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Es ist ein Modell und es sieht gut aus

Wenn man sich mit Themem und thematischen Umsetzungen beschäftigt, ist das Hauptproblem nicht nur die Unschärfe des Begriffes, sondern auch, dass die Spielenden einen Großteil der Narrative selbst konstruieren. Natürlich basieren die Spielenden ihre thematische Interpretation der Narrative (die Metapher) im allgemeinen auf dem, was das Spiel anbietet, doch dies ist eben eine weitere Unschärfe: Wie viel wird von dem Spiel vorgegeben und wie viel stammt von den Spielenden selbst? Wieviel kann ein Spiel überhaupt „vorgeben? Liest man Brettspielmedien wird das Spektrum zwischen „Das Spiel legt die Narrative fest, die Spielenden machen nur das, was das Spiel vorgibt“ und „Es ist völlig egal, was das Spiel macht, die Spielenden haben 100% die Kontrolle“ voll ausgereizt (Letzteres gerne im Hinblick darauf, dass problematische Themen ja gar nicht problematisch sein können, weil die Interpretation je von den Spielenden selbst stammt). Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, aber dieses „irgendwo“ bleibt diffus. Das erschwert die Veschäftigung dahingehend, dass man jeden gewählten Punkt mit einer Argumentation vom jeweils anderen Ende des Spektrums angreifen kann.

Es wäre nun aber absurd daraus zu schließen, dass eine tiefere Beschäftigung mit dem Thema nicht möglich wäre. Man braucht nur geeignete Werkzeuge dafür. Georgios -als Sprachwissenschaftler – sieht die Brettspiele als Quellen, die anaylsiert werden müssen. Ich als Naturwissenschaftler sehe Brettspiele als Modelle an.

Ein Modell ist eine Abbildung von einem wahren Sachverhalt, der in einigen, möglichst wesentlichen Punkten mit der Realität übereinstimmt. Aber eben ganz ausdrücklich nicht in allen. Wer ein Modell kritisiert, weil es „falsch ist“, also „Fehler“ enthält, der verkennt, dass es nicht das Ziel eines Modell ist, die Wirklichkeit zu sein. Eine Landkarte ist nicht so genau wie die Wirklichkeit, weil man sie dann nicht bräuchte, sondern die Realität nutzen könnte. Der ganze Zweck einer Landkarte ist es ja, die Dinge abzubilden, die mich in dem Moment interessieren – und dabei auf nicht gebrauchte Dinge zu verzichten, so dass man sie klein genug drucken kann, dass ich sie einstecken und mitnehmen kann und mich später darin auch zurechtfinde.

Spielplan Pan Am
Zur Navigation nur bedingt zu gebauchen

Modellkritik beginnt daher immer mit der Analyse, was eigentlich modelliert bzw. abgebildet werden soll. Dann kann man untersuchen, wie dies geschieht und ob diese Methodik für den entsprechenden Zweck geeignet ist oder ob das Modell in diesem Zusammenhang „falsche“ Ergebnisse liefert. Eine Landkarte, mit der ich nicht navigieren kann, weil sie nur die Wolkenformen der Gebiete abbildet, die zum Zeitpunkt der Kartenherstellung gerade herrschten, ist für den amvisierten Zweck (vermutlich) nicht nutzbar.

Bei Brettspielen beginnt die Analyse daher mit den Fragen: Dient das Thema nur als Setting oder als Metapher? Warum wurde dieses Thema gewählt? Was sollte damit vermutlich erreicht werden? Das klingt so losgelöst vom konkreten Fall so, als müsste man den oder die Autor:in befragen, aber dem ist nicht so – in den allermeisten Fällen bekommt man aufgrund des Spielverlaufes genügend Hinweise darauf, was der Zweck der entsprechenden Einkleidung ist (Neugierde, Spielspaß, schnelles Erfassen des Spielverlaufes/Spielregeln sind häufige Motive).

Das Wie ist nämlich in der Regel der interessantere Schritt, denn hier steckt auch drin, welche Prämissen in dem Spiel stecken. Und da gibt potentiell interessante Fragen auf allen Niveaustufen. Beispiele für Prämissen wären dann „Der Markt wird es schon regeln“, „Die Waren liegen in den fernen Ländern einfach herum und müssen nur eingesammelt werden.“, „Steckt man Geld in Universitäten, kommen immer praktische Erfindungen heraus“, „Im Kloster gibt es Bier“, „Das Besteigen des Hügel links ist objektiv eine schlechtere Taktik als das Besteigen des Hügels rechts“, „Der Klassenkampf ist nicht kooperativ“, „In Schulen werden Arbeiter ausgebildet“ (keine fiktiven Beispiele dabei). An dieser Stelle kann man nun untersuchen, was für Implikationen diese Pämissen haben und was daraus für die Narrative folgt, folgen kann oder eher nicht folgen wird. Man kann sich darüber unterhalten, ob diese Aussagen wohl eher ein Resultat davon sind, dass das Spiel Spaß machen soll oder eher ob es tatsächlich etwas sinnvolles simulieren will, also nur eine Abkürzung zum Verständnis darstellen (damit sind wir wieder bei der Zweckanalyse). Bei einigen Themen kann man diskutieren, ob die Narrative ein Bild vermittelt, dass noch zeitgemäß ist, wo gefährliche Verkürzungen vorliegen oder gar problematische Vorurteile verstärkt werden (können). Sind diese Prämissen geeignet, um ein befriedigendes Spielgefühl zu erhalten oder hat man das Gefühl, dass etwas stört oder unpassend wirkt? Wirkt sich Vorwissen eher positiv oder negativ auf den Spielspaß aus?

Vor der Messe in Essen hatte ich zwei Malayische Spieleautorinnen zu Gast und wir hatten uns über mein Spiel Singapore unterhalten. Sie fanden es interessant zu sehen, wie ein Außenstehender den Stadtstaat sieht, also welche Prämissen ich gewählt habe. Jemand aus Singapur würde ganz andere Prämissen setzen, selbst bei demselbem Setting. Dabei ging es weniger darum was jetzt „realistischer“ oder gar „besser“ ist, sondern eben genau darum, welche Prämissen gewählt wurden und wieso gerade diese. Das bedeutet es, ein Thema zu analysieren. (Das oben abgebildete Singapore 1819 ist übrigens ein Kunstobjekt, das den umgekehrten Weg gegangen ist: Es ist so gestaltet, wie ein Spiel mit bestimmten Prämissen aussehen würde, würde es existieren. Hier ein bisschen Hintergrund auf englisch))

Eine derartige Modellkritik ist nicht immer sinnvoll (Die Analyse des Themas von Die Crew wäre wohl eher eine Satire auf einen Feulleton-Artikel zu gebrauchen, denn wirklich brauchbar), aber sie kann helfen, Probleme greifbar zu machen und erweitert den kritischen Spieldiskurs.

ciao

peer

Peer Sylvester
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