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Was Spiele sagen

Vor kurzem bin ich über einen Satz gestolpert, der mich nachdenken ließ. Da schrieb jemand darüber was ein Spiel aussagt und das fand ich interessant. Was ich damit meine ist, dass meine erste Reaktion war den Kopf zu schütteln und „Nein“ zu sagen. Aber als ich mehr darüber nachdachte, wuchs in mir die Einsicht, dass ich „auf keinen Fall“ hätte sagen sollen.

Bevor ich jetzt weiter aushole, will ich eine Sache so klar wie möglich machen. Ich bin nicht der Ansicht, dass Spiele „nur Spiele“ sind, oder dass sie „nicht politisch“ sind oder dass sie „keine Bedeutung“ haben. Das ist das absolute Gegenteil meiner Überzeugungen. Die Bedeutung eines Spiels ist die Grundlage einer jeden ernsthaften Auseinandersetzung mit ihnen. Ich würde mit Nachdruck argumentieren, dass Spielkritik nur dann möglich ist, wenn wir Bedeutung als Grundannahme in Spielen akzeptieren. So wie wir es in Literatur und Filmen auch tun. Eine solche Bedeutung muss dabei weder besonders tiefgründig oder allgemeingültig sein. Aber jeder, der auch nur ein Minimum an Medienkompetenz besitzt, versteht dass Film, Literatur, Theater, Musik… immer Bedeutung hat. Das gleich gilt auch für Spiele.

Da wir das jetzt festgehalten haben, warum störe ich mich an dem Gedanken, dass Spiele etwas aussagen? Es gibt hier zwei Dinge, die mich an dem Satz stören. Das eine ist die Frage wie wir mit Spielen umgehen, wenn wir sie spielen. Die andere ist wie wir über Spiele sprechen und über sie nachdenken.

Damit ein Spiel etwas aussagen kann, muss man ein Spiel erst mal als eine Art lesbaren Text begreifen. Mit anderen Worten, wir müssen ein Spiel mit dem Gedanken spielen, dass jedes Element der Regeln, thematischen Auskleidung, Komponenten bis hin zur Sprache, die im Regelheft und Spiel verwendet wird, derart angelegt wurde, dass sie einen bestimmten Zweck verfolgt. Sie wurden gewählt und aufbereitet, damit sie eine bestimmte Wirkung auf Spieler*innen haben. Natürlich wird diese Form des Mikromanagement auf einen Großteil der Spiele vermutlich nicht zutreffen. Ich glaube auch nicht, dass die meisten Menschen die sich mit Spielkritik beschäftigen glauben, dass ein Spiel derart minutiös entwickelt werden kann. Der Satz „ein Spiel sagt etwas aus“ nimmt aber in meinen Augen an, dass dem Spiel eine Vision zu Grunde liegt, die alles zusammenführt. Selbst wenn man kein „micromanagement“ bis ins kleinste Detail wie ein Möchtegern-Kubrick ausführt, sind alle Elemente des Spiels so gewählt worden, dass sie sich in diese Vision einfügen können. Von dieser Annahme ausgehend, liegt es also an uns als Spieler*innen diese Vision des Spiels zu identifizieren. Es liegt an uns zu erkennen was der Künstler/die Künstlerin uns damit sagen will. Schließlich wurde uns ja lange beigebracht, dass wir literarische Texte genauso handhaben sollen. Als jemand mit einem Magister in Englisch und jemand der Englisch unterrichtet, kann ich sagen: So funktioniert das nicht. Das ist völlig verkehrt.

Es gibt keine geheime Nachricht in einem Text, den man mühsam herausarbeiten muss. Es gibt keinen Codeschlüssel, der die wahre Bedeutung eines Textes offenbart; und wenn du diese Bedeutung nicht erkennst, dann bist du zu doof dafür. Die Bedeutung eines Texts ist ein Vorgang. Durch das Lesen des Texts schaffen wir Verbindungen zwischen unterschiedlichen Konzepten und Ideen. Aus unserer reflexartigen Gewohnheit Dinge mit Sinn zu füllen, entwickeln wir oft eine Geschichte um diese Verbindungen zusammenzuhalten. Das gilt für literarische Texte und es gilt auch für Spiele. Unsere Gehirne sind Sinnstiftungs-Maschinen und sie laufen nirgends so heiß wie beim Spielen.

Im wortwörtlichen Sinne sagen also nicht Spiele etwas aus, sondern Spieler*innen. Wir sind es, die eine Verbindung ziehen zwischen den Komponenten des Spiels, den sozialen Rollen die wir beim Spielen einnehmen und den Erlebnissen, die wir dabei haben. Daraus artikulieren wir Ideen, Argumente und Geschichten.
Natürlich besitzt der Satz „Spiele sagen etwas aus“ noch eine weitere Ebene, welche diese Sinnstiftung durch Spieler*innen sowohl anerkennt als auch voraussieht. Die Argumentation lautet, dass Designer ja das Spiel so entwickeln können, dass nur bestimmte Ideen, Argumente und Geschichten aus dem Spielen entstehen können. Das ist, wenn man es ganz allgemein so beschreibt, durchaus richtig. Ein Wirtschaftsspiel in dem Arbeiter nicht vorkommen, wird Spieler*innen nicht zu Positionen führen, die diese Form der Wirtschaft kritisieren. (Ist das wirklich so?)

Offensichtlich können Ideen aus einem Spiel ausgeklammert werden. So wie ich bestimmt auch Gegenargumente zu meinem Artikel hier ausgeklammert haben werde. Wenn auch nicht mit Absicht. Aber Spieler*innen sind weder unwissend oder ohne eigene Erfahrungen. Wenn wir akzeptieren können, dass der Sinn eines Spiels von Spieler*innen geschaffen wird, dann ist es naheliegend, dass diese auch Verbindungen ziehen, die weit über das hinaus gehen was in dem Spiel selbst vorhanden ist. Würden Menschen nicht so denken, dann hätten wir weder Allegorien noch Metaphern. Auch wenn diese nur wirken, so lange Autor*innen und Leserschaft eine gemeinsame kulturelle Sprache sprechen. (Für einen aktuellen Vergleich: der erste Satz aus William Gibsons Neuromancer wirkt 2025 ganz anders als 1985.)

„Der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet war“

Auch wenn es Designer*innen möglich ist bestimmte Parallelen in einem Spiel zu minimieren (oder einfach nicht wahrzunehmen), sind es Spieler*innen, die letztendlich Verbindungen und ihr Spielerlebnis durch ihr eigenes Wissen und ihre Erfahrungen kontextualisieren. Je mehr sich die kulturellen Kreise überschneiden, in denen sich Autor*innen und Spieler*innen bewegen, umso weniger bemerkt man das. Wenn beide mit den gleichen Ideen, Konzepten und Narrativen vertraut sind, fühlen sich Spiele wie ein einfach zu lesender Text an, der nur eine Bedeutung besitzen kann und damit Spieler*innen klare Argumente bietet.

Die Umkehrung ist genauso wahr. Je mehr wie Diversität und Heterogenität in Spielen unterstützen, umso mehr müssen Spieler*innen ihre eigenen Perspektiven und Erfahrungen an den Tisch bringen. Unsere sinn-stiftenden Köpfe müssen umso mehr arbeiten, wenn wir Spiele spielen, die von Menschen gemacht wurden, deren Erfahrungen sich kaum mit unseren decken. Das erklärt auch warum manche Spieler*innen plötzlich ein Interesse an Themen entwickeln nachdem sie ein interessantes Spiel spielen, welches sich auf dieses Thema bezieht. Vor allem aber zeigen sie das große Potential, das in Spielen steckt, Menschen nicht nur mit Mitspielenden sondern auch mit anderen Sichtweisen zusammenzubringen.

Wenn wir behaupten, dass Spiele etwas aussagen, dann setzen wir voraus, dass sie die gleiche (kulturelle) Sprache sprechen wie wir es tun. Ich halte das nicht für richtig. Spiele bieten uns ein Vokabular und eine Grammatik, derer wir uns durch das Spielen bedienen. Wir artikulieren Ideen und schaffen Geschichten, die wir gemeinsam erleben. Aus dieser Perspektive heraus ist es interessant und auch wichtig zu schauen welche Ideen und Geschichten uns zur Verfügung gestellt werden. In manchen Fällen auch welche Ideen und Geschichten offensichtlich keine Berücksichtigung finden.

Das scheint mir um ein Vielfaches ergiebiger und interessanter als ein Spiel auf eine einzelne Aussage zu reduzieren.

Georgios Panagiotidis
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