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Filmkritik – Spielrepublik Deutschland

In der Mediathek der ARD ist seit einigen Tagen der Dokumentarfilm „Spielrepublik Deutschland“ verfügbar. Mit einem Titel wie diesem ist es natürlich fast unmöglich die Neugier der Spieler*innen der Bundesrepublik (und zum Teil auch einiger außerhalb) im Zaum zu halten. Was zeigt diese Doku über unsere liebste Beschäftigung? Wen zeigt sie? Vor allem aber wie zeigt sie die Menschen, die sich mit der gesamten Bandbreite an Leidenschaft dem Brettspiel hingeben?

Ein Blick ins Spielearchiv

Es beginnt mit Gesichtern aus der Spieleszene. Im Laufe der Doku kommen Designer wie Klaus Teuber, Uwe Rosenberg und Rita Modl zu Wort. Aber auch Kritiker wie Tom Werneck sind zu hören. Am Anfang und am Ende fallen vor allem Markus und Inka Brandt auf. Sie bilden als Paar und Familie so etwas wie die Eröffnungs- und Abschlussmomente dieser Doku. Die Spielrepublik Deutschland ist, wenn man die Bilder so deuten möchte, auch eine Art große Familie.

Für Menschen aus der Szene ist das sicherlich fast eine Selbstverständlichkeit. Es ist üblich, dass wir die Spieletitel oft gleich mit den dahinterstehenden Namen nennen. Es ist nicht nur Agricola, sondern Uwe Rosenbergs Agricola. Wir sehen im Laufe der Doku nicht nur Zwergendorf, sondern Rita Modls Zwergendorf. Als Vielspieler*innen nehmen wir Spiele immer als kreatives Werk der Machenden bzw. der Autor*innen wahr. Dass Spielerepublik Deutschland eben diesen Gedanken in Bilder überträgt, ist alles andere als selbstverständlich. Darum ist dieser Punkt nicht nur erwähnens- sondern auch lobenswert. Er trifft auf sehr präzise Weise eine wichtige Eigenschaft der modernen Spielszene. Sowohl die selbst erzählten Einblicke in die Geschichte der Brandts, wie auch der ebenfalls selbst beschrieben Blick in den Arbeitsalltag von Rita Modl tragen viel dazu bei, dass Spiele immer im Kontext kreativer Leistung verstanden werden.

Es entspricht unserem Selbstverständnis als Spieler*innen, dass wir es hier nicht allein mit einem Produkt zu haben, welches mit ausreichenden Margen an die richtigen Zielgruppen zu lancieren gilt. Natürlich ist uns bewusst, dass gerade dieser Gedanke der marktwirtschaftlichen Realität der Branche nahe kommt. Aber sie öffnet auch der Anschauung Tür und Tor, dass Spiele nur eine weitere Form des „content“ sind. Sie sind Marken, die in großen Mengen und hoher Frequenz auf den Markt geworfen werden müssen. Wenn manche Kritiker*innen den Begriff des Kulturguts immer wieder hochhalten und seine Anwendbarkeit auf Spiele verteidigen, dann ist das der Grund. Es geht darum der Banalisierung des Spiels entgegenzutreten. Wir müssen als Kulturgut an ihnen festhalten, um zu verhindern, dass sie zur austauschbaren Verbrauchsware degradiert werden.

Prototypen basteln

Die Menschen, die in Spielrepublik Deutschland zu Wort kommen, helfen dabei deutlich zu zeigen, dass hinter jedem Spiel menschliche Kreativität und Schaffen steht, welches unterhalten, entzücken und manchmal auch die Menschen bewegen will.

Darum weiß diese Doku auch so viele in der Szene zu begeistern, zu inspirieren oder auch nur zu wohlwollender Zustimmung zu bewegen. Sie zeigt, dass Spiele eben nicht nur Zeitvertreib sind, sondern auch Bindungen aufbauen können. Ob zwischen den Schaffenden untereinander oder den Spielenden innerhalb der Gruppen. Aber auch – auf schwer greifbare aber durchaus aufrichtig empfundene Weise – die Spielemacher*innen mit denen, die ihre Spiele genießen. Das Spiel setzt Menschen miteinander in Verbindung und ist nicht zuletzt deshalb eine ansprechende und erfüllende Aktivität.

Dieses Verständnis zieht sich unausgesprochen durch den 90 Minuten Dokumentarfilm. Allein das macht Spielrepublik Deutschland ganz klar empfehlenswert.

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AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAber…..

Ein Großteil der Ideen, Inhalte und Aussagen muss man sich als Zuschauer*in selbst aus dem Bild- und Tonmaterial der Doku zusammenstellen. Gerade in der ersten Hälfte ist die Formlosigkeit und bisweilen Orientierungslosigkeit eine spürbare Schwäche des Films. Man bekommt den Eindruck, dass hier viel Material vor Ort und mit den Persönlichkeiten produziert wurde, ohne dass es einen roten Faden oder eine zusammenfassende These gab, die beleuchtet werden sollte. Mehrfach hatte ich das Gefühl, ich würde eine grobe Übersicht des erarbeiteten Filmmaterials betrachten an Stelle einer stringent erzählten Dokumentation.

Bis zu einem gewissen Grad ist dieser Ansatz auch zulässig. Schließlich will man als Dokumentarfilmer*in nicht mit festgefahrenen Ansichten an die Interviewpartner herantreten und so womöglich Einfluss darauf nehmen wie sie sich vor der Kamera äußern. Ein Dokumentarfilm muss so unvoreingenommen wie möglich bebildern und bezeugen was die Realität ist. Denn sonst läuft man doch Gefahr Vorurteile zu reproduzieren oder etablierte, durchaus fragwürdige Narrativen zu verfestigen.

Dennoch wirkt der Rückgriff auf TV-Sendungen aus den 1970ern nicht immer wie ein Verweis auf die lange Geschichte und auch Medienpräsenz des Brettspiels. Sie greift auch Vorurteile auf wie unfassbar stocksteif und furztrocken Brettspiele anmuten können. Gerade wenn man die Entwicklungen der Spiele und der Szene der letzten 40 Jahre nicht mitverfolgt hat.

Glücklicherweise wird dieses Archivmaterial im Laufe der Doku immer seltener und wird durch „Red Carpet“ Interviews aus dem US-Fernsehen ersetzt. Darin sprechen Kirsten Bell und Dax Shephard: beides Schauspieler und leidenschaftliche Catan-Spieler, wie sie auch vor laufender Kamera und auf Instagram belegen. Der Kontrast zwischen damals und heute ist deutlich – wenn man die Parallele als Zuschauer*in zieht. Aber sie ist nur eine von vielen Beobachtungen, die fast wie Randbemerkungen wirken, die nicht zu einem wirklich kohärenten Ganzen zusammenkommen.

So hatte ich vor allem den Eindruck, dass die Spielrepublik Deutschland aus einer großen Zahl an kleinen Gruppierungen zu bestehen scheint. Manche mögen sich ihrer gegenseitigen Existenz bewusst sein, aber Gemeinsamkeiten scheinen sie nur wenige zu besitzen.

Erinnerungen für Social Media gehören auch dazu

Das große Paradoxon von Spielrepublik Deutschland ist, dass obwohl die 90 Minuten nah an den Personen und Persönlichkeiten zu stehen scheint, die Eindrücke weitesgehend oberflächlich bleiben. Man ist dabei, aber nicht mittendrin. Man hört Persönlichkeiten über sich selbst sprechen. Manche sind darin sogar sehr gut und zeigen mit klaren Worten, dass sie sich und auch ihr Schaffen durchaus verstehen und einordnen können. Umso deutlicher vermisst man eine solche Einordnung und Kontextualisierung des Gesagten und Gesehenen durch den Film selbst. Als Spieler*innen sind wir natürlich gewillt den Sprechenden Glauben zu schenken. Aber ich hatte gehofft, dass der dokumentierende Blick von außen zumindest auch einen anderen Blickwinkel in die Thematik gebracht hätte.

So kann schnell der Eindruck entstehen, dass die Bewohner der Spielrepublik Deutschlands Teil einer Parallelgesellschaft sind. Manche haben sich aus ihrem Dentallabor verabschiedet, um ein Stück weit die Welt zu verändern. Andere tüfteln, basteln und erfinden für sich und treten nur zu besonderen Anlässen einer gewählten Öffentlichkeit gegenüber.

Aber alles das sind nur Deutungen und Interpretationen, die beim Versuch entstehen aus der Flut an Eindrücken einen Sinnzusammenhang zu erkennen. Denn es ist schwer genau zu greifen was Spielrepublik Deutschland eigentlich ist, sagt oder will. Einige Zuschauer haben sich online darüber gefreut sich „berieseln zu lassen“. Andere freuten endlich „Gesichter zu sehen“, von Menschen die für viele vergnügliche Spielstunden am eigenen Tisch verantwortlich waren. Das sei diesen zufriedengestellten Zuschauern auch ungenommen. Nur wäre für diese Ziele auch ein TikTok oder YouTube-Video absolut ausreichend gewesen. Dafür wäre ein Dokumentarfilm, der im Gespräch war in die Kinos zu kommen, nicht nötig gewesen.

Wer hier eine gewisse Enttäuschung bei mir herausliest, liegt sicherlich nicht falsch. Denn von technischer Seite gesehen, ist hier wenig zu beanstanden. Aber der Zugriff auf Archivmaterial als auch zu mittlerweile verstorbenen Koryphäen, hat in mir die Hoffnung auf mehr Substanz geweckt. Statt die Spielrepublik Deutschland lediglich abzufilmen und zur Anschauung zu präsentieren, war hier die Gelegenheit das moderne Brettspiel und seine Szene als vielseitiges und auch spannendes Sujet zu etablieren.

Dass meine milde, individuelle Enttäuschung nicht dem Tenor des Großteils der Zuschauer*innen entspricht, hat aber vielleicht auch mit dem wirklich großartigen Finale zu tun. Hier begleiten wir einige der im Laufe der Doku gesehenen Gesichter auf die Spiel in Essen. Hier treffen nicht nur manche Persönlichkeiten erstmals in diesem Dokumentarfilm aufeinander, man kann auch einen Moment lang erahnen wie viel Begeisterung und Emotionen mit Spielen in Verbindung steht. Man kann beinahe erahnen, dass hier eine Internationalität und eine Größenordnung erreicht wird, die bis dahin lediglich von einzelnen Sprechern benannt wurde. Das Ende der Doku deutet aber darauf hin, wie viel in diesem Thema noch schlummert.

An diesem Punkt scheint sogar etwas wie eine Positionierung in der Doku aufzutreten, wenn die große internationale Gemeinschaft der Spielemesse mit den persönlichen Lebensläufen der Machenden gegenübergestellt wird. Man merkt, dass aus den kleinen Basteleien am Küchentisch oder den handgefertigen Prototypen irgendwann käuflich erwerbbare Artefakte entstehen, welche einen Sog und eine emotionale Wucht für Menschen entfalten können, die kaum in Worte zu fassen ist.

Spielrepublik Deutschland endet an dem Punkt an dem ich mir wünschte, dass man angefangen hätte. Sowohl Ton als auch Rahmen werden in den letzten Minuten so großartig gesetzt, dass ich mich einer Begeisterung auf mehr nicht erwehren kann. Was löst diese Leidenschaft aus, welche auf der Spielemesse so zelebriert wird? Was ist es, dass diese breite Masse an Menschen zu vereinen weiß und sie so lange an diese Beschäftigung bindet? Was ist der Zugang dazu? Wer sind die Menschen, die sich hier heimisch fühlen?

Das ist die Doku auf die ich nach dem Ende der Spielrepublik Deutschland warte. Das ist zumindest ein stattlicher Teilerfolg.

Georgios Panagiotidis
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