In irgendeiner vergangenen Redebedarffolge erzählte Georgios, dass er vor kurzem nacheinander Agricola und The pursuit of happiness gespielt hat und er meinte, er mag Agricola nicht so, weil man da hinten rum optimieren muss. Er spiele lieber Pursuit of Happines, weil man sich da eher am Thema orientiert und man einfach das erwirbt, was man „thematisch“ haben möchte. Leider sahen seine Mitspielenden das genau anders herum, was ihn etwas ratlos zurückließ. Ich kann das gut nachvollziehen, mir geht es oft bei Spielen mit (vermeidlich) negativen Spieleementen ähnlich, die andere Leute manchmal deutlich anders wahrnehmen als ich. Es ist immer schade, wenn Spiele, die man echt gern spielt, von anderen „falsch“ gespielt werden…
Beim beschriebenen Fall Agricola/Pursuit of Happiness kann man prinzipiell zwei Herangehensweisen beobachten: Den narrativen Ansatz und den Punkteoptimieransatz. Bei letzteren wird das Thema völlig ausgeblendet und es geht nur darum, die Punkteausbeute zu maximieren. Bei ersterem geht es dagegen darum sich von den Punkten überhaupt nicht leiten zu lassen, sondern nur von dem, was man gerne machen würde, wäre das Spiel Realität oder zumindest eine gute Geschichte. Wie immer liegt auch hier die Wahrheit irgendwo in der Mitte – die meisten Leute werden ihr Spielverhalten irgendwo zwischen den beiden Extremen anordnen, zum Teil auch abhängig vom präsentiertem Spiel. Die Unterschiede sind dabei aber groß genug um Diskussionen aufkommen zu lassen, ob die Hunger-Strategie bei Stone Age jetzt besonders unthematisch ist und deshalb das Spiel kaputt macht oder wie ethisch es ist bei Supremacy den Atomkrieg anzufangen, weil man nicht mehr gewinnen kann und es so wenigstens auch niemand anderes mehr tut. Oder eben ob man bei Agricola oder bei Pursuit am Ende eher Punkte oder seinen Lebenstraum optimiert.
Das Spiel (bzw. die Spieleschaffenden dahinter) können eine gewisse Richtung mit den Regeln und dem Setting vorgeben, sie können versuchen den Spielenden mitzuteilen, was sie für den „richtigen“ Ansatz halten – so gehe ich davon aus, dass der Atomkrieg eher eine Drohung denn ein Werkzeug darstellen sollte – doch die schlichte Wahrheit ist, dass die Spielenden sich ihre Interpretation und ihr Spielerlebnis selbst schaffen. Oder klarer formuliert: Es gibt im objektiven Sinne kein „richtig“ oder „falsch“. Die Spielenden konstruieren ihr Spielerlebnis, auch wenn sie es auf dem Regelwerk und Setting eines Spieles tun.
Diese Freiheit schafft Konflikte, wenn unterschiedliche Anschauungen aufeinandertreffen, wenn die eine Interpretation mit einer anderen kollidiert und dafür sorgt, dass der Spaß für Teile der Gruppe gemindert wird. Tatsächlich kann selbst die eigene Interpretation, wie ein Spiel gespielt werden „will“, den eigenen Spaß mindern: Wer jedes Drafting ganz automatisch zum Hate-Drafting umfunktioniert, Hate-Drafting aber ablehnt, wer gegen dem eigenen Impuls Punkte optimiert oder ohne Not oberriskante Spielzüge macht, weil das Spiel das angeblich verlangt, nimmt sich selbst einen Teil des Spaßes – und gibt dem seelenlosen Spiel die Schuld dafür.
Ich würde gerne diesen Blogpost mit einem weisen Ratschlag auflösen, wie man das alles umgehen kann, aber leider gibt es da keine Lösung. Die Freiheit, dass Spielende ein Spiel für sich interpretatieren bringt es zwangsläufig mit sich, dass sie es auch auf eine Art und Weise interpretieren, die ihrem eigene Spaß oder dem der Gruppe zuwiederläuft. Diese Gefahr steigt mit der Anzahl an Freiheitsgraden, die ein Spiel mit sich bringt, je restriktiver ein Spiel, desto weniger kann es unterschiedlich gespielt werden, desto weniger ist spielspaßkontrapoduktes Verhalten die „Schuld“ der Spielenden Doch gerade die Freiheit eines Spieles, auf unterschiedliche Art und Weisen angegangen zu werden, macht einen Gutteil des Spielreizes aus (Hier Spiderman-zitat einfügen). Mit der Gefahr, ein Spiel auf den falschen Fuß zu erwischen, wird man leben müssen – was besser funktioniert, wenn man sich ab und an hinterfragt, ob man ein Spiel anders interpretiert & gespielt nicht mehr genießen könnte.
ciao
peer
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