„Das ist ja reines Hate-Drafting, oder?“ meinte ein Mitspieler neulich. Das überraschte mich etwas, denn zu dem Zeitpunkt hatte ich zum einen genau 100% meiner Karten nur danach ausgesucht, was ich aktuell gebrauchen konnte, zum anderen hatte ich auch bei den Karten, die mir mein Vorgänger gab, niemals das Gefühl gehabt, er würde es anders halten. Dabei kam der Kommentar von diesem Vorgänger! Offenbar hat er sich viele Gedanken darüber gemacht, damit er mir nichts gönnen würde, ohne, dass mir das auffiel. Das brachte mich darauf mich mit negativer Interaktion zu befassen: Blocken, Wegnehmen, Hate-Drafting etc.
Negative Interaktion kann natürlich zu Frust führen, insbesondere wenn sich die Spielenden da ausgeliefert fühlen, wenn die Rückschläge zu stark sind, sich willkürlich anfühlen und/oder immer dieselbe Person treffen. Ich möchte aber nicht über schlecht eingesetzte negative Interaktion sprechen, sondern einmal einen Blick darauf werfen, was passieren kann, wenn die negative Interaktion kompetent eingesetzt wird. Dann erlaubt sie nämlich zwei anscheinend wiedersprüchliche Perspektiven und der empfundene Spielspaß hängt sowohl von der Perspektive als auch vom Spielertyp ab.
Da ist zum einen die aktive Perspektive: Die Frage, wo und wie man am effizientesten blockieren (ich benutze das mal stellvertretend für alle Formen negativer Interaktion) kann, wo man die Gegner am härstesten trifft. Der Spielreiz ergibt sich hier zum einen aus der Schadensfreude, zum anderen auch aus dem Gefühl strategischer Überlegenheit. Nicht umsonst habe ich eben von „Gegner“ nicht von „Mitspielenden“ geschrieben – dieser Spielreiz ist daher besonders bei stärker wettbewerbsorientierten Spielenden ausgeprägt. Wer das Spiel eher als Mit- denn als Gegeneinander begreift, dem wird dieses Element potentiell eher stören. Man fühlt sich „verpflichtet“ zu blockieren, um das Spiel „richtig“ oder „gut“ zu spielen, auch wenn es einem vielleicht keinen Spaß macht. Wer negative Interaktion aus dieser Perspektive wahrnimmt, aber zur weniger wettbwerbsorientierten Gruppe gehört, wird potentiell wenig Spaß haben, da die Schlüselreize nicht zum eigenen Typus passen.
Ich gehöre zur Gruppe der weniger wettbewerbsorientierten Spielenden, weiß aber stärkere negative Interaktion durchaus (mit oben stehenden Einschränlungen) zu schätzen und das liegt daran, dass meine Perspektive passiv geprägt ist: Statt primär zu gucken, wo ich blockieren kann, liegt mein spielerischer Schwerpunkt auf der Analyse, wo ich von den anderen geblockt werden kann. Bei dieser Sichtweise geht es primär darum, die eingene Stellung zu analysieren: Wo ist man besonders gefährdet? Wo kann man sowieso nichts machen? Wo muss ich unbedingt verstärken, was kann ich erst mal vernachlässigen und wo kann ich ggf zocken und hoffen, dass schon niemand zugreifen möchte? So betrachtet wirken die negativen Elemente als Spannungsmacher – da die Aktionen der anderen niemals zu 100% vorhersehbar sind, gibt es hier einen Raum zum hoffen und bangen. Das sorgt für Emotionen, insbesondere wenn eine Einschätzungs sich als besonders gut oder besonders katastrophal herausstellt. Dabei ist die Vorraussetzung, dass das Spiel die Möglichkeit anbietet, diese Stellung zu analysieren und -begrenzte – Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Nehmen aber wettbewerbsorientierte Spielende diese Perspektive ein, dann besteht schnell die Gefahr, dass sie das Spiel als destruktiver ansehen, als es ist, weil sie nur sehen, was kaputt geht, nicht wie sie aktiv handeln können.
Natürlich liegt hier kein Entweder-oder vor, es geht um die vorherschende Sichtweise (Ich schätze, dass je nach Spiel zwischen 10% und 20% meiner geistigen Energien für das Finden von Blockadeoptionen nutze und den Rest zur Verteidigung. Bei anderen mag es umgekehrt sein). Leider kann man sich die eigene Sichtweise nur begrenzt aussuchen, die meisten werden intuitiv eine Sichtweise verwenden und das Spiel durch die entsprechende Linse wahrnehmen. Ich plädiere daher hier nicht dafür, sich die zur eigenen Spielweise passende Sichtweise anzutrainieren – das ist vermutlich nicht so ohne weiteres möglich – sondern will lediglich einen Grund aufzeigen, warum gerade Spiele mit negativer Interaktion oft so unterschiedlich wahrgenommen werden. Diskussionen darüber, was individuell Spaß macht, hängen von mehreren Faktoren ab: Dem Grund, warum man spielt, die damit verbundenen Reize, die einen ansprechen, aber auch die Perspektive, die man einnimmt. Als Content- oder Spiele schaffende Person ist es hilfreich sich diesen Faktoren bewusst zu sein.
ciao
peer
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