen des coolen Namens gewählt wurde. Bei True Crime-Berichterstattungen dient oft der Satz „Mein Schicksal ist nicht deine Unterhaltung“ als Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung. Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass reale Personen, reales Leid erfahren haben und diese Personen durch das jeweilige Medium mit diesem Leid wieder konfrontiert werden. Im schlechtesten Fall geraten die Opfer sogar in Vergessenheit, während die Täter im Mittelpunkt stehen. Um das zu vermeiden, sollte aus dem Medium klar werden, dass der Zweck eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema darstellt, die um eine reine Unterhaltung hinausgeht. Bei einem Spiel nutzt man dazu das Thema als Sujet, als Anlass, sich mit den Motiven inhaltlich und/oder emotional näher zu beschäftigen. Ich glaube hier liegt das Problem bei La Famiglia: Ich habe das Spiel nicht gespielt, aber aus Cover, Schachteltext und Regeln wird mir nicht klar, warum hier nicht ein „generisches“ Mafiathema gewählt wurde, warum es unbedingt der konkrete Bezug zu den echten Gräueltaten geben musste. Nun ist mir bewusst, dass eine Argumentation aus Unkenntnis heraus bestenfalls schwierig ist, aber zumindest auf den ersten und zweiten Blick lässt sich die Frage nach dem Warum nun einmal nicht beantworten. Und das ist der Blick, den Betroffene haben, die sich sicherlich nicht mit einem Spiel, dessen Thema sie als als traumatisch empfinden, auseinandersetzen wollen.
Abstraktion kann helfen, um ein Spiel zumindest nicht glorifzierend wirken zu lassen. Zudem blenden alle Spiele Teilaspekte aus: In kaum einem Kriegsspiel kommen Zivilisten vor, in kaum einem Euro sterben Arme auf den Straßen. Das funktioniert, weil Spielende beim Spielen ihre eigene Narrative konstruieren. Die Spiele geben ihnen dazu quasi die Stichwörter. Wenn beispielsweise ein Undaunted die Geschichte einer Schlacht impliziert, so werden die Spielenden mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Handlungen innerhalb dieser Geschichte interpretieren. Wenn sie dabei keinen Grund haben, Zivilisten in die Geschichte mit einzubauen, so werden sie das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht tun. Umgekehrt ist es sehr viel schwieriger das Entfernern einer Personenkarte nach einem „Treffer“ NICHT als „Tod des Soldaten“ zu interpretieren – entweder wird die abstrakte Handlung (Karte entfernen) gar nicht interpretiert oder eben schon innerhalb des Settings. Dasselbe dürfte auch bei la Famiglia zutreffen: In einem Spiel, dass das Wort „Krieg“ im Titel trägt und ein Setting hat, in dem sich Mafioso bekriegen, fällt es schwer das Entfernen von Einflusswürfeln nicht als Produkt einer gewaltätigen Auseinandersetzung zu interpretieren, auch wenn das nicht unbedingt intendiert ist.
Um es klar zu sagen: Ich argumentiere hier nicht, dass das Thema nicht hätte gewählt werden dürfen. Allerdings war die Empörung unter Betroffenen durchaus vorhersehbar und hätte mit einer etwas anderen Herangehensweise vermieden werden können.
ciao
peer
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