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Die unsichtbare Kunst des Geschichten Erzählens

Wer mir auf Mastodon folgt, wird wissen, dass ich in den letzten Wochen immer wieder darüber schreibe, dass ich Descent – Legenden der Finsternis spiele. Im Vorfeld habe ich einige Kommentare über die Story des Spiels wahrgenommen, welche oft als zu wortlastig und auch vernachlässigbar bezeichnet wurde. Das Spiel – so es denn getrennt von der Story betrachtet wurde – schien aber durchaus zu gefallen. Diese Unterscheidung hat mich stutzig gemacht. Um die Gründe dafür zu erklären, muss ich etwas ausholen.

Marshal McLuhan wurde als kanadischer Kommunikationstheoretiker unter anderem für den Satz “The medium is the message.” bekannt. Ich will mir nicht anmaßen exakt zu benennen was er damit gemeint hat. Aber ich würde den Satz als Sprungbrett nutzen wollen, um eine verwandte Annahme festzuhalten: das Medium, in dem eine Geschichte stattfindet, prägt auch die wesentlichen Eigenschaften dieser Geschichte. Mit anderen Worten: je nachdem welches Medium wir nutzen, erkennen wir eine Geschichte an anderen Merkmalen.

Eine gesprochene Erzählung zeichnet sich durch andere Merkmale aus, als eine geschriebene. Wer gesehen hat wie ein paar flapsige Worte online schlagartig zum flamewar ausarten können, versteht schnell wie gesprochene Worte und geschriebene Texte sehr unterschiedlich kommunizieren. Wenn wir dann noch den Schritt zu bildlichen Erzählungen machen, haben wir noch mehr Merkmale an denen wir festmachen können wann, wie und was erzählt wird.

Die Erzählung eines Spiels fußt darauf, was wir (die Spieler*innen) innerhalb und als Teil des Spiels tun. Es sind unsere Entscheidungen und die Auswirkungen auf die Spielsituation, die hier im Mittelpunkt stehen.

In diesem Zusammenhang will ich kurz zwei Begriffe festhalten, um das Thema Geschichten im Spiel besser greifbar zu machen. Ich nehme hier nicht für mich in Anspruch diese Begriffe allgemeingültig zu definieren, sondern sie für den Rahmen dieses Artikels genauer zu fassen.

Diese sind Narrative und Plot.

Mit Narrative bezeichne ich die Art und Weise wie eine Geschichte in einem Medium dargelegt wird. Die Geschichte eines Buchs wie Dune wird als Film anders erzählt als in einem Buch. Die Chronologie mag sich unterscheiden, was im Text mit Worten umschrieben wird, kann man im Film einfach mit einem Blick sehen. Während jedoch das Innenleben der Figuren im Buch präzise in Worten wiedergegeben werden kann, muss sich der Film durch Inszenierung (Ton, Kamera, Schnitt, etc.) und Schauspielerei behelfen, um diese Dinge zu vermitteln.

Als Plot bezeichne ich hier die Reihe an Ereignissen und Einzelhandlungen, welche miteinander verkettet sind. Diese Verbindungen können oft Ursache und Wirkung sein: Ich vergesse meinen Kaffee unter der Kaffeemaschine, was dazu führt dass mein Kaffee kalt ist. Die Ereignisse eines Plots können aber auch unterschiedliche Ursachen haben und führen nur in Kombination zu etwas anderem. Beispiel: es regnet und der Bus kommt zu spät, darum sind meine Schuhe nass, wenn ich ins Büro komme und der gestern gewischte Boden sieht nun wieder dreckig aus. Der verspätete Bus hat nicht direkt einen dreckigen Boden zur Folge, aber er ist dennoch Teil des Plots.

Interessant ist nicht das, was in den Büchern steht

In einem Spiel entsteht der Plot meistens aus den Handlungen der Spieler*innen heraus. Wir spielen Karten, platzieren Marker, würfeln Würfel oder wählen Aktionen aus, etc. Aus unseren Entscheidungen und Handlungen heraus entwickelt sich der Plot des Spiels bis dieses sein Ende erreicht hat. Meistens machen wir von der im Spiel angelegten Metapher Gebrauch, um diese Aktionen etwas unterhaltsamer zu machen. Zum Beispiel „bauen wir eine Eisenbahnstrecke zwischen zwei US-amerikanischen Städten“, „reisen als Wissenschaftler um die Welt, um Kranke zu behandeln“ oder „werben als afghanische Stammesführer um die Gunst imperialer Mächte, um uns so selbst zu bereichern“. Alles das sind Metaphern, um unsere Spielhandlungen auszumalen, die sonst banal und alltäglich wirken. Statt Spielsteine auf einer Karte zu platzieren, verbinden wir Chicago mit Pittsburgh. Wir legen keine Karten ab und entfernen Würfel vom Spielbrett, sondern „reisen nach Santiago und behandeln die Infizierten dort“.

Das ist der unterhaltsame Teil des „magischen Zirkels“. Er ist der Teil, der unseren Spielspaß aufwertet, aber ist für das Spielen selbst nicht zwingend erforderlich. Es gibt eine Vielzahl an sogenannten Eurogames mit „austauschbarem Thema“, die zeigen, dass man ein Spiel auch dann spielen kann, wenn seine Metapher ungelenk, widersprüchlich oder einfach unangenehm ist.

Eine plastische, wohl-geformte und gut überlegte Metapher macht mehr Spaß und wird hoch-thematisch beschrieben. Aber sie bleibt im Kern auch nur das: eine Metapher. Je mehr wie von ihr ableiten wollen, umso stärker bewegen wir uns vom Plot des Spiels und damit auch von seiner Geschichte weg.

Denn die Geschichte eines Spiels ist eben nicht seine Metapher. Darum ist es auch nicht spannend oder interessant, wenn diese Metapher mit Hilfe von Texten weiter ausgeführt wird. Sich weiter in die unterschiedlichen Facetten der Metapher einzulesen, egal wie gut oder mitreißend es geschrieben sein mag, erzählt keine Geschichte. Es ist bestenfalls Exposition, d.h. das notwendige Hintergrundwissen aus dem wir schöpfen können, um unser Spielen interessanter zu machen.

Man stelle sich ein einfaches Spiel vor, in dem wir unsere Spielfiguren über das Spielbrett bewegen um Siegpunkt-Plättchen einzusammeln. Diese Beschreibung erfüllt zwar ihren Zweck, ist aber trocken und langweilig. Wenn wir unsere Figuren nun Archäologen nennen und die Siegpunkt-Plättchen als Relikte bezeichnen, ist das Ganze schon ein wenig ansprechender. Wir befinden uns wie Indiana Jones oder Lara Croft im Wettlauf um wertvolle Gegenstände. Wir können aber noch weiter ausholen. Jedes Relikt besitzt vielleicht eine konkrete Entstehungsgeschichte, die auf der Rückseite steht. Wenn unsere Figuren nebeneinander stehen, könnten wir vielleicht aus einem Dialogbuch vorlesen. In diesen Dialogen werden zusätzliche Inforationen über die Beziehung der Charakter untereinander offenbart.

Auch wenn diese Dialoge wie eine Geschichte anmuten, sind sie es im Rahmen eines Spiels aber gerade nicht. Es ist lediglich eine Fortführung der Metapher des Spiels. Es ist eine weitere Ausarbeitung des Themas. Der Plot des Spiels wird dadurch aber nicht vorangetrieben. Falls diese Dialoge, uns nicht dabei helfen weitere Siegpunkt-Plättchen zu sammeln, sind diese Sequenzen nur Stimmungsmomente. Falls wir das Ziel des Spiels und den Zweck des Designs nicht darin sehen die Beziehungen zwischen den Charakteren näher zu erkunden, haben die Dialoge die Funktion von Verzierungen und detaillierten Schnörkel. Sie dienen der Narrative des Spiels, ohne die Geschichte des Spiels zu sein.

Dabei können die vorgetragenen Dialoge eine starke emotionale Wirkung auf uns ausüben, auf Grund der Dinge, die dort angesprochen werden. Ein Austausch über eine anbahnende Freundschaft, Bedauern über verloren gegangene Nähe oder spitzzüngige Neckereien könnte uns bekannt vorkommen und so zu einer emotionale Bindung zu den Charakteren führen. Alles das sind Punkte mit denen das Spielerlebnis bereichert werden kann. Aber es stellt nicht die Geschichte des Spiels dar, auch wenn sie unser Spielerlebnis bereichert.

Unter diesem Gesichtspunkt bringt mich die Trennung zwischen Story und Spiel darum auch immer zum Stutzen. Ich verstehe, dass der Aufwand kritisiert wird mit dem die spielerische Metapher über die Grenzen der Nutzbarkeit ausgewalzt wird. Das wirkt auf mich wie die Art der Überproduktion, für die andere Spiele gerne kritisiert werden, wenn sie sich im Spielmaterial bemerkbar macht. Ähnlich wie sich zu viele, übergroße Miniaturen und unterschiedliche Plättchen oder Marker als störend erweisen, steht auch zu viel Metapher der Spielbarkeit im Weg.

Georgios Panagiotidis
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