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Wie werde ich Spielekritiker? (I) – Grundlagenforschung

Wie jeder weiß, ist es recht einfach ein Spiel zu kritisieren. Man schimpft einfach mehr oder minder laut über die Dinge, die einem den Spaß daran verdorben haben. Ergänzend kann man noch die Dinge loben, die einem Spaß gemacht haben. Hat man das Spiel verloren, weil die Würfel nicht so fielen, wie man es gebraucht hat, dann ist das Spiel zu zufällig. Hat man es gewonnen, weil man richtig errechnet hat wie viele Ressourcen man einige Züge später braucht, um viele Siegpunkte zu holen, so ist das Spiel schön taktisch. Derartige Erlebnisberichte dienen vielen Menschen als Grundlage, um Kaufentscheidungen zu treffen.

Es reicht ein Spiel gespielt zu haben, um ein solches Urteil fällen zu können, es in die Kamera zu halten und wahlweise die Namen der Autor*innen falsch auszusprechen. Der Content ist schnell und problemlos produziert. Es gefällt was gefällt und über Geschmack kann man ja nicht streiten. Also muss man sich nicht weiter darüber austauschen, es sei denn um Zustimmung oder Nicht-Zustimmung des Publikums abzuholen.

An diesem Enthusiasmus am Spiel ist natürlich nichts auszusetzen. Zumal ja auch der Übergang von Fan-Content zu fundierter Kritik oft fließend ist. Dennoch denke ich, dass man zwischen leidenschaftlichen Hobbyisten und Kritikern unterscheiden kann. Gerade wenn man – aus welchen Gründen auch immer – den Schritt zum Kritiker machen will, hilft es sich über diese Unterschiede Gedanken zu machen. Was sind also die Stufen, die man als Spielekritiker*in erklimmen sollte?

Nimmt man Spaß als Grundlage für seine Spielkritik, so sollte man in der Lage sein, Spielspaß zu differenzieren. Es reicht nicht aus allein die eigenen Vorlieben zu kennen und zu benennen. Man muss auch verstehen welche Spaßquellen andere Menschen erkennen oder in einem Spiel suchen. Dabei geht es nicht darum an möglichst vielen Spielformen Gefallen zu finden. Auch mit einem sehr engen Spielgeschmack lassen sich fundierte und aussagekräftige Spielkritiken verfassen. Ausschlaggebend ist die Fähigkeit Spielgenres zu erkennen und einordnen zu können.

In Ermangelung eines besseren Begriffs will ich das ein Geschmacksprofil nennen. Jedoch nicht, weil es hier um individuelle Vorlieben (d.h. den persönlichen Geschmack) geht, sondern weil man sich die unterschiedlichen Spielarten und Spaßquellen ähnlich wie die Geschmacksausprägungen bei Speisen und Getränken selbst erarbeiten muss. So wie man seinen Gaumen bei Weinen, Kaffee oder auch internationaler Küche nur durch das wiederholte Probieren und Erfahrungen sammeln schärfen kann, muss man vergleichbares auch bei Spielen tun.

Ein Spielekritiker mit ausgeprägtem Geschmacksprofil

Man muss sich eigene Kategorien, Grenzen und Unterscheidungen erarbeiten, um erkennen und in Worte fassen zu können warum ein Spiel wie Dominion auf eine andere Art für Spaß sorgt als es etwa ein Spiel wie Der Wettlauf nach El Dorado macht. (Da mich noch niemand dafür bezahlen will eine taxonomische Abhandlung zu unterschiedlichen Spaßquellen im modernen Brettspiel zu verfassen, wird ein Standardwerk in diesem Bereich weiter auf sich warten lassen. Oder eben von anderen erbracht werden müssen.)

Ein weit gefächertes Wissen und Verständnis für die unterschiedlichen Aspekte, die ein Spiel reizvoll machen, liefert die Grundlage, um ein qualitatives Urteil zu einem Spiel zu fällen. Denn die wichtige Frage einer Kritik lautet nicht, ob das Spiel einem selbst gefällt, sondern welche Spielfacetten es zu bedienen weiß.

Wenn man unbedingt eine Grenze zwischen Kritikern und Influencern ziehen will (und ich weiß nicht ob eine solche Grenze sinnvoll ist), so lässt sich das hier tun. Legt man allein den Maßstab des eigenen Spielgeschmacks an, stellt man sich selbst in den Mittelpunkt der Kritik. Eine solche Kritik beleuchtet erst in zweiter Instanz den Wert und Reiz eines Spiels. Stattdessen ist die Person hier Maßstab und Orientierungshilfe in einem. Es ist eine bei Bedarf in Zahlen oder Gesten ausdrückbare Beurteilung, welche Kaufentscheidungen lenkt und den Geschmack des Publikums beeinflusst.

Die Alternative dazu lautet, das Spiel danach zu bewerten was es liefert. Dann geht es darum zu erkennen welches Spielerlebnis der Gruppe angeboten wird und in wie weit das Design dabei hilft genau dieses Spielerlebnis umzusetzen. Kann man diese Zuordnung machen, so lässt sich nachvollziehen welches Spielverhalten vorausgesetzt wird und damit auch wie sich das Beste aus dem holen lässt, was ein Spiel ermöglicht.

Kann oder will man eine solche Einschätzung nicht machen, so ist die einzige Erkenntnis die eine Kritik liefern kann, ob ein Spiel den eigenen Geschmack getroffen hat oder nicht. Auch das kann hilfreich sein, wenn das Publikum einen gut kennt. So hilft es mir zu hören ob bestimmte Leute in meinem Umfeld ein Spiel loben oder schlecht finden, da ich ihren Geschmack einschätzen kann. Wenn sie mir von ihren Spielerfahrungen berichten, dann verstehe ich nicht unbedingt besser was es mit dem Spiel auf sich hat. Ich kann mir jedoch eine Einschätzung erlauben, ob ich selbst an dem Spiel Freude haben werde oder nicht. Ähnliches gilt auch für das eigene Geschmacksprofil. Wenn ich Spaßquellen und Spielgenres unterscheiden und einschätzen kann, so eröffnet sich mir dadurch auch die Möglichkeit die Funktionsweise des Spiels in einer Kritik zu bewerten, statt nur darzulegen ob ich Spaß hatte oder nicht.

Viele (angehende, praktizierende oder unbewusste) Kritiker entwickeln ganz nebenher ein eigenes Geschmacksprofil. Wenn die Begeisterung für neue und andere Spiele immer größer wird und man sogar Gelegenheit hat ihr nachzukommen, ist das meist unvermeidlich. Allerdings werden die derart gesammelten Erfahrungen oft dadurch verzerrt, dass Spieldesign und Persönlichkeiten der Mitspieler*innen stark in einander greifen. Es ist nicht immer einfach eine neue Spielfacette zu erkennen, wenn man nicht mit Sicherheit sagen kann was durch die Spielgruppe und was durch das Design möglich gemacht wurde.

Mehr dazu im nächsten Teil dieser Reihe.

Georgios Panagiotidis
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