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Mach Fenster zu, ist kalt draußen!

Ich blätterte gerade in meinem Arctic Scavengers herum (ein Post-apokalpytisches Deckbauspiel über das Überleben im Eis und eines der ersten Deckbauspiele nach Dominion), als mir etwas auffiel. Hier eine kleine Liste aktueller Spiele mit postapokalyptischem Thema: (mit Hilfe unseres Discords zusammengestellt): Aftermath, Steamwatchers, Frostpunk, Last Aurora, D.E.I., Tribes of the Wind, Revive, The few and the cursed.

Aftermath und The few and the cursed haben defacto Fantasy-Settings (mysteriöses Verschwinden der Menschheit bzw. der Ozeane). Tribes of the Wind spielt nach einer ökologischen Katastrophe. Alle anderen -und Arctic Scavengers – spielen nach oder während einer großen globalen Eiszeit. Von Zombie-Apokalypsen abgesehen ist das „Frozen earth“ – Szenario in Spielen sehr präsent – was bei näherer Betrachtung interessant ist, denn es ist ein sehr unrealistisches Szenario. Wie ich wohl kaum ausführen muss, ist die Gefahr zum jetzigen Stand sehr viel größer, dass die Erde überhitzt, als dass es zu einer neuen Eiszeit kommt. Selbst wenn der Golfstrom erlahmen sollte, ist die Überhitzung der Athmosphäre der größere Effekt. Ein realistischeres  Endzeitszeanrio wäre daher eine große Wüste. Warum also Eiszeit?

Ein Grund könnte man in der Popkultur suchen, aber in Filmen oder SF-Büchern spielt das Frozen-Earth-Szenario praktisch keine Rolle. The day after tomorrow hat eine Erklärung versucht, warum die globale Erwärmung eine Eiszeit bewirkt, aber das war ein Emmerich-Film und nicht einmal der intelligenteste. Insofern muss es einen anderen Grund geben.

Ganz banal ist eine Eiszeit erst einmal greifbarer als extreme Hitze. Extreme Hitze als Gefahr wirkt trotz Sommerlicher Hitzwellen abstrakter. Nebenbei ist eine große Wüste auch tödlicher – Im ewigen Eis muss man sich vor Kälte schützen und ansonsten ist ein normales Überlebensszenario. Sich vor extremer Hitze zu schützen ist dagegen schwieriger. Das fängt mit der Kleidung an (nicht warm aber Sonnenschutz) und hört mit den Dingen wie Nahrung oder Wasser nicht auf – im ewigen Eis einer postapokalyptischen Welt kann man erst einmal alles in gefrorerenem Zustand finden und dann „unversehrt“ auftauen. Ähnliches gilt für die Landschaft und potentielle Spielelemente: Gebäude, Wasserflächen, Tiere, Maschinen… Alles kann man sich in irgendeiner Form im Eis vorstellen – prinzipiell sogar eine kleine Zivilisation – in der ewigen Wüste ist das überleben schwieriger, mögliche Elemente, die als „realistisch“ wahrgenommen werden sind deutlich weniger vorhanden (Ein Temperaturschnitt über 40 Grad macht eine dauerhafte Besiedelung sehr unwahrscheinlich und z.T. auch unmöglich). Daher ist es leichter den Spielenenden etwas zu bieten, mit dem sie etwas anfangen können. Die Eiszeit ist eben weniger tödlich und ein Leben dort (sei es als Alpha-Held oder in einer Gruppe Überlebenden) besser für uns vorstellbar.

Hinzu kommen die graphischen Elemente: Eine Schneelandschaft mag im wesentlichen weiß sein, eröffnet aber graphische Spielräume, gerade durch die Kontraste mit farbigem Flecken. Ein0e Wüste ist weniger interessant, Kontraste wären da eher schwarz und das ist einseitig (dennoch gibt es natürlich eine Menge Spiele mit Wüstenthema, aber eben keine Apokalyptischen).

In den 70er und 80er Jahren waren Wüsten übrigens eher in Apokalyptischen Spielen anzutreffen: Der Grund war, dass wir es dort mit postnuklearen Szenarien zu tun hatten, also Szenarien die nach einem dritten Weltkrieg spielten. Die Wüsten waren aber eher weiß wie Schnee…  Nach dem Ende des kalten Krieges war dieses Szenario schnell weniger interessant, es wurde als „veraltet“ angesehen. Hier waren die Wüsten aber eher durch Mutanten bevölkert und Radioaktivät stellte das Problem dar, nicht die Hitze. Was an der Themenwahl auffällt ist hier die politische Message: Einen Atomkrieg will niemand! Die Eiszeit-Szenarien vermeiden dagegen genau diese, denn der Klimawandel wird ja quasi umgedichtet. Gerade in den USA mag das politisch sicherer sein, aber dennoch halte ich dieses Vermeiden für fragwürdig. Geht man noch einen Schritt weiter nährt das Eiszeit-Szenario die Narrative eben jener Libertäre, dass angeblich in den 70er Jahren alle Wissenschaftler noch vor einer Eiszeit gewarnt hätten (Das waren immer Mindermeinungen, die allerdings eher aufgegriffen wurden. Die Mehrheit der Meterologen, die sich mit dem Klimawandel befassten, sind schond amals von einer Erwärmung ausgegangen, wenn auch nicht im heute bekanntem Ausmaße). Das ist sicherlich nicht in der Intention der Macher, aber nicht alle Narrativen sind in der Hand der Spieleschaffenden. So reizvoll das Eiszeitszenario auch aus optischer und mechanischer Sicht sein mag: Andere Szenarien sind potentiell interessanter und mutiger.

Die Frage aber bleibt: Warum überhaupt Postapolkalypse? Ich denke es ist der gleiche Grund, warum zur Zeit vermehrt Science Fiction-Spiele erscheinen: Wo es keine Staaten mehr gibt, muss man sich über Kolonialsmus keine Gedanken machen. Erobern und Bauen wird zur Sache des Überlebens, man zwingt niemanden zur Arbeit und man verdrängt niemanden. Keine Kultur wird ignoriert, keine Einheimischen vergessen. Die dargestellten Personen können beliebig divers gestaltet werden. Man beginnt mit einer leeren Spielfläche, die befüllt werden kann, ohne dass unangenehme Assoziationen geweckt werden. Ob erbitterter Kampf oder kooperativer Aufbau: Beides ist in diesem Szenario denkbar, je nachdem welche Zielgruppe man ansprechen möchte. Da die Leinwand weiß ist, gibt es keine Brüche zwischen dem was man thematisch erwartet und dem was man vorfindet. Die Postapokalypse ist so diffus wie das Mittelalter der Nuller Jahre…

ciao

peer

Peer Sylvester
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