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Ein Labyrinth für meine Punkte!

Haben Siegpunkte einen schlechten Ruf? Vermutlich nicht, aber sie werden gerne mit dem eiskalten Kalkül eines modernen Eurogames verbunden, Spiele in denen man keine epische Schlachten schlägt oder große Abenteuer erlebt, sondern nüchtern-sachlich ein klein bisschen effizienter spielen möchte als die anderen am Tisch. Das ist natürlich sowohl reduktiv (Siegpunkte kommen in allen Genres vor), als auch unfair, denn es sind ja die Spiele, die ggf. emotionsarm aufgebaut sind, die Siegpunkte sind da nur ein Symptom. Ich muss aber zugeben:  Für mein Bauchgefühl ist es fast immer besser, wenn es ohne Siegpunkte auskommt, wenn die Siegbedingung direkter und greifbarer ist. Beim Ende des Spieles ist die Ab-Rechnung für mich selten ein Highlight.

Jetzt wo ich das klargestellt habe, möchte ich dennoch  eine kleine Lanze für Siegpunkte brechen: Sie sind ungemein praktisch. Einmal helfen sie dabei ein Spiel flexibler zu gestalten und mehr Optionen zu erlauben. Man denke an Catan, bei dem man mit Handelswegen, Karten, Städten oder Rittern irgendwie zum Ziel kommen kann. Ohne Siegpunkte, wäre das auf diese Weise nur mit Hilfe von elaborierten Bonisystemen möglich.

Ich konzentriere mich auf mein Schiff

Doch bei den moderneren, komplexeren Euros ist das oft nur ein Nebenaspekt: Ein wiederkehrendes Problem bei den oben erwähnten „greifbaren“ Siegbedingungen ist, dass sie oft sehr transparent sind: Man sieht beim Schach oft schon lange vor dem Matt, dass eine Seite verlieren wird. Rennspiele sind selten für alle Beteiligten bis zum Ende gleichermaßen spannend. Ähnliches lässt sich über Prügelspiele á la Risiko sagen. Das kann für Frust oder zumindest für Nachlassendes Interesse sorgen. Siegpunkte helfen dieses Problem -wenn auch oft auf Kosten der Emotionalität – zu mitigieren. Insbesondere wenn sie reichhaltig und vielfältig vergeben werden – also just auf die Weise, wie moderne Euros es oft tun. Zwar kann es trotzdem zu einem Gefühl des „abghängt seins“ kommen, aber die Gefahr ist geringer und nur in deutlich klareren Fällen (und auch nur, wenn die Mehrheit der Punkte während des Spieles fallen). Ohne echte Einschätzung, wie man relativ steht, hält die Spannung potentiell länger an. Auch negative Interaktivität wird ein Stückweit erschwert, wenn es aufgrund von diffusen Siegpunktquellen schwieriger wird, herauszufinden, was die anderen jetzt eigentlich genau brauchen/vorhaben- Ich kann nicht verhindern, was ich nicht weiß, zumindest nicht bewusst. Eine positive Spielweise wird somit erleichtert.

Einige moderne Spiele versuchen sogar einen Schritt weiter zu gehen: Hier sollen die viele Siegpunkte nicht nur die eigene relative Position zu verschleiern helfen, sondern gleich ganz verhindern, dass die Spielenden ihre Punkteausbeute optimieren. Die Siegpunkte sollen nur als grobe Orientierung dienen, welche Wege grundsätzlich möglich sind. Diese Wege sind dann das Ziel. Beispiel Obsession: Es ist  unmöglich zu berechnen, welche Option – etwa Gebäudeflügel – jetzt der „optimale“ ist. Einerseits wegen der Verschlungenheit der Siegpunktquellen, andererseits auch weil vieles davon abhängt, was noch ins Spiel kommt. Im Ergebnis sollen die Spielenden den Weg beschreiten, den sie (vermutlich basierend auf der Metapher des Themas) einfach interessant finden. Noch deutlicher wird diese Siegpunktverwendung bei Spielen, die ihr Thema als Sujet (habe den bei Georgios Begriff erst neu gelernt) begreifen, wie etwa Hegemony.

Planspiele haben das Problem, dass sie einerseits ein bisschen wie ein Sandboxspiel sein wollen – also den Spielenden viel Freiheiten geben, um sich auszuprobieren – andererseits aber verhindern wollen, dass diese das Spiel aushebeln (und die Beschäftigung mit dem Thema konterkarieren). Sehr verwinkelte Siegpunktvergaben können da helfen: Einerseits geben Sie den Spielenden Orientierung, welche Art von Handlungen von ihnen erwartet werden, andererseits können sie verhindern, dass eine allzu intensive Beschäftigung zu dem Schluss kommt, dass „unthematische“ Spielweisen vielleicht gegen Ende lukrativer sind. Prinzipiell eine gute Idee.

Allerdings: Die Spiele geben so wiedersprüchliche Signale – Einerseits soll man den Siegpunkten genug Wert einräumen, dass man sich von diesen leiten lässt, aber eben auch nicht zu viel. Das ist nicht hilfreich. Sicherlich die Frage „Bauch oder Kopf“ stellen auch andere Spiele (als Beispiel seien Carrossel oder Four Gardens genannt) aber die „Sujet-Spiele“ richten sich speziell an Vielspielende und dort wird die Punkteoptimierung als sehr viel wichtigerer Bestandteil verstanden. Diese Sozialisierung zu „löschen“ ist schwierig und entsprechend wird den Spielen dann vorgeworfen, die Berechnung explizit zu erschweren, dieses „Feature“ also als „Bug“ verstanden.

So interessant ich diese verhältnismäßig neue Anwendung von Siegpunkten auch finde, sie kann daher ein fundamentales Problem nicht beheben: Brettspiele sind keine Rollenspiele. Die Art, wie Spiele rezipiert werden ist eine ganz andere (und zudem natürlich auch individuell unterschiedlich).  Die Sozialisierung ist eben eine ganz andere. Das schließt ganz konkret auch ein, „worum es geht“.

ciao

peer

Peer Sylvester
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