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Undaunted Normandie

Verlag: Osprey Games / Giant Roc
Autoren: David Thompson & Trevor Benjamin
Spielerzahl: 2
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: 45-60 Minuten

Brettspiele in Deutschland machen um das Thema 2. Weltkrieg einen weiten Bogen. Das überrascht wenig. Aber es hat auch zur Folge, dass außerhalb einschlägiger Kriegsspielerkreise, der Umgang mit dem 2. Weltkrieg in Spielen nur selten Gesprächsthema ist. Darf man einen Krieg einfach so zu Hause bespielen? Wie darf ein Spiel einen Krieg darstellen? Was darf ein Spiel über Kriege aussagen?

Undaunted Normandie ist im 2. Weltkrieg angesiedelt. Es geht um einzelne Gefechte in der Normandie, die zwei Spielende als US-Armee und Wehrmacht gegeneinander ausfechten. Wem hier schon die Ohren rot anlaufen, sei auf die zweite Hälfte dieser Kritik verwiesen. Zuerst will ich aber ein paar Worte zum Spieldesign auf handwerklicher Ebene verlieren.

Egal wie nah man rangeht, man blickt doch nur von oben herab

Bereits während der ersten Partie wird einem klar, dass es sich hier um ein schlankes und einsteigerfreundliches Spiel handelt. Mit seinen Spielsteinen („Soldaten“) muss man bestimmte Felder des Spielbretts belegen („kontrollieren“). Um das zu tun spielt man – je nach Spielstein – bestimmte Karten aus. Damit das Spielgefühl nicht zu statisch wird, erlaubt eine einzelne Karte zwischen unterschiedlichen Aktionen zu wählen. Manche Aktion fügt dem eigenen Kartenstapel neue Karten hinzu. Eine andere erlaubt es weniger nützliche Karten zu entfernen oder die Gegenseite zwingen, nützliche Karten aus der Hand zu entfernen. Mal bewegt man seine Spielsteine, mal verhindert man dass die Gegenseite es tun kann. In Summe drehen sich alle Überlegungen um das taktische und strategische Ausspielen von Handkarten und das Verändern des eigenen Kartenstapels. Der Kenner spricht hier von Deckbuilding-Mechanismen.

Das Design von Undaunted Normandie ist deshalb so stark, weil auch Nicht-Kenner schnell die Grundzüge verstanden haben. Es ist immer klar, welches Ziel man erreichen soll. Selbst mit einem sehr groben Verständnis der Regeln, begreift man schon nach wenigen Zügen was man tun kann, um an sein Ziel zu kommen. Allein die etwas unspezifische Begriffswahl bei einigen Kartenaktionen verlangt, dass man die eine oder andere Vokabel lernt.

Ist diese Hürde genommen, spielt sich Undaunted Normandie jedoch flüssig. Nur die ersten Male kommt man beim Ausführen einer ausgespielten Aktion ins Stocken. Hat man die Zusammenhänge verstanden, überfordert die Auswahl an möglichen Aktionen auch nicht mehr. Stattdessen beginnt man sorgfältig zwischen kurzfristigen und langfristigen Folgen abzuwägen. Das ist nicht nur spannend und unterhaltsam, sondern auch sehr kurzweilig. Eine Partie fühlt sich selten länger als 30 Minuten an.

Die Spieltiefe ist nicht unbedingt auf dem Spielfeld zu finden

Wäre ein Spiel nur die formschöne und einladende Summe seiner Mechanismen, dann würde Undaunted Normandie mit Sicherheit auf vielen Bestenlisten der deutschen Brettspielszene stehen. Aber es ist auch ein Spiel, welches auf geschichtliche Themen und Inhalte verweist, mit denen sich sonst nur Spiegel-Titelblätter und Oscar-Anwärter aus Deutschland beschäftigen. In deutschen Wohnzimmern Spielspaß mit dem 2. Weltkrieg zu kombinieren, darf man eigentlich nur wenn man so viel Geld wie Activision damit machen kann.

Alternativ darf man sich aber auch spielerisch mit diesem Thema beschäftigen, wenn der nötige Ernst und Respekt damit einhergeht. So verweist ein Absatz zum historischen Hintergrund des Spiels auf die 30. Infantriedivision der US-Armee und distanziert sich vom Anspruch historische Abläufe zu simulieren. Ebenso trägt jede Figur, die auf den Karten zu sehen ist, einen Namen. Dies soll daran erinnern, dass man als Spieler „echte Soldaten führt und nicht beliebige Spielfiguren“.

Ironischerweise macht sich Undaunted Normandie aber genau dann durch sein Thema angreifbar, wenn es versucht sich respektvoll und verantwortungsvoll zu positionieren. Der unausgesprochene Gedanke, dass die Darstellung fiktiver Gefechte in einem Brettspiel auch eine Verpflichtung mit sich bringt die reale Geschichte zu reflektieren, hinterfragen oder kommentieren, wird dem Spiel zum Verhängnis.

Denn erst im Vergleich zu diesem hohen Selbstanspruch werden die großen Lücken deutlich, die das Spiel durch seine gewählte Perspektive und Art aufweist. Die Abstraktion des Spieldesigns macht es unvermeidbar, dass bestimmte Aspekte ausgespart werden. So kennt Undaunted Normandie weder Verletzungen noch Trauma für seine Soldaten. Gefechte hinterlassen weder körperlich, noch seelisch Spuren. Es gibt keine moralischen Grenzen, die durch Tötung auf Befehl überschritten werden. Selbst die Verantwortung für die Männer in den eigenen Reihen existiert bestenfalls als diffuse Anspielung im Regelheft. Die ausgespielten Gefechte haben die emotionale Tiefe und Komplexität, wie es die Schießereien mit Fingerpistolen unter Schulkindern haben.

Ich habe Verständnis für die Absicht hinter der Erklärung im Regelheft. Man will hier den Vorwurf der Trivialisierung realer Verbrechen entkräften. Man will signalisieren, dass dieses Spiel weder aus Ignoranz, noch Gleichgültigkeit heraus gemacht wurde.

Aber in letzter Instanz entscheiden Spieler wie viel Wissen über reale Gefechte und Soldatenschicksale in das Spielgefühl einfließt. Es ist unser Vorstellungsraum, der entscheidet ob wir bei einem erwürfelten Treffer an Blut, Schmerzen und Todesangst denken, oder ob wir uns ärgern, dass unsere taktische Flexibilität eingeschränkt wurde.

Die Macher hinter Undaunted Normandie verstehen, dass ein Spieldesign beeinflusst was man beim Spielen tut, denkt oder fühlt. Sie machen jedoch den Fehler allein auf das Gezeigte zu achten, statt auf das was man mit dem Spielmaterial tatsächlich macht. Die Narrative, die das Spiel aufwirft, wird durch die Mechanismen eingerahmt und durch das Setting ausgekleidet. Aber wir sind es die durchs Spielen selbst eine Geschichte daraus machen können. Es ist unsere Vorstellungskraft, die aus angewandten Mechanismen Ereignisse formt. Es sind die Bilder vor unserem inneren Auge, die festlegen wie respektvoll, verantwortungsvoll und angemessen ein Spiel mit der realen Vergangenheit umgeht.

„Ihr seid alle Individuen.“

Der Einfluss der Spielemacher endet im unverbindlichen Vorschlag wie ihre Regeln und das Setting zusammengebracht werden sollen. Am tatsächlichen Spieltisch sind wir es, die darüber entscheiden was eine Spielregel für die Geschichte bedeutet. Wir füllen sie mit Sinn oder Aussage und können dafür auch Illustrationen und Begriffe des Spiels aufgreifen. Es liegt an uns, ob eine Spielkarte nun Schütze Johnson mit Frau und Kind daheim in Oklahoma ist, oder einfach nur „die Karte mit der 5 drauf“.

Darum ist der Text zum historischen Hintergrund nur ein Vorschlag, wie man das Spiel verstehen und wahrnehmen soll. Aber es stellt sich dann auch die Frage, warum es nötig ist, das zu erklären. Gewinnt ein Spiel dadurch an Reife? Die Tatsache, dass die Karten unerschrockene Recken mit eigenem Namen zeigen, soll suggerieren, dass es tatsächlich Menschen sind, die aus solchen Feuergefechten nicht mehr zurückkehren werden. Aber allein dieser Satz zeichnet ein präziseres Bild menschlicher Tragödien und mitleidserweckendem Elend als es das Spiel selbst tut.

Egal wie sehr man daran rütteln möchte, Undaunted Normandie ist ein Spiel, das Spaß macht. Aber sein Umgang mit dem Thema 2. Weltkrieg fängt nicht den Pathos und verzweifelnden Humanismus eines Der Soldat James Ryan ein. Beim Spielen fühlt man sich viel mehr an die Abenteuerlust und das freundschaftliche Gerangel erinnert, weshalb einem Gesprengte Ketten so gut in Erinnerung geblieben ist. Aber selbst für diesen Vergleich, fehlen bei Undaunted Normandie die bitteren und finalen Niederlagen, die sich durch den Film zogen.

Ob Undaunted Normandie seinen Hintergrund trivialisiert, hängt auch davon ab, was wir als Spieler daraus zu machen bereit sind. Denn das Spiel selbst liefert zu viel leichtfüßige Unterhaltung und Spielfreude, um mit ernster Miene auf die realen militärischen Konflikte des 2. Weltkriegs zu verweisen. Es ist ein Spiel, das Spaß macht und dabei weder lehrt, erklärt oder Einblicke in die Geschichte des 2. Weltkriegs vermittelt. Vielleicht müssen das Spiele auch nicht immer tun. Selbst wenn sie von Kriegen handeln.

Georgios Panagiotidis
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