Verlag: MEBO Games
Autor: Antonio Sousa Lara
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: 30 Minuten
Eine Spielekritik kann verschiedene Ziele verfolgen. Meist soll sie informieren. Das Spiel soll in den richtigen Kontext gesetzt werden. Das Publikum soll einen Eindruck davon bekommen was es mit dem Spiel auf sich hat. In manchen Fällen kann eine Kritik dienen Missverständnisse oder zumindest Vorurteile aus dem Weg zu räumen. In ganz besonderen Fällen dient eine gute Kritik dazu eine Perspektive auf das Spiel zu eröffnen, die einem vorher verwehrt gewesen ist. Sie kann den richtigen Ansatz vermitteln, mit dem man sich das Spiel erschließt und vielleicht neu genießen lernt. Bei Carrossel ist eine solche Kritik notwendig. Das ist nun also der Versuch sich über das Regelwerk von Carrossel hinwegzusetzen, um den Spielspaß dieses Spiels zu erklären.
Erstmal vorne weg, Carrossel hat viel mit komplexen Spielen gemein ohne selbst ein komplexes Spiel zu sein. Diese Feststellung sollte aber nicht als Vorwurf verstanden werden, sondern als Hinweis, der das Spiel ins richtige Licht rücken soll.
Komplexe Spiele bedienen eine ganz bestimmte Form der Spielfreude. Der Spielspaß, den solche Spiele liefern, lässt sich nicht allein am Sieg festmachen oder an der Art der Interaktion zwischen den Spielern. An einem komplexen Spiel erfreuen wir uns vor allem deshalb, weil es die Momente bietet, welche Jane McGonigal als „fiero“ bezeichnet hat. Ein Begriff, der nicht zufällig aus dem italienischen Wort für „Stolz“ entlehnt ist. Damit sind gerade die kleinen Momente gemeint, in denen wir als Spieler Herausforderungen überwinden. In einem komplexen Spiel erlebt man diese Momente, wenn man von der Masse an Regeln und ihren Zusammenhängen überwältigt scheint, aber durch gewissenhaftes Planen und sorgfältige Entscheidungsfindung, dem Spiel dennoch einen persönlichen Erfolg abringen kann. In einem komplexen Spiel lieben wir es, wenn ein Plan funktioniert. Diese Spiele sind gerade deshalb so attraktiv, weil wir uns gegen das Spiel selbst behaupten dürfen (und nebenher noch unsere Mitspieler).
Carrossel ist nun ein Spiel, das eben solche Fiero-Momente dem Spieler ermöglichen will. Dabei setzt Autor Antonio Sousa Lara nicht darauf den Spieler mit viel Material, vielen unterschiedlichen Regelkonzepten und verschiedenen Ausnahmefällen zu erschlagen. Dieser, bei vielen komplexen Spielen verbreitete Ansatz, verankert die Herausforderung darin das Spiel in seiner mechanischen Gänze zu begreifen. Jeder Lernerfolg, den die Auseinandersetzung mit einem solchen Spiel bietet, verspricht einen Fiero-Moment in einem späteren Spiel. Gerade das lädt oft dazu ein solche Spiele, unabhängig vom Spielgenuß, wiederholt zu spielen. Manchmal ist der Reiz eines solchen Spiels allein darin begründet, dass dieser Lernprozess ein Fass ohne Boden zu sein scheint.
Einen anderen Weg wählt hingegen Carrossel. Es will ein Spiel sein, welches komplex und schwer durchdringbar wirkt. Die Herausforderung, die es zu überwinden gilt, findet man im schwer vorhersehbaren Spielverlauf, der auf Zufallselemente größtenteils verzichtet. Gleichzeitig aber soll das Spiel leicht erlernbar sein und genug Orientierung bieten, damit man auch als Bauchspieler Erfolge holen kann. Versierte Kopfspieler mögen bemängeln, dass die Spielpräsentation lediglich Verwirrung stiftet und ein eigentlich einfaches Spielkonzept versteck. Diese Feststellung ist nicht ausdrücklich falsch. Sie verkennt aber Sinn und Zweck der verschachtelten Zusammenhänge zwischen den Entscheidungen der Spieler und deren Auswirkungen auf das Spielbrett.
Dieses Spielbrett kommt in Form des namengebenden Karussells. Auf dem eigenen Ausschnitt wird in jedem Zug ein Marker der eigenen Farbe platziert, bevor das Karussell sich weiterdreht. Entspricht eine Reihe oder Spalte aus drei Markern der Kombination an Karten, die vor einem ausliegen, werden Siegpunkte vergeben. Hier und da gibt es noch ein paar Feinheiten und Optionen, die eine drohende Vorhersehbarkeit abwenden können.
Während man bei anderen komplexen Werken der indirekten Einflußnahme (vulgo „interaktionsarmes Eurogame“) das gesamte System begreifen muss, um sich seine Erfolge zu verdienen, belohnt Carrossel vor allem den Blick für die günstige Gelegenheit und den Mut zum Risiko. Das schnell gefüllte Spielbrett stellt einem keine Fallen, um die Entscheidungsfreiheit zu beschränken, weil man den optimalen Zug nicht gewählt hat. Es ist eine Drehscheibe an Punktechancen mit Aufforderungscharakter. Der Fiero-Moment folgt eben nicht daraus, dass man einen von langer Hand geplanten Zug umsetzt, der viele Punkte holt und einem den Sieg schenkt. Es geht hier nicht darum einen Rosenberg-typischen Masterplan zu entwickeln, der mit einem ehrfurchtgebietenden Ausschank an Siegpunkten gekürt wird.
Carossel ist ein Spiel in dem man günstige Gelegenheiten erspäht und sich diese zu Eigen macht. Es ist ein Spiel dessen kontinuierlich drehendes Brett auch deshalb niemals lange still steht, damit man sich nicht zu sehr auf eine Strategie fixiert. Auf diese Spielweise muss man sich einlassen können und den Spaß am Opportunismus für sich entdecken. Wenn einem das gelingt, dann nimmt das Spiel ordentlich an Fahrt auf und weiß die Spieler mit Fiero-Momenten zu beglücken.
Die größte Hürde dabei ist leider das Regelwerk zu Carrossel selbst, welches technisch präzise erläutert, wie das Spiel zu bedienen ist. Dabei wurde jedoch vergessen, dass ein Regelwerk auch der einführende Text ins Spiel ist und der unser Handeln in den vermeintlich richtigen Kontext setzt. Der verspielte Charakter eines sich drehenden Karussels hätte hier Grundlage sein sollen. Stattdessen werden die Regeln als die komplexe Herausforderung präsentiert, deren Überwindung die ersehnten Fiero-Momente hervorbringen sollen. Das hat zur Folge, dass man häufig überrascht und etwas enttäuscht ist, wenn der tatsächliche Spielverlauf sich viel einfacher fassen lässt, als die kleinschrittige Anleitung es ankündigt.
Carrossel lebt davon, dass man sich gegen den überwältigenden Aufwand verwehrt sämtliche Schritte vorauszuberechnen und zu berücksichtigen, um dann dennoch plötzlich und unerwartet Punkte zu machen. Das sind die Momente in denen Carossell glänzt und Lust auf mehr macht. Je unüberschaubarer das Gewirr auf dem Spielbrett erscheint, umso stolzer (ital. più fiero) ist man über jeden Punkt den man holen kann. Diese Art Erfolge zu erleben ist charmant und unterhaltsam.
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