Einer der vielen wiederkehrenden Streitpunkte, wenn es um Brettspiele geht, ist die Frage ob und wie thematisch ein Spiel eigentlich ist. Ist das Thema absolut plastisch dargestellt, fühlt man sich als wäre man „wirklich“ drin? Oder ist es künstlich aufgesetzt und austauschbar? Ist das Thema derart schlecht in die Spielmechanismen verwoben, dass es auch ein beliebig anderes hätte sein können und es würde nichts am Spielgeschehen ändern? Ich persönlich bin sowohl diese Diskussionen als auch diese Argumente leid. Das liegt aber vor allem daran, dass nur selten die Diskutierenden unter Thema das Selbe verstehen. Selbst in Fällen in denen das Gleiche gemeint ist, kommt es oft genug vor, dass sie die Idee eines Themas anders begreifen als es vielleicht Autor*in und Verlag beabsichtigt haben.
Mittlerweile erkenne ich zumindest drei unterscheidbare Vorstellungen von Thema, die für Brettspiele relevant sind. So kann ein Thema als Motiv, als Metapher und als Sujet verstanden und angewandt werden. In den meisten Fällen lassen sich diese drei Anwendungsmöglichkeiten gut von einander unterscheiden. Aber dennoch bemerke ich, dass in Gesprächen oder auch in Kritiken diese Grenzen gerne ignoriert werden. Da für jede Anwendung der gleiche Begriff genutzt wird, bietet es sich ja gerade zu an, hier nicht genau hinzuschauen. Aber eine Unterscheidung scheint mir gerade deshalb wichtig.
Thema als Motiv
Manche machen sich gern über Eurogames lustig, indem sie darauf hinweisen, dass das Thema nur da ist, um zu entscheiden wie man die farbigen Spielsteine nennen soll. Das amüsiert selbst-ernannte „thematische Spieler*innen“ ungemein, da sie sich in ihrer Vorliebe für thematische Spiele bestätigt fühlen. Was dadurch jedoch ein wenig untergeht, ist die durchaus valide Feststellung, dass ein Thema nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine praktische Funktion hat. Das Thema, insbesondere Farben, Bilder und Begriffe des Spiels, sind auch dafür da die abstrakten Regelmechanismen in ein zusammenhängendes Ganzes zu verwandeln. Wer schon mal einen Prototypen testen durfte, bei dem außer handschriftlichen Zetteln und ein paar Spielsteinen aus anderen Designs nichts zu sehen war, weiß ein klares Motiv zu schätzen.
Es dient zum einen als einfacher Einstieg in die Spielregeln selbst. Das Motiv hilft einzelne Elemente des Spiels klar von einander zu unterscheiden. Regeln, die nur auf bestimmte Komponenten zutreffen, lassen sich schneller abrufen, wenn das Motiv hier visuelle Erinnerungshilfen bieten kann. Wenn die blauen Spielsteine etwa die einzigen sind, die weiße Spielsteine vom Spielbrett entfernen können, lässt sich das durch „Wachpersonal“ schnell erklären und begründen.
Diese einfach wirkende Anwendung erscheint auch deshalb so selbstverständlich, weil sie beinahe zwingend nötig ist, sobald man über reine Zahlenspielereien hinwegschreiten will. Aber selbst Spiele, die außer Zahlen und Symbolen wenige visuelle Merkmale bieten, bedienen sich eines Motivs. So ist es kein Zufall, dass ein Spiel wie LAMA eine Redaktion und Illustratorin benötigt, welche dem Spiel Farbe geben. Das Motiv ist nicht allein ein Sinnzusammenhang, der Regeln greifbar macht. Es ist auch ein visuelles Konzept, welches einem Spiel Charakter verleiht und eine Stimmung vermittelt. Wer sich LAMA anschaut, erwartet kein hart kompetitives und ernstes Kartenspiel. Ein Spiel wie The Gang bietet mit seinen Illustrationen und grafischem Design den Spieler*innen eine Grundstimmung an, die sie annehmen können, wenn sie Lust darauf haben. Das Thema als Motiv ist wichtig, auch wenn es das Spielerlebnis nicht weiter ausschmückt. Denn dafür braucht es….
Thema als Metapher.
Ich würde die Behauptung in den Raum stellen wollen, dass die häufigste Erwartungshaltung eines Themas darin besteht, dass es als Metapher genutzt werden kann. Eine Metapher übertragt einen Sachverhalt auf einen anderen, um damit meist ästhetische Ziele zu verfolgen. Einfacher gesagt, die Metapher des Themas dient dafür einen neuen Sinnzusammenhang auf die realen Handlungen am Spieltisch zu projizieren – sprachlich und visuell. Das wird getan damit unser gemeinsames Spielen unterhaltsamer wird. Statt Aktionen auszuwählen und sie gemäß der geltenden Regeln auszuführen, gibt uns die Metapher die Sprache (und die gedanklichen Bilder), um das ganze reizvoll auszuschmücken. Das Platzieren eines Plättchens auf dem Brett ist nun die Investition in eine neue Fabrik. Das Entfernen eines Spielwürfels an einer anderen Stelle ist der Verbrauch dafür notwendiger Ressourcen. Das Umdrehen eines Plättchens amortisiert eine frühere Investition, welche uns nun Einkommen generiert, mit dem wir im Anschluss die industrielle Revolution rund um Birmingham weiter vorantreiben können.
Dank der Metapher entstehen Bilder im Kopf. Manche Spiele erlauben nur kurze Schnappschüsse. Wenn man am Zug ist, kann man einen einfachen Satz sagen und schon hat sich die Metapher des Spiels aufgebraucht. Andere Designer*innen und Entwickler stecken viel Mühe hinein, um diese Metapher auszuarbeiten. Ziel ist es den Spieler*innen zu ermöglichen die Metapher in möglichst vielen unterschiedlichen Spielsituationen anwenden zu können. Je einfacher es den Spieler*innen fällt die Metapher in und bei jeder relevanten Spielhandlung weiterzuführen, umso mehr sprechen wir von „Immersion“. Dieses sind die Spiele, die für ihre starke Verzahnung zwischen Regeln und Thema gelobt werden. Was bei solchem Lob oft unter den Tisch fällt, ist die kreative Aufgabe und Vorstellungskraft, die Spieler*innen beisteuern müssen, um die Metapher beim Spielen aktiv voranzutreiben. Die thematische Tiefe ist bei vielen Spielen nicht selten durch die gläserne Wand der Einfallslosigkeit der Spielgruppe begrenzt. Je größer der Fundus an Bildern, Begriffen, Ideen und schlicht Hintergrundwissen auf das zurückgegriffen werden kann, umso höher ist das Potential das ein Spiel mit entsprechend ausgearbeiteter Metapher, die „großartigsten Geschichten erzählt“.
Das Thema als Metapher dient, plump gesagt, dem Spielspaß. Die spielerische Interaktion wird um eine Art Bildsprache angereichert, welche die gewöhnlichen und oft repetitiven Handlungen am Spieltisch in eine interaktive Spielwelt verwandeln. Aber es gibt noch eine weitere Ebene auf die das Thema eines Spiels gehoben werden kann.
Thema als Sujet
Die Frage „Worum geht es in diesem Spiel?“ kann in manchen Kreisen zu schweren Missverständnissen führen. Sind damit die zentralen Spielmomente gemeint? Geht es um das Spielziel? Sollte man die wichtigsten Regeln auflisten? Seitdem die Bezeichnung Kulturgut Spiel wieder mehr Aufmerksamkeit und ernsthaftere Beiträge nach sich zieht, hat sich auch eine weitere Lesart dieser Frage eröffnet: Welches Sujet präsentiert dieses Spiel?
Kultur wird ja oft als Synonym für Hochkultur missverstanden. Daher wird der Schluss gezogen, dass Spiele auch als Hochkultur funktionieren müssen. Wenn wir also ein Spiel spielen, setzen wir uns dadurch auch mit dem Sujet auseinander. Wir interpretieren es. Wir sollten es hinterfragen und eine eigene kritische Meinung dazu bilden. Das Spiel ist nicht mehr Selbstzweck (wie ordinär!), sondern eine Auseinandersetzung mit Geschichte und Kulturen (bzw. ihren angemessen Abbildungen). Diese Auseinandersetzung mit dem Spiel soll eine bildende Erfahrung sein. Sie soll uns etwas über die Welt lehren. Der Einsatz des Sujets setzt immer eine Absicht auf Seiten der Spielemachenden voraus. Sie sind es, die etwas aufzeigen oder vermitteln wollen. Das Spiel ist eine Abhandlung zum jeweiligen Sujet, mit dem Ziel eine Erkenntnis bei den Spieler*innen zu verankern. Behandelt ein Spiel ein Sujet, so formuliert es damit – ob gewollt oder nicht – auch eine Aussage dazu.
Eine gewisse Ungenauigkeit tritt jedoch bei dieser Sichtweise auf ein Spiel auf. Auch wenn die Inspiration für ein Spiel ein konkretes Thema bzw. Sujet gewesen sein mag, so folgt daraus nicht zwingend, dass auch das Spieldesign auf die Auseinandersetzung mit diesem Sujet ausgelegt ist. Ein Spiel wie Sky Team mag etwa von realen Berufen und Aufgaben inspiriert worden sein, aber es fällt schwer hier eine inhaltliche Auseinandersetzung mit beiden zu erkennen. Im Gegensatz dazu, ist ein Spiel wie e-Mission nicht nur von seinem Sujet inspiriert worden; es ist auch eine konkrete Auseinandersetzung damit. Die Spielenden sollen sich durch das Spiel sowohl emotional als auch (nach dem Spiel) inhaltlich damit beschäftigen.
Die Unterscheidung zwischen Thema als Motiv oder Metapher, lässt sich oft beim Spielen treffen. Ein Thema ist entweder zu Beginn des Spiels präsent und tritt danach in den Hintergrund (Motiv), oder es begleitet uns über die ganze Spieldauer hinweg (Metapher). Wohingegen ein Thema als Sujet meist erst dann mit Sicherheit festzustellen ist, wenn eine solche Absicht von den Spieleschaffenden geäußert wurde. Denn nur weil man ein Spiel wie eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Thema deuten kann, bedeutet das nicht, dass eine derartige Absicht dahintersteht.
Es sollte deutlich sein, dass „Thema“ mindestens drei unterschiedliche Konzepte beschreibt. Entsprechend fällt es leicht hier schnell an einander vorbei zu diskutieren. Meine Aufteilung in Motiv, Metapher und Sujet soll hier allein der Erklärung dienen. Ich bin nicht der Meinung, dass diese Begriffe geläufiger oder zwingend verständlicher sind. Aber sie helfen mir zumindest dabei das Thema eines Spiels besser zu greifen.
- 5 Techniken gegen schlechte Anleitungen - 17. November 2024
- Drei Begriffe in einem Trenchcoat - 3. November 2024
- Darf der das? – Egoismus und das kompetitive Spiel - 20. Oktober 2024