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Dorfromantik – Das Brettspiel

Autoren: Michael Palm, Lukas Zach

Verlag: Pegasus

Für 1-6 Spielende (eigentlich 1-3) ab 8 Jahren

Spieldauer: 30-60 Minuten (Eher 30-40)

Dorfromantik ist ein Legespiel, ein kooperatives Spiel, eine Computerspielumsetzung und ein zum Spiel des Jahres nominiertes Spiel (ob es gewinnt, steht beim Schreiben dieser Zeilen noch nicht fest). All diese Aspekte können in einer Rezension besprochen werden. Einige dieser Aspekte überlappen sich.

Als Legespiel ist es denkbar einfach: Ein Hexfeld ziehen und irgendwo anlegen. „Irgendwo“ ist dabei das Schlüsselwort, denn lediglich Eisenbahnen und Flüsse müssen fortgesetzt werden, alles andere ist egal. Eigentlich die einzige „echte“ Regel ist, dass immer drei Aufträge ausliegen müssen – sind es weniger, wird das Hexfeld von einem anderen Stapel gezogen. Dorfromantik ist derart intuitiv, dass es mir im Nachhinein fast peinlich ist, es bei meinem Rate-Post als Kennerspiel eingeordnet zu haben.

Tatsächlich haben die Autoren es geschafft, die Leichtigkeit, die Barrierelosigkeit des Videospieles reibungsfrei auf das Brettspiel zu übertragen. Das ist keine kleine Leistung – man muss sich nur die zahlreichen anderen Videospieladaptionen ansehen, um festzustellen, dass für eine glasklare Umsetzung viele richtige Entscheidungen getroffen werden mussten.

Die größte Autorenleistung ist die mutige Entscheidung auf einen Niederlagemechanismus zu verzichten: Man kann Dorfromantik nicht verlieren. Es ist irgendwann zu Ende (wenn die Plättchen vom Hauptstapel zu Ende sind, nämlich) und man wertet. Das gab es bislang bei einigen kooperativem Kommunikationsspielen wie Just One oder So Kleever, aber bei taktischen Spielen ist dieses Prinzip  außerhalb von reinen Solospielen neu. Zudem bekommt man auch kein Rating, wie bei solchen Spielen üblich – da die Punktzahl durch neue Materialien potentiell immer weiter steigt, wäre das auch nicht sehr aussagekräftig. Das bedeutet, dass „Gewinnen wollen“ oder „Niederlage vermeiden“ nicht nur in der Hintergrund rückt, sondern schlicht nicht stattfindet.  Man spielt aus reinem Selbstzweck auf Aufträge und/oder Punkte – das war bisher Videospielen vorbehalten. Die Brettspiellandschaft wird durch Dorfromantik dadurch erweitert. Dass es für die Erkenntnis, dass nicht alle Spiele Sieg/Niederlagebedingungen enthalten müssen, einer Videospielumsetzung bedurfte, ist so sachlogisch wie ironisch.

Ist der angesprochene Mut die größte Autorenleistung in diesem Spiel, ist es das größte Versäumnis aus dem Videospiel mehr als ein Gruppenpuzzle zu machen: Dorfromantik ist auch als Brettspiel von der Veranlagung her ein Solospiel. Spielen mehrere Personen mit, kann man sich zwar absprechen, aber das Fehlen von individuellen Zielen, Informationen oder auch nur Rollen oder Perspektiven bedeutet, dass man sich zwar diskutieren kann, ob man das neue Plättchen bei A oder B anlegt,  aber da die taktische Tiefe des Spieles begrenzt ist, eben auch nur so ein bisschen. Zu zweit und vielleicht noch zu dritt ist es eine gemeinsame spielerische Aktivität (*), wie das Legen von Puzzlen, je mehr Leute desto mehr zerfällt es in „jeder legt seine Karte, wo er meint“. Es ist hier eben eine endliche Menge an Dingen die es abzuwägen gibt und die ist insgesamt zu klein, als dass eine Diskussion mit mehr als zwei Leuten irgendwie fruchtbar wäre. Das erinnert schon ein wenig an Rätselspiele wie Unlock oder Deckscape, die eine ähnlich hohe Anzahl an Mitspielenden erlauben, obwohl auch dort die „erlaubte“ Grenze sowohl willkürlich ist, als auch oberhalb der Personenanzahl liegt, die von dem Spiel tatsächlich simultan unterhalten werden kann.  Das deswegen Mitspielende theoretisch ständig ein- und aussteigen können, ist etwas, was bestenfalls Vielspieler:innen begeistern kann, im normalen Familien/WG-Setting möchten schon die mitspielen, die mitspielen. Und das idealerweise miteinander und nicht nebeneinander.

Doch die etwas überambitionierte Mitspielendenanzahl ist es nicht, was mich an der Qualität von Dorfromantik als potentieller Hauptpreisträger zweifeln lässt, es ist die zeitliche Distanz, die zwischen den ersten Partien und den herausfordernden Partien liegt. Wie bereits geschrieben, ist das Spiel am Anfang völlig intuitiv, was eine niedrige Einstiegshürde bedeutet. Die erste Partie ist wenig mehr als eine Orientierungshilfe, ein Tutorial. Nur verspricht sie nicht unbedingt viel was danach kommen möge. Als Vielspielender sah ich bereits in der zweiten und dritten Partie (nach dem Öffnen einer ersten Box) was für ein Potential eine Dorfromantikpartie in Zukunft bieten könnte: Viele gegenläufige Wertungen, für die Schwerpunkte gefunden werden müssen. Der Konflikt zwischen „Punkte machen“ und „Archievement freischalten“ etwa.

Wer aber weder die Vorlage kennt, noch sich intensiver mit Spielen auseinandersetzt, wird dieses Potential nicht so ohne weiteres ausmachen. Es hilft nicht, dass die erste Box in ihren Neuerungen eher sparsam ist. Das Resultat ist eine Anfangsphase über mehrere Partien, in denen das Spiel sehr von der Reihenfolge, in denen Plättchen gezogen werden, abhängt. Ob die Zielgruppe des roten Pöppels immer weiterspielt, bis das Potential zumindest teilweise erfüllt wird und das Spiel mehr bietet als den objektiv besten Platz für ein Plättchen zu finden (oder es gar irgendwo anzulegen, weil es gerade nirgendwo weiterhilft), ist zumindest nicht gesichert. Beim ehemaligen Nominierten Zombie Teenz, habe ich ein ähnliches Problem ausgemacht.

Schade an dieser Stelle ist auch, dass sich viele Archievements sich dann doch nur als eine Kodierung von „Mach viele Punkte“ herausstellen, also dem ohnehin üblichen Spielziel. Diese Archievements geben beim Erreichen natürlich positives Feedback und sogar eine kleine Belohnung – das ist toll! – aber ihr Potential als möglicher Kontrapunkt zum eigentlichen „viele Punkte machen“ wird nicht ausgenutzt. Am Ende spielen wir um Punkte, wobei wir durch die Kampagnenfortschritte fast automatisch mehr Punkte erreichen, weil es mehr Möglichkeiten gibt. Das ist ein positives Gefühl, es ist aber auch ein bisschen ein Trick des Spieles, mehr Möglichkeiten anzudeuten als es tatsächlich bietet. Serotoninausschüttung als Hauptmechanismus. Das kennt man zwar ebenfalls von Computerspielen, ist aber nicht unbedingt etwas, dass man im Brettspielbereich vermisst hat. Auf andere Archievemtns hat man nur sehr begrenzt Einfluss – Ich kann nur dann x Punkte mit „Waldaufträgen“ machen, wenn ich diese auch ziehe. Dorfromantik gleich da ein bisschen einem Glücksrad: Mal sehen, was ich heute bekomme!

Als Furby – ein kleiner Spielzeugrobotoer – auf den Markt kam wurden Sprechfähigkeiten erst mit Laufzeit freigeschaltet, so dass der Eindruck erweckt wurde, man bränge dem Tier „Sprechen“ bei. Tja. Das Bild zeigt die erreichten Punktzahlen der ersten vier Partien, danach ging es steil nach oben.

Im Vergleich mit dem letztjährigen Spiel des Jahres, Cascadia, ist Dorfromantik nicht zuletzt dank der Vorlage, das originellere Spiel und auch das Konsequentere Was für Cascadia sprach: Das positive Vor-sich-hin-Puzzeln, bei dem man immer irgendwie Punkte machte, bietet Dorfromantik auch und das dann auch gleich kooperativ und mit weniger Wertungstrirara. Ein bisschen bringt das Spiel die Jury in dieselbe Situation wie als damals Java erschien, das wie eine bessere und konsequentere Version von Tikal daherkam (das bereits vom ähnlichen Torres gefolgt wurde), was für den gewissen Rechtfertigungsdruck sorgte, das Spiel jetzt nicht auch noch zu nominieren.. Dorfromantik ist weiter von Cascadia weg als es Java war, insofern sollte der letztjährige Sieger Dorfromantik nicht im Wege stehen (und wir hoffen alle das nächstes Jahr nicht ein noch simpleres Legespiel auf den Markt kommt) . Allerdings muss man auch festhalten: Die meisten – wenn nicht alle-  positiven Eigenschaften Dorfromantiks stammen vom Original. Sie wurden zwar gelungen hinübergerettet, aber an der Stelle, wo eine stärkere Abweichung vom Original eine bessere Passung auf das Brettspielmedium bedeutet hätte, klafft eine Lücke. Überspitzt formuliert könnte man fragen: Wird Dorfromantik – Das Brettspiel als bestes Spiel des Jahres ausgezeichnet oder Dorfromantik das Videospiel – Brettspieledition?

 

 

 

 

(*).Explizit Nicht als Kontrast zu „Spielen“ zu lesen

Peer Sylvester
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