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Community Feedback Loop

Eine der grundsätzlichen Versprechungen bei Crowdfunding á la Kickstarter ist das Einbinden der „Community“. Ein Verlag kann, so er denn gewillt ist, auf das enorme kollektive Wissen seiner Fans zurückgreifen. Ja mehr noch, hier können die zukünftigen Käufer gezielt bedient werden, sie bekommen das was sie wollen. Ist das nicht toll?

Natürlich, erst einmal ist das Einbeziehen der Community eine gute Sache. Hundert Augen sehen mehr als vier und tatsächlich können Regelunklarheiten oder falsche Graphiken vermieden werden. Impulse aus der Community können zudem durchaus fruchtbar sein, gerade auch was z.B. Ideen für Abenteuer oder Szenarien oder Karteneffekte betrifft. Als vielleicht erstes Spiel wurde die Regel der Urausgabe von Fiese Freunde, fette Feten mit Hilfe der Community, vor allem des Spielboxforums erstellt und das Ergebnis spricht für sich: Irgendwie wurde die Regel gar nicht so wirklich gelobt und musste für die zweite Ausgabe verbessert werden.

Moment, Was?

Das Geheimnis ist „Sample Bias“: Die Gruppe an Personen, die freiwillig an den Formulierungen einer Spielregel feilen, ist nur ein Teil der Zielgruppe des Spieles und zwar ein Bestandteil mit ganz bestimmten Gemeinsamkeiten und Vorlieben und Fähigkeiten. Diese Vorlieben finden sich dann zum Beispiel in der Art wieder, wie die Spielanleitung aufgebaut ist. In der Regel (haha) bedeutet das: Ein großes Augenmerk auf wasserdichten Formulierungen (deswegen arbeitet man ja freiwillig an einer Spielregel) zuungunsten eines besseren Einstiegs. Ein typisches Beispiel ist das neue Frosthaven, dessen Regelwerk sehr viel Augenmerk darauf legt, Grenzfälle klarzustellen. Als mögliche Alternative wäre es gewesen, die Unterschiede zu Gloomhaven herauszustellen und auf der anderen Seite eine Einstiegsregel anzubieten. Auf eine derartige Alternative kommt eine Community aber nicht, weil der Bedarf hierfür innerhalb der Community fehlt.

Die Community überträgt aber nicht nur ihren Bedarf auf das Spiel, sondern auch ihre Fähigkeiten. Ein Beispiel sind die Graphiken der Hexfelder der 18xx-Spiele. Die sind lange Zeit absolut sakrosankt gewesen, weil sich die Kernzielgruppe der 18xx-Spielenden sich so an die schnelle Wahrnehmung der Hexfelder gewöhnt hat (vor allem auch an die Farbgebung, aber auch das schnelle Wahrnehmen von Weichen vs. Überführungen etc.), dass alle anderen Versuche, diese Plättchen zu gestalten lautstark abgelehnt wurden. Zumindest unbewusst sollte da ein erlernte Skill nicht verloren gehen – es ist ja nicht so, dass Francis Tresham in seinem ersten 18xx (1829) gleich eine objektiv perfekte Darstellung gefunden hätte, so wie es tatsächlich in einschlägigen Foren dargestellt wird.

Natürlich kann man argumentieren, dass die Zielgruppe ja das Spiel durchaus an sich anpassen kann, denn die ist ja, nunja, eben die Zielgruppe, also die Gruppe, die das Spiel anschließen kauft und spielt. Soll sie es doch so anpassen, wie sie will! Doch das Argument übersieht, dass -selbst wenn der aktive Teil repräsentativ für die ganze Zielgruppe wäre (was bereits eine sehr gewagte These ist)- ein neues Spiel immer auch neue Leute anziehen muss, da sonst die Zielgruppe mit jedem Spiel schrumpft – Nicht alle, die Gloomhaven gekauft haben, werden sich Frosthaven kaufen. Nicht alle die Frosthaven haben werden sich Moonhaven kaufen…. Daher müssen immer auch neue Leute angesprochen werden, die auch bedient werden wollen.

Die große Gefahr dabei ist, dass das Feedback und die Umsetzung in Fan Service umschlägt, eine enge Mitarbeit mit der Community macht es den Spieleschaffenden schwer die Wünsche der Community nicht zu berücksichtigen. Das ist aber absolut notwendig, denn die Community hat kein kohärentes Ziel für das Produkt; ein Nachfolger sollte z.B. gleichzeitig neuartig und altbekannt sein. „Gut“ halt, besser noch „Großartig“. Das ist aber nicht sehr konkret. Der letzte Star Wars – Film von JJ Abrahams hat deutlich gezeigt, dass die Umsetzung laut geäußerter Forderungen aus Internet-Foren alleine keinen guten Film ergeben; ein gutes, kreatives Werk (ob Film oder Spiel) lebt von Überraschungen und  auch  unpopulären Entscheidungen, die aber emotionale Bindungen erzeugen. Die kommen aber gerade nicht aus der Community der Personen, die keine Änderungen an „ihren“ Spiele zulässt. Da spielt dann auch schnell Entitlement eine Rolle, das wahrgenommene Recht, dass der Künstler gefälligst alle Wünsche zu erfüllen hat. Dieses Entitlement schlägt dann in Wut um, wenn Wünsche dann nicht umgesetzt werden. Das ist dann der Fluch der guten Tat.

Lässt sich das Problem als Spieleschaffender umgehen, ohne auf die Community gänzlich zu verzichten? Sicher, aber die Impulse an die Community müssen klar sein und es muss klar kommuniziert werden, wer die Verantwortung hat und die endgültigen Entscheidungen trifft. Ein Regelheft sollte z.B. nicht einfach nur verbessert werden, sondern „einsteigerfreundlicher werden“ oder nach Fehlern durchsucht werden, nicht nach unklaren Formulierungen. Es sollte klar gemaht werden, ob Anregungen aus der Community erwünscht sind oder nicht. Will man öffentlich mit einer Gruppe zusammenarbeiten, müssen Entscheidungen transparant gemacht und begründet werden. Hat z.T. ein kleiner Teil der Frosthaven-Community gebeten das Spiel Frosthaven auch ohne App spielbar zu machen, wäre es möglich gewesen, dies mit der Begründung für die hohen produktionskosten für Material, dass nur (wie ich vermute) ein kleiner Kundenkreis nutzt, abzulehnen oder entsprechende Erweiterungen anzubieten. Das wäre vielleicht hitzig diskutiert, aber angenommen worden. Natürlich macht dieser Ansatz mehr Arbeit als eine normale Redaktionsarbeit, bei nicht garantierten Gewinn für das Werk. Man muss eben wissen, auf was man sich einlässt – und dass es einen nicht unbedingt gedankt wird, wenn man die Community einschaltet.

Das alles klingt sehr negativ. Ich muss gestehen, dass ich die Idee der Community-Einbindung tatsächlich eher kritisch sehe, gerade weil die Distanz zwischen Schaffendem und Rezipienten fehlt. Ich arbeite natürlich in dem Sinne mit meiner Zielgruppe zusammen, als dass ich Testpersonen auf meine Prototypen loslasse – aber gerade daher weiß ich, dass eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Spieleschaffenden ist, Feedback zu filtern und zu entscheiden, was man tatsächlich umsetzen möchte. Das sollte auch bei größeren Crowdprojekten nicht anders sein.

ciao

peer

Peer Sylvester
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