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Spieleschachteln für die Masse?

Heute wieder einmal ein Gastbeitrag – wieder einmal von Florian. Danke für den Beitrag! – Anm. von peer

Dies ist ein Text über das, was vorne auf Spieleschachteln zu sehen ist. In einer Umfrage bekannten neulich 25% der Teilnehmerinnen, dass sie bei ihrem letzten Spontankauf durch das Cover zum Kauf angeregt wurden. Vielleicht ist es Zeit, sich darum etwas näher mit der Vorderseite von Spielen zu befassen.

Eines vorweg, ich weiß nicht, wie Cover für Brettspiele im Detail entstehen. Was ich aus meiner beruflichen Erfahrung weiß, ist wie Cover für PC- und Videospiele und Cover für Filme (DVDs, Blu-ray) zustande kommen. Ich vermute, dass es dabei einige Gemeinsamkeiten gibt und versuche aus diesem Erfahrungshintergrund hier ein paar Erkenntnisse über Brettspielcover zu gewinnen. Lest das Folgende also bitte mit diesem Vorbehalt.

Bild eines Rainer Knizia Spiels, wie es sich eine KI vorstellt

Verpackungen entstehen meistens aus der Zusammenarbeit von Produktmanagerinnen, Grafikerinnen, Illustratorinnen und dem hinzugefügten Einfluss von anderen Abteilungen und Fachkräften, wie zum Beispiel Vertriebspartner, Außendienstmitarbeiterinnen, Sales, anderen Marketingmitarbeiterinnen etc.

Selbst in kleinen Firmen, sind oft viele Personen an der Abstimmung über die Hauptgrafik, die Texte und den Titel eines Produktes beteiligt. Arbeitet man mit Partnern zusammen, kommen oft noch Richtlinien hinzu, wie deren Logos und Markengrundsätze verwendet werden sollen.

Manchmal widersprechen sich diese untereinander, so habe ich einmal an einem Spiel gearbeitet, bei dem Nintendo und die lizenzgebende Zeichentrickfilmfirma ihr Logo in der gleichen Ecke haben wollten oder an einem Sportspiel, bei dem mehrere Verbände darauf bestanden, dass ihr Logo jeweils das größte von allen Logos auf der Schachtel sein sollte.

Die wichtigste Einflussgröße ist aber, meiner Erfahrung nach, das Bauchgefühl und die Lautstärke einzelner der oben genannten Personen – respektive Stakeholder. In das Bauchgefühl fließt oft eine lange Berufserfahrung ein und in die Lautstärke, im Idealfall, auch die Seniorität und damit Erfahrung der Person. Oft aber spielt hier auch eine gewisse Willkür und Geschmacksfragen eine große Rolle.

Denn das größte Problem bei der Gestaltung ist, dass es nur wenige gesicherte Erkenntnisse gibt, was „funktioniert“ – also sich positiv auf die Verkaufszahlen auswirkt und was „nicht funktioniert“.

Sicher gelten können einige allgemeine Grundsätze, von denen es aber auch immer wieder Ausnahmen gibt:

  • Lange Sätze will und kann keiner verstehen – das gilt auch für Titel und Untertitel. „Catan“ ist ein guter Titel „Ohne Furcht und Adel“ schon relativ verkopft. Konsequent wurde letzteres dann zu „Citadels“.
  • Bestimmte Farben rufen bestimmte (kulturell geprägte) Assoziationen hervor. Auch unabhängig vom Produkt. Kräftiges Rot wirkt aggressiv, pastellige Farben eher lieblich und wenig konfrontativ etc.
  • Bestimmte Farben und Muster sind aber auch im jeweiligen Markt etabliert und senden dadurch bestimmte Signale: Bunt ist für Kinder, schwarz eher für Erwachsene, Pink für Mädchen (leider!) und Hellblau für kleine Marien-Figuren Jungs.
  • Texte sollten aktivieren und darum zum Beispiel im Imperativ geschrieben werden.
  • Substantivierungen werden schwer verstanden und sind zu vermeiden.
  • Schlüsselinformationen müssen sich vorne und hinten auf der Schachtel wiederfinden.
  • Namen von Personen müssen sehr bekannt sein, sonst haben die Kunden keine Ahnung von wem oder was die Rede ist. Bei Filmen wird allgemein davon abgeraten nur den Namen einer fiktiven Figur als Titel zu nehmen, es sei denn die Figur ist den Fans bereits bekannt. (‚Spiderman‘ geht, ‚Zafandar Schmidt‘ geht nicht)

Bei letzterem ist schon ein großer Unterschied von Filmen zu (Brett-)Spielen zu bemerken, da Spiele sehr oft mit mehr oder weniger erfundenen Namen daher kommen. (Azul, Catan, Andor).

Was es leider wenig gibt, da es zu teuer ist, sind gesicherte Erkenntnisse, was genau an einem Cover die Kunden angesprochen und was sie verwirrt oder abgestoßen hat. Punktuell wird immer mal wieder Marktforschung oder Zielgruppenforschung betrieben, systematische Erkenntnisse gibt es – auch bei Produkten mit sehr großen Budgets – sehr wenige. Dies führt dazu, dass gefühlte und echte Erfahrungen und Bauchgefühle eine derartig große Rolle im Prozess einnehmen.

Aus meiner Erfahrung wird – verkürzt dargestellt – das Cover einer Verpackung in einem Prozess gestaltet, der so oder so ähnlich abläuft:

Die Person, die für das Produkt verantwortlich ist, stimmt sich mit den anderen Beteiligten ab, was für dieses Produkt wichtig ist. Außerdem sammelt sie alles, was es „von außen“ schon an Anforderungen gibt. Also Logos von Partnern, Grafiken von Lizenzgebern, Altersfreigaben, Vorgaben zur Produktlinie, Feedback zu Vorgängerprodukten etc.
All das verpackt die Verantwortliche nun in ein ‚Briefing‘, also eine ausformulierte Arbeitsanweisung die beschreibt, was aufs Cover soll, manchmal mit Beispielen und Vorbildern angereichert. Dieses Briefing geht dann an Illustratorin und Grafikerin oder zuerst geht ein Briefing an die Illustratorin und dann geht die fertige Illustration mit dem Briefing für die Gesamtkomposition an die Grafikerin.

Und dann kommt der erste Entwurf zurück.

Manchmal wird auch zuerst nur die Illustration beauftragt und dann bastelt die Produktverantwortliche selbst ein Vorab- oder Mockupcover.

Im nächsten Schritt wird zum ersten Entwurf oder zum Mockup-Cover Feedback eingeholt. Das sind dann Runden, in denen sehr viele Meinungen eingebracht werden „hatten wir schon“, „hat noch nie so funktioniert“, „das sieht irgendwie altbacken aus“, „verstehen die Kunden nicht“, „geht das heller?“ usw. Aus diesem Gewitter an Eindrücken und Ansichten filtert die verantwortliche Person dann heraus, was davon an Grafikerin und Illustratorin zurückgespielt wird.

Und dann kommt der zweite Entwurf.

Je nach Budget und Deadlines kann dieser Prozess sich mehr oder weniger oft wiederholen. Meistens ist nach drei bis vier Durchgängen spätestens Schluss – es kann aber auch schon mal zehn Entwürfe geben und manchmal sind die Entwürfe sehr eng beieinander und manchmal wird nochmal alles über den Haufen geworfen und neu gemacht.

In vielen Unternehmen wird jetzt der fast finale Stand nochmal getestet, in dem er in Messe- / Presse-Unterlagen auftaucht oder wichtigen Einkäufern bzw. Großhändlern gezeigt wird. Sehr oft kommt hier noch Feedback, was in eine letzte Überarbeitungsrunde einfließt. Dieses Feedback ist oft besonders wertvoll, weil hier Menschen ihren Input geben, die auch die kommenden Konkurrenzprodukte kennen. Hier will man sich manchmal Trends anschließen oder aber explizit vom Wettbewerb abheben.

Und dann ist es fertig und den „freien Kräften des freien Marktes“ ausgeliefert.

Gesichert gilt: wenn das Produkt sich gut verkauft, gibt es sehr viele Meinungen, warum es funktioniert hat, aber wenn es sich schlecht verkauft, wird sehr oft die Verpackung verantwortlich gemacht, allerdings dann auch aus einer Vielzahl an Gründen (zu bunt, zu unbunt, zu leer, zu voll, zu altmodisch, zu neumodisch etc.).

Darum noch ein kurzer Blick darauf, was in letzter Zeit eigentlich so ‚funktioniert hat‘ im Brettspielmarkt:

Hier gibt es große Unterschiede in den einzelnen Vertriebs-Kanälen. Bei Müller an der Kasse verkaufen sich andere Spiele gut als bei Amazon oder in der Spieleoffensive. Generell gilt, je mehr andere Produkte ein Laden anbietet, umso massentauglicher sind die Spiele, die sich dort gut verkaufen. Bei Drogeriemärkten werden andere Spiele verkauft, als im Buchhandel, als bei reinen Spielehändlern und auch bei letzteren gibt es große Unterschiede zwischen online und offline.

Bild eines Spielers, von KI erdacht

Ich habe leider keinen Zugriff auf echte Verkaufszahlen, aber für den gesamten Spielwaren-Markt (also auch Spielzeug), gibt die NPD Group an, dass sich Lizenzen immer größerer Beliebtheit erfreuen. Insbesondere Star Wars, Jurassic World, Minecraft, Batman und Harry Potter.

https://www.bvspielwaren.de/Am-Kind-wird-zuletzt-gespart-Comeback-der-station%C3%A4ren-Gesch%C3%A4fte

Bemerkenswert ist auch, dass viele Kunden offensichtlich sehr stark auf den Preis reagieren. So ist bei einem Online-Spieleversand das Kennerspiel des Jahres 2015 „Broom Service“ wieder ganz oben in den Charts, da es dort gerade sehr günstig angeboten wird. Dort finden sich ansonsten auch vornehmlich Spiele mit kleinerem Preispunkt wie „Scout“, „Cabo“, „Hanabi“ oder „Werwölfe“.

Laut Zeit.de waren die meistverkauften Familienspiele 2021: „Monoplopy“, „Jenga“, „Micro Macro“, „Pictures“, „Rummikub“, „Die Siedler von Catan“, „Scrabble“, und auf Platz 8-10 „Exit“

Schaut man auf die Händler, die sich nicht an die reinen Spiele-Hobbyisten wenden, so sieht man hier auf den ersten Blick: je massentauglicher, desto heller.

Bei Müller und Hugendubel rangieren helle Schachteln wie bei „What do you meme?“, „Pictures“, „Micro Macro“, „Just One“ oder „Qwirkle“ ganz weit oben.

Ähnlich wie die romantische Komödie fast immer in helle Verpackungen gesteckt wird, wird auch das „Partyspiel“ gerne mit weißem oder hellem Hintergrund verkauft. Hier entsteht also eine Wechselwirkung von dem, was der Markt anbietet und was dann die Kunden wiederum erwarten. Einzig „Codenames“ möchte die Ausnahme von dieser Regel sein.

Bei den Händlern, die auch Blumen, Kosmetik, Bücher, Kalender und Co anbieten, haben etablierte Marken einen besonders guten Stand. Hier sind „Das Spiel des Lebens“, „Das verrückte Labyrinth“ und auch „Monopoly“ noch immer ganz weit oben. Es bewahrheitet sich, dass nur das gut verkauft, was auch gut vertrieben wird. Wenn in jeder Kleinstadt „Monopoly“ vorne im Laden steht, dann wird es auch gekauft.

Einen ähnlichen Effekt hatte die starke Präsenz von „Skyjo“ bei Amazon und inzwischen auch bei Thalia. Hier hat der Verlag sehr gezielt sein Spiel auf diesen Kanälen gefördert und fährt damit einen großen Erfolg ein, der an den Hobby-Spielern vielleicht vorbei geht.

Eine weitere Besonderheit bei Massenmarkt-Spielen ist, dass hier sehr oft das Spielmaterial vorne auf der Schachtel abgebildet wird. „Jenga“, „Rummicub“, „Phase 10“, „Qwirkle“, „Dog“ oder “Qwixx“ zeigen ganz klar, was in der Schachtel steckt – hier sind keine Illustrationen, sondern konkret Spielkarten und Spielsteine das Hauptmotiv. Auch bei den meisten Monopoly-Ausgaben ist vornehmlich das Spielbrett abgebildet.

Eine Variante dieser konkreten Anschaulichkeit ist es, das Spielprinzip in vereinfachter Form direkt vorne auf der Schachtel zu zeigen. Verbal macht es „Das verrückte Labyrinth“ mit dem Claim „Wer schiebt der hat’s“, graphisch und mit Worten zeigt „Das Spiel des Lebens“ uns mit „Drehe, um zu gewinnen“ die berühmte Spindel, die hier als Würfelersatz dient. Auch „Halli Galli“ zeigt uns eine Hand über der Glocke und dazu die Spielkarten und „Activity“ symbolisiert mit Piktogrammen die Spielhandlung.

Hierzu findet man bei Schmidt Spiele folgendes: „auch der entsprechende Spielmechanismus, [sollte] bereits mit dem Spielcover erkenntlich sein – das betont Bastian Herfurth, Head of Product Management bei Schmidt Spiele. Er sagt: „Bereits das Cover transportiert eine gewisse Erwartungshaltung an das Spiel. Wenn es also um ein schnelles Kinderaktionsspiel geht, muss auch eine gewisse Dynamik auf das Cover übertragen werden.

https://www.schmidtspiele.de/details-93/wie-illustrationen-und-grafiken-das-brettspiel-pr%C3%A4gen.html

Ausgerechnet „Kniffel“ aus dem Hause Schmidt fällt aus der Zeit und zeigt uns ein Foto von einem Pärchen, das aussieht, als wäre es mit Waffengewalt zum Lächeln gezwungen worden. Aber bei einem so bekannten Spiel ist vermutlich egal, was vorne drauf zu sehen ist und sogar hier wird das Spielprinzip fotografisch demonstriert. Jedoch bin ich nicht sicher, ob der Mann auf dem Cover den Bleistift wirklich zum Punkte notieren verwendet oder ob er damit die Damen neben sich in einer Variante der „Hunger Games“ attackieren möchte. Ich hoffe, es geht den beiden gut und sie müssen kein „Kniffel“ mehr spielen.

Schaut man auf die Händler, die vornehmlich an Vielspielerinnen verkaufen (z.B. Milan und Fantasy-Welt), dann sehen die Cover der Bestseller ganz anders aus. Hier dominieren düstere Farben und finstere Gestalten.

Ob „Gloomhaven“, „Blood Rage“, „Nemesis“, „Brass“ oder „Horseless Carriage” ein ideales Cover für Vielspielerinnen ist dunkel bis schwarz und wird allenfalls durch lodernde Flammen oder ein mythisches, rötliches Glühen aufgehellt. Weniger Farben scheint hier mehr. Vom Spielmaterial keine Spur und wenn hier Menschen zu sehen sind, schauen sie nach unten oder sinnierend in weite Ferne. Hier ist der Spaß noch Ernst! Einziger Lichtblick sind hier „Nemesis Lockdown“ und „Root“ die zwar auch in gedeckten Farben daherkommen, aber auf der ein oder anderen Schachtel noch niedliche Katzen, Hasen oder andere Tiere zeigen dürfen.

Was bildet nun die Brücke zwischen Party- und Gelegenheitsspielen auf der einen Seite und düster, komplexen Expertinnenspielen auf der anderen?
Ganz klar: Landschaftsmalereien mit und ohne Säugetier. Ob bei „Cascadia“, „Paleo“ oder „Der Kartograph“. Spiele die sich gleichermaßen gut bei Gelegenheits- und „Vielspielerinnen“ verkaufen, zeigen erstaunlich oft Landschaften.

Diese eher biederen und oft im Stil der Romantik gemalten Landschaften sind aber vielleicht auch eine Besonderheit des deutschen bzw. zentraleuropäischen Marktes. Weiter im Westen oder ganz weit im Osten, stehen Spiele mit deutlich zeitgemäßeren Grafikstilen im Geschäft. Als Beispiele seien „Paper Tales“ aus Frankreich (Illustration Christine Alcouffe)  oder „Mobile Markets“ vom russischen Illustrator Viktor Miller Gausa genannt.

Schmidt Spiele schreibt auf seiner Seite dazu:

„Auch im Ausland sind die „German Boardgames“ unter anderem aufgrund ihrer Grafik äußerst beliebt und heben sich von den Designs dort ansässiger Verlage ab. Dort beeinflussen andere Branchen die Gestaltung von Brettspielen mitunter stark. So greifen beispielsweise französische Verlage vermehrt auf animierte und plastisch wirkende Illustrationen zurück, die stark an die der Videospiele erinnern. „In Deutschland ist dieser Einfluss noch nicht zu erkennen“ betont Bastian Herfurth.“

https://www.schmidtspiele.de/details-93/wie-illustrationen-und-grafiken-das-brettspiel-pr%C3%A4gen.html

So weit mein kleiner Exkurs über Spieleschachteln. Von Logos und Auszeichnungen, die dann noch hinzugefügt werden, will ich hier nichts schreiben. Aber ich möchte gerne noch einen Kommentar anfügen von einem, der sich nun wirklich tiefgreifend mit der Materie auskennt und der weiß, ob das obenstehende nun völliger Unfug ist oder halbwegs der Realität entspricht.

Darum wird hier nächste Woche Matthias Nagy noch etwas zum Thema schreiben.

Und das nennen wir in der Filmbranche dann: Cliffhanger.

to be continued....

Florian

Peer Sylvester
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