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Kriminelle Fiktionen

Brettspiele kommunizieren viel über ihre thematische Einbettung. Auch wenn ein Spiel nicht vom Thema heraus entwickelt wurde, so kann das Thema doch helfen, die eigenen Handlungen mit Bedeutung zu füllen. Da aber die wenigsten Leute lust haben dürften, sich in ein Thema erst intensiv einzulesen, bevor die Schachtel aufgemacht wird, werden die thematischen Elemente so aufbereitet, dass sie schnell erfassbar sind: Wer bin ich? Was mache ich in dieser Rolle? Daher arbeiten Brettspiele oft mit Klischees und Schablonen. Wie hier schon mehrfach ausführlich beschrieben ist das dann problematisch, wenn diese Klischees negative Vorurteile transportieren und so verstärken.

Geht es jedoch um kriminelle Handlungen, so sind diese Schablonen eher von Vorteil, denn sie machen deutlich, dass das gespielte eine Fiktion ist, die reale Geschehnisse in keinster Weise glorifizieren und die Opfer nicht verharmlosen.  Natürlich funktioniert das nicht immer. Hier ein paar Beispiele für gelungenere und weniger gelungene Anwendung dieser Fiktionalisierung:

Nirgendwo wird das Prinzip deutlicher als bei Piraten. Moderne Piraterei existiert und ist in einigen Teilen der Welt immer noch ein Problem. Doch niemand wird einen Hanse-Seeräuber oder einen Freibeuter der Karibik mit moderner Piraterie vergleichen – zu deutlich sind die Unterschiede. Die Piraterie der Popkultur ist komplett von der Realität gelöst, mit gänzlich anderen Regeln und Geschehnissen als jegliche historische Tatsache. Das Bild, dass die Popkultur von Piraten zeichnet ist eine Phantasie. Und daher funktioniert es eben auch wunderbar als Klischee. Man kennt die Regeln dieser „Welt“ und weiß sofort, worauf es ankommt. Moralische Bedenken ob des eigenen Tuns (Morden & Plündern) sind weitestgehend irrelevant, weil wir es hier mit einer künstlichen Welt mit künstlichen Bewohnern zu tun haben.

Auf dem anderen Ende des Spektrums liegen Selbstmordattentäter. 2003 erschien „The Suicide Bomber Card game“ ein „schwarzhumoriges Spiel“, bei dem man seine „Nachbarn in die Luft sprengt“. Das Spiel wurde damals stark kritisiert. Das ein paar jahre später erschienene „Time Bomb“ musste deutlich wenig Kritik einstecken (und das lag nicht nur daran, dass eine Zeitbombe keine Selbstmordanschlag ist). Wieso? Zum einen waren gerade in den Post-9/11-Jahren Selbstmordattentäter in den Medien sehr präsent. Eine popkulturelle Fiktion in dem Sinne gab es aber nicht – Selbstmordattentäter in Filmen oder Serien basierten stark auf den echten Attentätern, allenfalls kulturelle Stereotype waren (absichtlich oder unabsichtlich) hervorgehoben. Die Assoziation mit der Wirklichkeit war also sehr stark – und die Gefahr der Verharmlosung und/oder Glorifizierung der realen Anschlägen ebenso. Bei dem Kartenspiel wurde diese Assoziation durch entsprechende, realistische Graphiken verstärkt. Bei Time Bomb dagegen haben wir es eher mit einer Cartoon-Bombe zu tun, die klar macht, dass wir uns hier bei Tom&Jerry und nicht in der Tagesschau befinden.

Zwischen diesen beiden Extremen liegt die Mafia. Sie ist real und sie tötet Menschen. Dennoch ist sie in der Popkultur sehr präsent und driftet dort in eine ähnliche Dissonanz ab, wie Piraten es bereits getan haben. Robert deNiro brachte es in einem Interview zu dem Film „Reine Nervensache“ auf den Punkt: „Nein, wir machen uns nicht über die Mafia lustig. Das sollte man in der Tat lassen Wir machen uns über MafiaFILME lustig“. Die Klischees, die durch Filme und Fernsehen etabliert wurden, bilden mittlerweise ihre eigene Fiktion ab, mit eigenen Regeln. So lange sich nun ein Spiel in diesem Bereich bewegt, ist es leichter alle Bezüge zur Realität auszublenden. Problematisch wird es erst, wenn ein Spiel diese Trennung durchstößt uns einen daran erinnert, dass hinter der Klischeehaften Welt eine hässliche Realität lauert. Das bei Feuerland angekündigfte La Familia etwa steht (soweit man das vor erscheinen beurteilen kann) wohl erst einmal in der Tradition der „Mafia heißt wir können Mitspielende zu den Fischen schicken„- Spiele, die von den oben genannten Schablonen Gebrauch machen, um die Orientierung und den Umgang mit „gemeinen Aktionen“ zu erleichtern. Allerdings nimmt der Untertitel des Spieles direkt Bezug auf reale Geschehnisse, den zweiten großen Mafiakrieg, der viele -auch unschuldige Opfer – forderte. Hier wird zumindest für alle, die wissen, dass hier ein reales und nicht einmal allzu lange zurückliegendes Ereignis (Ende 70er bis Anfang 90er) vorliegt, der Vorhang der Fiktion gelüftet. Es ist nun sehr viel schwieriger die realen Toten auszublenden und das Spiel als harmlose Angelegenheit zu betrachten. Sollte sich La Familiga als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema verstehen, dass respektvoll mit den Opfern umgeht, so wäre das natürlich legitim. Darauf deutet zur Zeit aber wenig hin.

Mir geht es hier jetzt nicht darum, Feuerland anzugreifen, sondern nur darum, zu untersuchen, warum Kriminalität und Mord in manchen Spielen unproblematischer sind als in anderen. Historie ist ein sicherlich ein Grund, klar erkennbare Fiktionen sind ein anderer. Problematisch ist der Bereich dazwischen.

ciao

peer

Peer Sylvester
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