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Werkstattbericht 2020

Vorweg: Diesen Artikel habe ich bereits seit ein paar Wochen geplant und am vergangenen Montag geschrieben. Dies zur Erklärung, denn Angesichts der Lage in den USA mag man sich sonst wundern, warum ich weiter unten über Politik rede, ohne die Proteste in den USA zu erwähnen. Jetzt wo ich das Geleitwort schreibe, wird es vielleicht auch Stimmen geben, die mir das genaue Gegenteil vorwerfen, nämlich diesen Blog für Politische Aussagen zu nutzen, statt Escapismus zu betreiben. Das wiederrum ficht mich aber nicht an. Wer hier regelmäßig liest und hört weiß, dass ich meine politische Meinung nicht verstecke und ich sehe auch keinen Grund dafür. Ich bin eher der Meinung, dass man als sich öffentlich äußernde Person durchaus auch mal Stellung beziehen kann. Die Proteste in den USA mögen verstörend oder auch „weit weg“ sein, sie sind jedoch das Symptom einer zutiefst ungerechten, rassistischen Gesellschaft, regiert von einem kaputten System, bei der nur die reichsten regieren können. Ich befürchte die Proteste werden daran langfristig nichts ändern. Ich werde aber einen Teufel tun und sie ignorieren und ich hoffe, ich irre mich.


 

Es ist Ende Mai und ich ziehe hier den jährlichen Werkstattbericht etwas vor. Warum? Weil er diesmal als Triologie daherkommt! Genauer gesagt: In meinen nächsten beiden Beiträgen (sicherlich eingefasst von Beiträgen von Georgios und/oder Matthias) werde ich diesjährigen „Essen“ – Neuheiten Polynesia und Village Green vorstellen. Solche Vorstellungen müssen mit dem Verlag abgesprochen werden und mit denen habe ich „Juni“ vereinbart, also mehr kommt erst später. Natürlich hätte ich über etwas anderes schreiben können, aber die Spieleszene schleppt sich weiter durch die Corona-Zeit…

… und das ist schon ein ganz gutes Stichwort, denn natürlich hat die Krise auch Spuren an meiner Arbeit hinterlassen. Zu allererst ist eine globale Pandemie nicht gerade hilfreich, wenn man kreativ arbeiten möchte. Irgendwie ist der Kopf da mit anderen Dingen voll… Und das schließt auch die Umstellung von normalen auf virtiuellen Unterricht, Organisation des normalen Lebens und natürlich die Sorgen um Freunde und Familie mit ein. Der März und große Teile des Aprils fanden kreativ für mich nicht statt. Das andere Problem ist die Schwierigkeit, Prototypen zu testen, wenn man sich nicht zum testen treffen darf. Zwar gibt es die theoretische Möglichkeit über Tabletop Simulator zu testen, aber da muss ich micht auch erst reinfuchsen. Mal sehen- langfristig vielleicht eine Alternative, zumal es mir erlauben würde, auch mit meinen Freunden aus dem Ausland zu testen.

Insgesamt hat mich Corona aber auch in einer eher konstruktiven Phase erwischt: Nicht nur konnte ich bereits einen Vertrag für eine Veröffentlichung 2021 unterschreiben, ich war eigentlich auf dem Weg ein paar Projekte fertig zu stellen.

Ein Freund aus dem digitalem App-Bereich hat mich gefragt, ob ich nicht etwas für ihn hätte, da er auch gerne mal in den analogen Bereich hineinschnuppern würde. Ich gab ihn einen fertigen Prototypen – ein Euro über die präkolonistiche Zeit auf den Philippinen (der Proto begann als Kolonialspiel, aber da hatte ich immer thematische Bauchschmerzen mit. Als ich ein passendes Thema in der vorkolonialistischen Geschichte gefunden hatte, war ich erstunlich froh – zumal das Thema sogar noch besser passte!), er guckt sich den im Moment an (hat aber ähnliche Corona-Probleme wie ich), möchte aber auch etwas mit entwickeln. Also startete ich ein Projekt aus meiner „Ugly Capitalism-Serie“, wie ich sie nenne (ich hätte jetzt fast „intern nenne “ geschrieben, aber das geht dann wohl ein bisschen weit, mit meiner Selbstüberhöhung): Spiele sind oft politisch, geben dies aber nicht wirklich zu. Es überrascht bisweilen, wenn ein Spiel wie „Wir sind das Volk“ oder auch „Risiko“ als „unpolitisch“ bezeichnit wird. Ich weiß auch nicht warum ein Medium, dass sich als „Kulturgut“ begreift unbedingt „unpolitisch“ sein möchte. Das ist ein Wiederspruch in sich! Gerade Wirtschaftsspiele sind inhärent politisch, denn der Jagd nach dem Geld wird als etwas fraglos positives dargestellt, die bisweilen gnadenlose Konkurrenz, die im realen Leben ihre Opfer fordert, ebenso. Ich will gar nicht sagen, dass dies verwerflich ist – es ist aber eben gerade auch nicht „unpolitisch“. Ich habe mir daher schon seit einigen Jahren Gedanken gemacht, wie man in einem Spiel diese negativen Effekte etwas verdeutlichen könnte. Eines der Ergebnisse ist „The cost of Gold“ über den Abbau von Gold und die damit verbundenen negativen Effekte, die man als Spieler gnadenlos ignoriert und befeuert – man ist eben Hyperkapitalist. Ich habe mich für Gold entschieden, denn zum einen ist „Gold“ so ein schön universelles „Spielgut“, dass in unglaublich vielen Spielen vorkommt und zum anderen kennen zwar viele Leute „Blutdiamanten“, aber Gold gilt als vergleichsweise harmlos. Ich habe konkrete Ideen für mindestens zwei weitere Spiele dieser „Serie“, aber erst mal möchte ich dieses hier fertig bekommen. Ich schätze ich bin so bei 80%.

(Kleiner Einwurf: Zu meiner Freude hat Spielworx ein Spiel angekündigt, dass ebenso gut in die „Ugly Capitalism“ – Reihe passen würde und das heißt dann auch noch „The Cost“! Der Titel ist absolut Zufall – meiner stammt von einem National Geographic Artikel – aber ich bin sehr gespannt auf das Spiel! Auch wenn ich es erst spielen werde, wenn ich mit meinem Goldspiel fertig bin, um nicht versehentlich zu plagiieren).

Nebenbei habe ich an einem Partyspiel gearbeitet, dessen Entwicklung aber natürlich besonders unter den Beschränlungen leidet. Vor allem aber hatteich einen kleinen Durchbruch bei meinem kooperativen Zweipersonenspiel, bei dem man einen Friedensvertrag aufsetzen muss. Ich stehe erst am Anfang der Testphase und will daher nicht mehr schreiben. Erwähnen tue ich es nur, um eine anderes kleines Arbeitsgeheimnis Preis zu geben: Wenn eine Idee schnell umsetzbar ist, dann werfe ich sie manchmal dazwischen, obwohl ich eigentlich an anderen Dingen arbeite. Das ist bei einem weiteren Zweipersonenspiel der Fall, dass man als kleine Parodie auf die Brexit-Abstimmung verstehen könnte – oder auch auf eine abstrahierte Umsetzung, je nachdem. Hier bin ich tatsächlich schon fast fertig, nur ein paar weitere Testrunden fehlen mir noch, bevor ich auf Verlagstour gehen.

Eine positive Sache hat Corona aber auch gebracht: Ein Freund von mir hat eine IT-Firma und hat das Home Office genutzt um ein Quizspiel digital umzusetzen. Es muss noch ein bisschen an der Usability gearbeitet werden und vor allem läuft es im Moment noch Browserabhängig und es soll als App umgesetzt werden, aber es sieht gut aus, zumal er sehr interessiert es, tatsächlich zu vertreiben. Es wäre mein erstes digitales Spiel und werde natürlich ordentlich die Werbetrommel rühren, wenn es soweit ist. Ich spiele es sehr oft (analog) mit Schülern, da man es auch per Overhead oder Tafel spielen kann, wenn es einen Spielleiter (mich) gibt und die fragen eigebtlich immer, ob es das auch zu kaufen gibt. Eine analoge Umsetzung ist an hohen Kosten gescheitert, die bestimmte Mechanismen mit sich bringen – diese fallen aber komplett weg, wenn es einen Spielleiter (die App dann) gibt. Ihr dürft also gespannt sein :-)

Wer bis hier gelesen hat: Eine Neuheit wurde vom Februar auf den kommenden Spätsommer verschoben, nämlich die neue Edition von The king is dead. Die letzte Ausgabe ist ausverkauft und das Spiel ist wohl ein „Steady Seller“, also ein Spiel, dass sich nicht großartig verkauft (halt kein „Bestseller“), aber die Verkäufe dafür sehr konstant bleiben. Und das schon seit 5 Jahren, was eine recht lange Zeit darstellt. Insofern hat sich Osprey entschieden, eine neue Edition zu drucken. Was hat sich geändert? Die Graphik offensichtlich, wie man am Cover sieht. Was man nicht sieht: Das Format ist auch neu und (wenn ich mich nicht irre) wird das Spiel kein Buchformat sein. Osprey möchte seine Schachtelgrößen vereinheitlichen und für die neue Größe gibt es keine Buchformate mehr (zu teuer). Es gibt auch ein paar „Module“ mit neuen Regeln, die kombiniert werden können. Hier habe ich Input beigesteuert, war aber in erster Linie beratend tätig. Viele der Module wurden also „In-House“ entwickelt. Da Osprey ein gutes Entwicklungsteam hat, beunruhigt mich das nicht, außerden hatte ich ja als Berater auch meine Hand ein bisschen drauf. Ich freue mich natürlich, dass das Spiel weiterhin so gut ankommt :-)

ciao

peer

 

 

Peer Sylvester
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