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Rezension – E-Mission

Verlag: Schmidt Spiele
Autoren: Matt Leacock, Matteo Menapace
für 1 – 4 Spieler*innen
ab 10 Jahren
Dauer: 120 Minuten (deutlich weniger, wenn man versagt)

Vor mehr als 10 Jahren erschien Matt Leacocks Pandemie und machte das kooperative Brettspiel innerhalb der Szene salonfähig. Die Weltgeschichte verhalf dann 2020 dem namensgebenden Thema des Spiels zu erneuter Aufmerksamkeit. Vor allem aber wurde deutlich, dass Kooperation am Tisch und auf Staatenebene vergleichbaren Stolpersteinen ausgesetzt schien. Mit E-Mission (im englischen Original: Daybreak) kombiniert nun Matt Leacock zusammen mit Matteo Menapace die Designerfahrung der letzten 10 Jahre mit den sorgfältig recherchierten Hintergründen der Klimakrise. Das Ergebnis verdient es auf einer Stufe mit dem kooperativen Klassiker zu stehen.

E-Mission rahmt seine spielerische Interaktion mit dem Kampf gegen die Erderwärmung ein. Als Vertreter oder Personifizierung globaler Akteure versuchen wir unseren CO2-Ausstoss zu reduzieren und auf eine weniger schädliche, sprich „grüne“, Lebensweise umzulenken. Die Aktualität dieses Themas trägt natürlich viel zur Ernsthaftigkeit des Spiels bei. Entsprechend mag man schnell zum Begriff „serious game“ greifen, um E-Mission einzuordnen. Jedoch engt man damit die Wirkung des Spiels zu stark ein.

Nicht selten umschreibt dieser Begriff ein Spiel, welches das Ziel hat sein Thema für das spielende Publikum zu veranschaulichen und es zugänglicher zu machen. Es beschreibt Spiele, die Interesse am Thema wecken sollen und in manchen Fällen sogar bildend auf die Spielgruppe wirken sollen. Mit anderen Worten: es sind Spiele, die wie eine Museums-Ausstellung funktionieren. Auf fast allen Spielkarten ist ein kleiner QR-Code vorhanden, welcher sowohl die Regelfunktion erläutert, aber auch die wissenschaftlichen Hintergründe einer Karte kurz umreißt. Wer sich also fragt, was es eigentlich mit dieser „Kommunalen Energiewirtschaft“ auf sich hat, kann hier nach dem Spiel mehr in Erfahrung bringen. Sieht man gerade in dieser Wirkung die große Stärke und wichtigste kulturelle Relevanz von Brettspielen sieht, wird man mit E-Mission sicherlich glücklich werden.

Ich selbst halte diese Sicht auf Spiele für kleingeistig. So als würde man Filme dafür loben, dass sie Dokumentarfilme sein können. Oder dass Literatur deshalb kulturell wertvoll ist, weil sie realhistorische Zusammenhänge nacherzählt. Ja, dazu sind diese Medien in der Lage. Ja, auch Brettspiele können als Ausstellungsobjekt zu Hause dienen und Spieler*innen zu bestimmten Themen weiterbilden, oder ihnen Dinge erklären, die ihnen vorher fremd waren. Das ist mit diesem Medium ohne Frage möglich. Aber allein darin das Potential des Mediums zu sehen kulturelle Relevanz zu erreichen, entlarvt ein deutlich rückständiges Verständnis von Kultur.

Die Krisen häufen sich mit steigender Hitze

Denn wenn E-Mission nur das tun würde, also Spieler*innen mit Hilfe des kooperativen Spielspaß über die Erderwärmung belehren, dann wäre es nach den ersten Partien eine unsäglich dröge Angelegenheit. Glücklicherweise ist E-Mission aber mehr als bräsige Didaktik. Es entwickelt – gerade weil es eben sein Wesen als Spiel nicht aus den Augen verliert – einen faszinierenden und auch immens wirksamen Sog auf uns Spieler*innen.

E-Mission ist ein Spiel vom Scheitern des Einzelnen und dem Triumph der Gemeinschaft. Es ist ein Spiel, welches uns vor anfänglich unlösbare Probleme stellt; und uns – falls nötig durch wiederholtes Verlieren – einbläut, dass wir globale Probleme nur durch intensive Kooperation lösen können. Damit wird ein ähnlicher Gedanke aufgegriffen, wie schon in Pandemie: Kooperation als Zweck, nicht als Mittel. Diesmal ist diese Erkenntnis aber nicht fest in den Regeln verankert. Es war praktisch unmöglich, Pandemie zu spielen ohne miteinander ins Gespräch zu kommen und sich über eine gemeinsame Herangehensweise auszutauschen. In E-Mission reift diese Erkenntnis ganz organisch bei den Spieler*innen. Zumindest wenn man für Erkenntnisgewinne offen ist. Denn die Willkür des Zufalls (oder Schicksals) zu lamentieren, hilft auch immer eigenes Unvermögen zu kaschieren.

Spielt man das Spiel mit einer ähnlichen Kurzsichtigkeit, die das eigene Spieler*innen-Tableau nicht verlässt, hat man die Partie in der Regel in der 3. Runde gegen die Wand gefahren. Die persönlichen Erfolge verpuffen wirkungslos, wenn man sich nicht gezielt abspricht, wie man die Eskalation des Klimawandels aufhalten kann.

Darum ist das Bemerkenswerte an E-Mission auch nicht die sorgfältige Recherche hinter den einzelnen Karten. Es ist auch nicht die wissenschaftlich fundierte und nachvollziehbare Darstellung von Zusammenhängen unseres Ökosystems (inkl. Vereinfachungen und Abstraktionen zum Zweck der Spielbarkeit wie in der Anleitung erklärt wird). Das Besondere ist, dass die Notwendigkeit der Zusammenarbeit sich aus der Aufgabe selbst ableitet, aber nicht aus den Spielregeln.

Das macht E-Mission auch weniger zu einen „serious game“, sondern einem „political game“. Es ist ein Spiel, welches sein Thema bewusst angeht, um Spieler*innen eine beabsichtigte Erkenntnis nahe zu legen. Nun kann man zu Recht sagen, dass jedes Spiel politisch ist. Es ist ein Kulturprodukt und damit bewussten wie auch weniger bewussten kulturellen Narrativen verpflichtet, die es reproduziert. Darum ist Brass Birmingham das vielleicht beste Propagandaspiel für den Kapitalismus. Nirgends macht es mehr Spaß davon zu profitieren, dass ungesehene Massen an Arbeiter*innen das erwirtschaften, wovon man sich selbst Ruhm und Reichtum gönnt und sein Selbstwertgefühl steigert.

Globale Zusammenarbeit ist der Schlüssel

Genialerweise setzt aber E-Mission seinen Spaßfokus nicht darauf, dass man mit anderen zusammenarbeitet. Das Reizvolle an dem Spiel findet sich in den eigenständig entwickelten Projekten, die man ins Leben rufen oder verbessern kann. Den eigenen CO2-Ausstoss zu verringern, in dem man die eigenen Karten klug aktiviert, verbessert oder durch bessere ersetzt, ist so einfach zu handhaben wie es motivierend ist. Ständig bewirkt man Veränderungen, und jede fühlt sich wie ein Schritt zum Besseren an. Wenn man dabei jedoch nicht den Fortschritt der Mitspieler*innen berücksichtigt, hat das alles kaum Erfolgschancen. Man liefert sich so allein dem Kartenglück aus und hat dementsprechend das Spiel oft nach kurzer Zeit verloren.

Nun mag man dem Spiel ankreiden, dass das sehr ernsthafte und drängende Thema der Klimakatastrophe in einem unterhaltsamen Spiel vielleicht nicht gut aufgehoben ist. Womöglich täuscht das positive Spielerlebnis über die reale Tristesse der Thematik hinweg. Der von den Spieler*innen empfundene Optimismus mag einen falschen Eindruck davon vermitteln wie drängend die Lage wirklich ist. Wobei auch manche Spieler*innen aus dem hohen Schwierigkeitsgrad des Spiels eine umso trostlose Ausgangslage in der Realität ableiten.

Ich kann hier nur bedingt zustimmen. Klimapessimismus ist, unabhängig seiner Bezugnahme auf bestimmte Fakten, kein zielführendes oder sinnstiftendes Anliegen. Selbst wenn die Lage hoffnungslos (aber nicht ernst) ist, wäre ein Spiel, welches Menschen zur Verzweiflung treibt, mehr als nur stark kritikwürdig. Die Hoffnung, dass wir durch uneitele Zusammenarbeit Dinge nicht nur voranbringen, sondern auch zum Positiven verändern können, ist und bleibt ein wichtiges Axiom menschlichen Zusammenlebens. Egal wie realistisch der Optimismus von E-Mission ist, dass wir durch globale Kooperation das Schlimmste verhindern können: er ist zwingend notwendig. Es ist diese Rückbesinnung auf grundlegende Werte und Ideale, die am Spieltisch zum Tragen kommt, welche E-Mission so weit über Spiele hebt, die ihren Spieler*innen etwas zu ihrem Thema beibringen wollen.

Dennoch fällt bei einem kritischen Blick auf das Thema auf, dass bestimmte Faktoren keine ausdrückliche Erwähnung finden. Die Großindustrie und die wirtschaftlichen Systeme, die sie am Laufen halten, werden lediglich in die Spielmechanismen eingeflochten. Der CO2-Ausstoss, den man im Spiel selbst verantwortet, teilt sich in Bereiche wie Industrie, Landwirtschaft, Verkehr, Wohnraum, etc. auf. Erst wenn man beginnt mit Hilfe der Karten (Projekte) diese zu reduzieren, fällt auf, dass diese Projekte Namen tragen wie „Kostenloser Nahverkehr“, „Verstaatlichung fossiler Energien“, „Autofreie Innenstädte“ oder „Wärmepumpen“. Nichts davon Steckenpferde sogenannter wirtschaftsorientierter Politik. Im Spiel müssen wir uns vor allem mit den unvorhersehbaren Krisen eines aus den Fugen geratenen Ökosystems auseinandersetzen. Die Ursachen dafür, z.B. die 100 global agierenden Firmen die für 71% der Emissionen verantwortlich sind, sind vielleicht nur den Spieler*innen bekannt, die sich mit dem Thema auskennen. Aber wenn E-Mission einen greifbaren Antagonisten bräuchte, dann wäre der ungezügelte Kapitalismus der Superreichen sicherlich erste Wahl. So ist der prominenteste Druck, den man als Spieler*in spürt, die Energieanforderung der eigenen Bevölkerung. Kann diese nicht mehr bedient werden, kommt es zu Notständen und damit zu Nachteilen und am Ende sogar zur Niederlage.

An diesem Punkt führt die Qualität der Spielkomponenten dazu, dass E-Mission unfreiwillig ein klein wenig Performance Art wird. Schmidt Spiele hat sich entschieden nicht wie die Partnerverlage in China zu produzieren, sondern E-Mission in Deutschland herzustellen. Das bringt einige Veränderungen für das Spiel mit sich. So ist das Spielbrett etwas gestaucht, die Anleitung um mehrere Seiten gekürzt und die Spielsteine bestehen nun nicht mehr aus bedrucktem Holz sondern aus Pappe. Auch die Spieler*innen-Tableaus sind deutlich dünner. Diese Einsparungen gehen natürlich auf Kosten des Spielerlebnis.

Am deutlichsten ist das in der Anleitung zu sehen, in der vereinzelt auf Layout und Texte verzichtet wurde. Diese führten zu einem einsteigerfreundlichen Spiel und legten eine positive und optimistische Grundstimmung fest. Es ist kein Zufall dass mehrere englisch-sprachige Rezensenten Daybreak als beinahe schon zu optimistisch betiteln. Es sind eben diese kleinen Details, die in Spielen eine große Wirkung haben. Auch die Haptik des Spiels ist durch den Wechsel auf Pappmarker etwas gewöhnlicher. Die dünneren Tableaus haben zusätzliche zur Folge, dass sich das Spiel nicht so hochwertig anfühlt, wie man es von anderen Produktionen in diesem Preissegment gewohnt ist.

5 Projekte je Spieler*in und viele Verpflichtungen

Es sind eben diese Nörgeleien, mit denen E-Mission uns eine Frage aufzwingt, die Daybreak lediglich im Subtext trägt: sind wir gewillt auf Luxus zu verzichten, um die Umwelt zu schonen? Seit langem spricht die Szene mit einer gewissen Selbstverliebtheit darüber, dass Spiele ein Luxus sind, den man sich „gönnt“. Aber vielleicht ist genau diese Sicht das Problem? Vielleicht ist die Gleichsetzung von Spiel und Luxus der Grund, weshalb wir für „unser“ Geld das wertvollste und prunkvollste Material erwarten, welches auf dem Markt verfügbar ist? Vielleicht ist das der Grund, weshalb wir bei Spielen immer noch davon schwärmen „wie viel man für sein Geld bekommt“, statt über das Spielerlebnis zu sprechen, welches ermöglicht wird? Vielleicht müssen wir endgültig Luxus von Spielen trennen, um ihren Wert nicht nach Protzigkeit und „bling-bling“ zu beurteilen. Denn der Kaufpreis eines Spiels sollte eben nicht als Mengenangabe für hochwertiges und aufwändig produziertes Spielmaterial dienen, sondern als das was er tatsächlich ist: ein Eintrittspreis für ein Erlebnis. Der Kostenpunkt eines Spiels gibt in Wirklichkeit nur an, welche Zielgruppe der Verlag für dieses Produkt anpeilt.

Aber wenn wir nun das Spiel vor uns auf dem Tisch ausbreiten, werden wir vor die Entscheidung gestellt auf welche Seite der Klimadebatte wir uns als Spieler*innen stellen wollen. Wollen wir die Gruppe sein, die prunkvolle Spiele nicht missen will und für einen Kaufpreis von ca. 80€ auch edles Material erwartet, egal welche CO2-Emissionen wir damit gutheißen? Oder können wir uns in Kompromissen üben und das Spiel so akzeptieren wie es eben produziert werden kann? Ist ein dünnes Tableau, fehlende Holzsteine und ein reduziertes Regelheft etwas, das wir akzeptieren können? Oder schwören wir diesem Spiel (oder Brettspielen als solches) gänzlich ab, wenn sie nicht mit der luxuriösen Qualität aufwarten, zu der wir für solche Preise meinen ein Anrecht zu haben?

Unabhängig davon wie man diese Fragen beantworten will, ist E-Mission ein Spiel, dessen Design mit einer beeindruckenden Effektivität zu motivieren weiß. Auch nach wiederholten Niederlagen, weckt es Ehrgeiz und Zuversicht, dass der nächste Anlauf von Erfolg gekrönt sein wird. Bessere und zielgerichtetere Kooperation steht immer als Option im Raum. Mit Blick auf sein Thema hinterlässt E-Mission darum vielleicht etwas viel Wertvolleres als Interesse an den wissenschaftlichen Hintergründen: es gibt einem das Gefühl, dass der Klimawandel eine greifbare und bewältigbare Aufgabe bietet, auch wenn sie enorm und herausfordernd ist. Das macht E-Mission als Spiel nicht nur besonders, sondern im hohem Maße kulturell relevant.

Georgios Panagiotidis
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