Man mag es kaum glauben, wenn man die Internationalen Spieletage in Essen in diesen Jahren besucht, aber vor etwa 20 Jahren war die Anzahl an Internationalen Verlagen deutlich geringer. Und die Messe war deutlich kleiner. Ebenso die Verlage: Neben den großen Ausstellern wie Kosmos oder Ravensburger gab es zahlreiche Klein- und Kleinstverlage, die z.T in langen Nächten vor der Messe eine kleine Dreistellige Anzahl von Spielen handgefertigt haben. Einige Verlage hatten Druckbögen zum Ausschneiden (eine Art Prä-Internet-Print-and-Play), andere legten gleich nur Kopiervorlagen, etwa für Geldscheine, bei (Hallo, Friedemann!). Gestalterisch besser Begabte wussten mit handgeschnitzten oder andersweitig hochwertigem Material in den Spielen zu gefallen. Es war auch die Zeit der Skai-Pläne, Spielpläne aus

Kunstleder, die sich kostengünstig in kleinen (aber nicht in größeren) Auflagen herstellen ließen und etwa zum Symbol von Edition Perlhuhn wurden. Ähnlich wie die Rollen, in denen viele dieser Skaispielplänen steckten, weil die deutlich billiger waren, als Spieleschachteln aus hochwertiger Pappe. Viele dieser Spiele gingen unter, andere entwickelten Kultstatus: Wenn via Spielbox oder Mund-zu-Mund-Propaganda ein Spiel als „Geheimtipp“ gehandelt wurde, waren die kleinen Auflagen schnell abverkauft – wenn man denn überhaupt eine Einkaufsmöglichkeit für ein seltenes Spiel fand. Einige Spiele wurden entsprechend hoch gehandelt.
Mit der Normalisierung des Internets gab es mehr Einkaufsmöglichkeiten, mehr Spielekritiken (die vielleicht die Geheimtipps weniger enthusiastisch bewerteten als jemand, der das letzte Exemplar ergattern konnte), aber auch mehr Möglichkeiten Spiele in höherer Qualität herzustellen. Hinzu kamen später auch Crowdfunding-Möglichkeiten. Kleinverlage wandelten sich: Das Spielmaterial wurde hochwertiger, die Auftritte professioneller. Das mussten sie auch werden, denn die Konkurrenz wurde -nicht zuletzt durch das Internet – sichtbarer. Ein Spiel mit Pöppeln und laminiertem, handgemaltem Spielplan erweckt weniger Neugierde als das professionell gestaltete Spiel nebenan. Bei einer immer größeren Anzahl von Spielen aus aller Welt, wird es zunehmend schwieriger, Interesse zu wecken. Neben den Kosten explodierte auch der Zeitfaktor: Jetzt müssen nicht nur die Spiele entwickelt und gebastelt werden, jetzt muss man sich eben auch um Graphiker, um Drucker kümmern, die Buchhaltung wird komplexer, der Vertrieb muss organisiert werden, ggf. muss ein Shopsystem auf die Webseite, dass den aktuellen IT-Ansprüchen entspricht usw. Crowdfunding hilft bei der Finanzierung, aber lässt die zeitlichen Kosten größer werden, denn für den Erfolg bedarf es jetzt echtem Marketing.
Entsprechend gibt es heutzutage zwar immer noch sehr viele kleine Verlage (vielleicht sogar mehr als früher, je nachdem wie man zählt), aber die „echten“ Eigenverlage, in dem kreative Personen ausschließlich ihre Eigenentwicklungen verkaufen, sind gerade in Deutschland sehr selten geworden. Und die meisten sind davon abhängig, dass es gelingt, ausländische Partnerverlage zu werben, damit die gestiegenen Kosten noch irgendwie finanzierbar sind (viele Kleinstverlage machen die Spiele auch nicht als Einkommen sondern leisten es sich als „teures Hobby“).
Die Entwicklung ist nicht per se schlecht: Die Spieleszene wird immer größer, die Anzahl der Spiele wächst, der Standard in Bezug auf Material aber auch Nachhaltigkeit wächst, es gibt deutlich mehr potentiell gute Spiele als vor zwanzig Jahren. Spiele, die mit den mitgelieferten Regeln nicht oder nicht richtig funktionieren sind praktisch ausgestorben. Wer es „aus Gründen“ nicht auf Spieleveranstaltungen schafft, kann sich via Internet dennoch einen großen Teil des dortigen Angebots beschaffen.
Und doch scheint etwas zu fehlen.

In den letzten Jahren hat das Internationale Interesse am Tokyo Game market immer mehr zugenommen. Dieser Game Market ist im Prinzip erst einmal eine Art „Asiatische Spiel“ mit vielen Verkaufsständen von überwiegend asiatischen Verlagen. Der Hauptgrund für das Interesse ist aber, dass dort sehr viele japanische Spieleautor:innen Spiele in Kleinstauflagen (oft deutlich unter 100 Stück) vorstellen. Die meisten japanischen Spiele sind Kartenbasiert oder zumindest nicht allzu groß, was eine kostengünstigere Produkt erlaubt. Das Interesse ist groß genug, dass erste Online-Händler wenige Exemplare ausgesuchter Spiele aus Japan nach Europa (oder Nordamerika) bringen, um diese weiterzuverkaufen.
Das Interesse ist auch groß genug, dass beim letzten PAX (eine Con) in den USA erstmals ein „Indie Game Market“ angeboten wurde, bei dem ebenfalls Kleinstverlage ihre Ware anbieten konnten.
Ich muss an dieser Stelle betonen: Auch wenn natürlich auch Verlage dort scouten oder zumindest einfach so fündig werden und Spiele aus diesem Indie-Bereich zeichnen, handelt es sich hier nicht um Autorentreffen á la Göttingen, die in erster Linie dazu dienen, Kontakt zwischen Spieleschaffenden und Verlagen herzustellen. Nein, hier geht es primär darum, die eigenen Spiele zumindest einer kleinen Personenanzahl zur Verfügung zu stellen, sich als Künstler:in auszudrücken und das eigene Schaffen in die Öffentlichkeit zu bringen. Auf Kunstschaffender Seite klafft ansonsten eine Lücke: Wer es sich nicht leisten kann, ein Spiel in einer großen Auflage herzustellen oder wem das gestalterische und/oder finanzielle Geschick dafür fehlt und keinen Fremdverlag für das eigene Spiel findet, kann im Moment schlicht nicht veröffentlichen. Diese Lücke wird durch die Indie-Märkte geschlossen.
Der große Erfolg in Japan und in den USA zeigt aber vor allem auch ein enormes Interesse von seitens der Spieleconnoisseure. Ein Teil des großen Interesses stammt natürlich aus der Hoffnung, den Geheimtipp zu finden, also DAS Spiel, das perfekt den eigenen Geschmack trifft und das man sonst nie kennengelernt hätte. Ebenso natürlich ist das Hipster-Gen mit von der Partie, also das Bewusstsein etwas zu haben, was sonst niemand hat, eben das unbekannte Kleinod, den Schatzfund. Doch die Reduktion der Faszination auf diese beiden Punkte greift zu kurz. Ein kleiner Grund ist sicherlich, dass man durch die Indie Markets lokale Kreative unterstützt, dass man so einen Einblick in Subkulturen gewinnt.
Doch der Hauptgrund dürfte sein: Indie-Spiele müssen nicht marktkonform sein. Wer nur eine Handvoll Spiele anbietet, hat die Freiheit, sich dafür nicht in finanzielle Abhängigkeiten begeben zu müssen. Anders ausgedrückt: Man kann machen, was man will. Das schafft z.B. den Raum eine Idee einfach einmal auszuprobieren, ohne sie hundertfach getestet zu haben. Entsprechend viele japanische Spiele basieren auf einer Idee und dann wird geguckt, ob die genügend Interesse produziert. Ich erinnere mich an ein Spiel namens Uri Geller, bei dem man Löffel verbiegen muss, ohne dass die anderen das mitbekommen. Auch müssen Indie-Spiele nicht thematisch an den Mainstream angepasst werden (auf dem Indiemarket gab es ein Spiel über Propaganda) und müssen nicht daraufhin untersucht werden, ob das Material massentauglich ist (Ein anderes Japanisches Spiel verwendet diese Sehnen aus dem Magiebedarf, um beim Spielen einen Stift „schweben“ zu lassen). Als Resultat bieten die Spiele das Versprechen ein Spielerlebnis zu bieten, was Spiele aus dem Massenmarkt normalerweise nicht bieten. Vielleicht ist ein Indiespiele gerade auf lange Sicht nicht „gut“, aber wenn es eine neue Erfahrung bietet, lohnt sich eine Partie durchaus.
Wenn man sich den Spielemarkt anschaut, dann muss man nicht oberkritisch sein, um festzustellen, dass dort praktisch alle Spiele vergleichbare Zielgruppen und Spielphilosophien haben. Es gibt einen klaren Mainstreambereich. Wo sich ein derartiger Standard etabliert hat, ist immer Platz für Spiele, die diesem Standard nicht entsprechen und für Spieleschaffende, die andere Wege versuchen zu gehen. Es ist enorm schwierig ein Spiel bei einem etablierten Verlag unterzubringen, insbesondere wenn es nicht in gerade favorisierte Raster passt (Es bedarf da auch zumindest Mut der Redaktionen). Eine Indiemarkt füllt diese Lücke. Ich hoffe, dass diese Märkte auch hierzulande etabliert werden. Der Deutschen Spieleszene würde es auf mehreren Ebenen helfen: Nicht nur in Punkto Kreativität bei den Schaffenden,bei der Öffnung, des Fokusses, sondern auch bei der Etablierung des Spieles als Kunst-/Kulturobjektes und der Betrachtung desselben (Was ist ein gutes Spiel?) auf der Konsumentenseite.
ciao
peer
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