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Wie werde ich Spielekritiker? III – Analyse

Im ersten Teil dieser Reihe habe ich darüber geschrieben, dass man als Kritiker*in in der Lage sein muss unterschiedliche Spielreize zu erkennen und einzuordnen. In Teil 2 ging es darum, dass man das Medium Spiel zumindest in seinen Grundzügen verstehen muss, damit man beurteilen kann was ein Spiel tatsächlich bewirkt. Heute will ich über die dritte Säule des kritischen Handwerks schreiben: die Analyse des Spiels.

Dabei muss ich hier gleich die Mehrdeutigkeit des Begriffs „Spiel“ in Angriff nehmen. Denn es geht mir hier nicht darum den Gegenstand, also das physische Objekt selbst zu analysieren. Es geht mir auch nicht darum über die Ideen und Konzepte zu sprechen, die im Spiel zum Einsatz kommen. Ich spreche hier also nicht darüber Regeln, Spielthema oder ähnliches genau aufzuschlüsseln. Eine gründliche Analyse dieser Punkte kann ohne Frage ansprechend sein und interessante Inhalte hervorbringen. Sie funktioniert in meinen Augen jedoch nicht als Kritik im ursprünglichen Sinne.

Stattdessen schreibe ich hier von der Analyse der Spielaktivität selbst. Wenn der Zweck eines Spiels darin besteht, gespielt zu werden; dann sollte die Kritik eben dieses Spielen erfassen und bewerten. Wenn man akzeptiert, dass das Spiel das ist was am Tisch passiert; dann folgt daraus auch, dass die Kritik sich diesem Geschehen widmen sollte. Darum muss man als Kritiker*in in der Lage sein, das erlebte Spiel möglichst umfänglich zu erfassen, zu verstehen und es zu bewerten.

Das ist es was Analyse im weitesten Sinne bedeutet: das Erfassen der einzelnen Elemente aus denen etwas besteht. Bei einem Spiel heißt das, als Kritiker*in nicht nur die groben Zusammenhänge zu sehen, sondern auch die feinen Zusammenspiele innerhalb der Spielaktivität zu bemerken. Vor allem muss man fein unterscheiden können was aus dem Spiel entsteht und was nicht.

Auf den ersten Blick mag das offensichtlich wirken, aber gerade in der Spielkritik warten hier die größten Herausforderungen. Denn Spielen bedeutet nicht nur ein Teilnehmer an einer gemeinsamen Aktivität zu sein, sondern auch Teilhaber dieser Aktivität zu sein. Wer wir sind beeinflusst und verändert die Art wie wir das Spiel gemeinsam erleben und empfinden.

Um ein besonders einfaches Beispiel zu wählen: es macht einen spürbaren Unterschied in der Beurteilung eines Spiels, wenn man die Partie gewonnen oder verloren hat. Zum einen verändert es den emotionalen Kontext in dem wir das Spiel wahrnehmen und erleben. Ein Spiel in dem jede unserer Entscheidungen zielführend und vorteilhaft war, beurteilen wir anders als ein Spiel in dem jede Entscheidung sich als falsch bzw. zu unserem Nachteil entpuppte. Entgegen dem Selbstbild vieler Spielender und Kritiker*innen färbt sich unser emotionales Erlebnis des Spiels deutlich auf unsere Beurteilung ab.

Es geht mir nicht darum zu sagen, dass wir uns alle von unseren Gefühlen blenden und in unserem Urteil steuern lassen. Mein Punkt ist, dass die kritische Analyse nicht in einer Umschreibung der eigenen Gefühlserfahrung besteht, sondern darin zu fragen warum man diese Gefühle beim Spielen hatte.

Die „schonungslose Ehrlichkeit“, die manche als Kernstück guter Kritik verstehen, hat wenn überhaupt dann nur hier eine Existenzberechtigung. Nachdem man die eigene Gefühlslage erfasst und benannt hat, muss man auch ehrlich beantworten, ob die Ursache dafür im Spiel liegt oder nicht. Immer wieder muss man sich hinterfragen, ob das eigene Urteil auf einer fairen Beurteilung des Spielablaufs beruht oder auf die eigene emotionale Befangenheit, die beim Spielen entstanden ist.

Natürlich ist es ein alter Witz, dass jedes Spiel gut ist so lange man es gewinnt. Aber die Frage wie zufällig, taktisch oder unausgewogen ein Spiel ist, wird deutlich davon beeinflusst wie gut gelaunt wir durch das Spiel kommen. Gerade jene, die sich für besonders unabhängig und unbefangen halten, laufen schnell Gefahr sich selbst nicht weiter zu hinterfragen und damit eher persönliche Stimmungsbilder zu verfassen, statt Kritiken.

Man kann den Kontext auch zu weit fassen

Wenn man diesen Punkt der strengen Selbstreflexion verinnerlicht hat, beginnt der etwas heiklere Teil der kritischen Auseinandersetzung mit einem Spielerlebnis. Man muss den gleichen Blick auch auf die Äußerungen werfen, die in der Nachbesprechung einer Spielrunde fallen. Die Meinungen und Einschätzungen der Mitspieler*innen sind ähnlich anfällig für eine derartige Befangenheit. Natürlich sind ihre Empfindungen und Wahrnehmungen über jeden Zweifel erhaben und in ihrer Gültigkeit unantastbar. Aber wenn es darum geht die Gründe für sie zu benennen, muss man als Kritiker*in genau unterscheiden. Es hilft hier natürlich die unterschiedlichen Spielreize im Kopf zu behalten (Teil I), oder die Funktionsweise von Spielen (Teil II) zu berücksichtigen.

Die Nachbesprechung innerhalb der Spielgruppe ist für Kritiker*innen ein unverzichtbares Werkzeug und Hilfsmittel. Aber sie folgt den gleichen Einschränkungen, die man auch der eigenen Einschätzung auflegt. Statt jede Regung und Äußerung für bare Münze zu nehmen, muss man hinterfragen und den Kontext miteinbeziehen in dem sie gemacht wurde. Man muss auch das Urteil der eigenen Spielrunde schonungslos ehrlich beurteilen und einordnen. Auch wenn das Erlebte exakt so ist, wie es beschrieben wird, so sind es die benannten Ursachen dafür nicht immer. Als Kritiker*in muss man hier klar trennen. (Am Rande: Designer kennen dieses Phänomen aus Testspielrunden in denen viele Vorschläge und Erklärungen in den Raum geworfen werden und man selbst beurteilen muss, was davon zielführend ist und was nicht.)

Die kritische Analyse beginnt bei der Feststellung des eigenen Spielerlebnis und den damit verbundenen Empfindungen. Sie hinterfragt und differenziert was daran durch das Spiel verursacht wurde und was andere Gründe hat. Gleiches gilt für die Erfahrungen der anderen Spieler*innen in der Nachbesprechung. Im Idealfall entsteht so ein möglichst gut nachvollziehbares und fundiertes Bild was das Spiel ausmacht und wie es wirkt.

Eine Kritik fußt auf einer solchen Analyse des Spielgeschehens und der Spielwirkung. Erst danach beginnt die Arbeit einer Bewertung des Erlebten. Ob ein Spiel gut oder schlecht gemacht ist; ob es für Spielfreude oder Frust sorgt oder ob es etwaige Zielsetzungen in der Praxis erfüllt oder nicht, beginnt immer mit einer sauberen Analyse dessen was am Spieltisch tatsächlich stattgefunden hat.

Georgios Panagiotidis
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