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Lehrjahre dauern zu lange

Ein Spiel erklären bzw. neuen Spielern beibringen ist für die meisten Gruppen die Phase in der sich entscheidet, ob es noch mal auf den Tisch kommen wird oder nicht. Das liegt zum Einen daran, dass die Spielerklärung den Rahmen setzt in dem die erste Runde wahrgenommen wird. Eine orientierungslose, vage Erklärung macht aus einem Spiel wie L.A.M.A. schnell ein wirres, hochkomplexes Regelkonvolut, das man nur mit viel Spielerfahrung und Hartnäckigkeit begreifen kann. Während eine stringente und sorgfältig strukturierte Einführung selbst einem Koloss wie Twilight Imperium 4 sehr viel von seiner einschüchternden Komplexität nehmen kann.

Der Unterschied zwischen den Beiden liegt dabei nicht unbedingt in der Veranlagung und Motivation der Zuhörenden. Sicherlich hilft es wenn Schüler Dinge lernen wollen und bereits Vorwissen, oder eine gewisse Affinität zum Thema, mitbringen. Aber in einer kleinen Gruppe von drei bis vier Leuten, sollte ein Lehrer auch ohne diese Vorarbeit Inhalte effektiv vermitteln können.

Vorbereitung (oder Was erzähle ich eigentlich?)

Das ist der Punkt, den ich selbst am Häufigsten falsch mache. Wer sich nur unzureichend vorbereitet, wird unweigerlich eine langsame, häufig unterbrochene und ziellos wirkende Erklärung geben. Ich ertappe mich oft dabei, dass ich ein Spiel auf den Tisch packe und dann doch in der Anleitung nachlesen muss wie einzelne Regeln konkret formuliert sind. Oder wie ein Spiel einzelne Feinheiten handhabt. Einer Regelerklärung zuzuhören und sie zu verstehen, erfordert Konzentration. Wenn diese immer wieder aufgehoben wird, weil der Erklärende selbst noch was nachlesen muss, dann wirkt sich das sowohl auf das Spielverständnis als auch auf das Spielgefühl aus. Es wird – gerade in den ersten Spielrunden – ein sehr stockendes, von bereits beantworteten Fragen durchlöchertes Spielen nach sich ziehen. Der Ersteindruck ist dann unvermeidlich, dass es sich bei dem Spiel um eines mit einer holprigen Lernkurve handelt, welches nach den ersten paar Runden ganz flott läuft.

Wenn ich es irgendwie einrichten kann, lese ich mir Regeln im Vorfeld mehrmals durch und mache mir Gedanken wie ich bestimmte Kerninformationen gut zusammenfassen und erklären kann. Dazu gehört auch, dass ich mir ein klares Bild darüber mache, welche Regeln für den Spielfluß wichtig sind. Das heißt, welche Spielregeln selbst bei kleinster Fehlanwendung weitreichende Auswirkungen auf das Spielgefühl haben.

Ziel einer guten Vorbereitung ist nicht das reine Auswendiglernen sämtlicher Feinheiten und Sonderfälle, die sich im Spiel ergeben können, sondern ein unerschütterliches Verständnis des Spielkerns. Man muss jederzeit die Regeln erklären können mit denen das Spiel Ziele und Anreize liefert.

Ziele und Anreize (oder Warum machen wir das?)

Regelhilfe aus den Augen eines unerfahrenen Spielers

Menschen verfolgen mit ihrem Handeln konkrete Ziele und haben dafür auch ihre Gründe. Ob ihre Handlungen tatsächlich zum ausgewählten Ziel führen, klärt sich meist erst am Ende des Spiels. Unabhängig davon beurteilt man die einzelnen Aktionsmöglichkeiten danach, wie sehr sie einem helfen diese Ziele zu erreichen. Kann man seine Ziele nicht richtig zu fassen bekommen, so fehlt die Grundlage, um eine sinnvolle Entscheidung zu fällen. Wenn ich nicht weiß wohin ich reisen will, kann ich nur schwer entscheiden ob ich den Weg mit dem Fahrrad, im Zug oder zu Fuß antreten werde. Ein Ziel ist jedoch nicht allein als Siegbedingung zu verstehen. Spiele, die eine Erklärung benötigen, bieten immer Zwischenziele, die man erreichen muss, um sich für eine der Siegbedingungen zu qualifizieren. Das Spielverständnis wächst zu einem großen Teil daraus eben diese zu erkennen. Zu wissen, dass ich bei Catan 10 Punkte erreichen muss, um das Spiel zu gewinnen, hilft mir nicht zu verstehen welchen Zweck der Handel mit Ressourcen hat oder warum eine Straße zu bauen manchmal sinnvoller ist als eine Siedlung aufzuwerten. Wenn ich aber die Zwischenziele darlege, die mir helfen Punkte zu machen (z.B. längste Straße, Städte, etc.), so habe ich umgehend einen Maßstab an dem ich den Wert einzelner Aktionen messen kann.

Damit ich mich in einem Spiel zurecht finden kann, muss ich verstehen wie und warum einzelne Regeln miteinander verknüpft und verschachtelt sind. Damit das Spiel einen Sinn ergibt, muss ich die Absicht hinter den Regeln erkennen können. Eine gute Spielerklärung legt diese Dinge offen, damit Spieler fundierte und bewusste Entscheidungen fällen können. Ein Spiel zu verstehen, heißt nicht nur den Rundenablauf aufsagen zu können, sondern in der Lage zu sein zielgerichtet und vorsätzlich Entscheidungen fällen zu können.

Kontext und Veranschaulichung (oder Wie ergibt das einen Sinn?)

In den meisten Fällen sind diese Ziele und Zwischenziele sehr abstrakt gehalten. Es kann sich um Punkte auf einer Leiste handeln. Oder um das Verhältnis zwischen roten Spielsteinen und blauen Spielsteinen hinter dem eigenen Sichtschirm. Mit ausreichend Übung und Erfahrung ist dieser Abstraktionsgrad für Vielspieler keine Hürde mehr. Irgendwann sieht man nur noch die Abstraktionen auf dem Spielbrett. Ich stelle mir das meist wie das Finale aus Matrix vor, wenn Neo zum ersten Mal nur noch den Programmiercode um sich herum sieht und nicht mehr die fotorealistische Welt, in der er sich bewegt. Dieser Blick auf ein Spiel bringt einen Haufen anderer Probleme mit sich, die aus dem Akt des Spielens eine aufwändige Form des Wettrechnens machen.

Es gibt einige Spiele, die darauf angelegt sind, genau das zu verhindern. Gerade bei diesen Spielen, hat es sich für mich bewährt die Spielerklärung mit Hilfe des Hintergrundes zu veranschaulichen. Dabei reicht es selten hier lediglich die thematischen Begrifflichkeiten des Regelbuchs wiederzugeben, um das Spielmaterial zu benennen. Vielmehr achte ich darauf, dass die Aktionen nicht nur als reine Ursache-Wirkung-Ketten dargelegt werden, sondern bette diesen in den Spielhintergrund ein. Das hat zum einen zur Folge, dass das Thema als unverzichtbarer Bestandteil des Spielerlebnisses behandelt wird. Aber was viel wichtiger ist: die Informationsdichte der Regelerklärung wird so aufgelockert. In Kombination mit gelegentlicher Wiederholung bereits erklärter Regeln, kann der Kopf hier kurz aufatmen. Aus zwei gelben Würfeln wird ein brauner Würfel. Aus zwei Sack Weizen wird eine Ladung Brot. Eure Feldarbeiter bringen die Ernte des Tages ein und nach einem kurzen Schwätzchen geht das ganze in Richtung Mühle, wo der Müller mit dem Bäcker zusammen daraus Brot für eure Siedlung macht. Eine erzählerisch dargelegte Regel kann Spielern helfen, die das bereits gehörte noch kurz verarbeiten müssen. Aber sie kann Spieler auch stören, wenn sie bereit sind weitere Informationen aufzunehmen. Es hilft hier seine gesamte emotionale Intelligenz zum Tragen zu bringen.

Spiele, die abstrakter konzipiert sind und weniger Bezug zu ihrem Hintergrund einfordern, lassen sich gut erklären, in dem man veranschaulicht, wie sich eine Aktion auf andere Spieler auswirkt. Welche Informationen werden zum Beispiel indirekt preisgegeben, wenn man bei Hanabi genau eine Karte als Grün identifiziert? Was sagt es über die Kartenhand eines Spielers bei Die Crew aus, wenn dieser die Farbe des Stichs nicht bedient und stattdessen eine sehr hohe Karte abwirft? Diese Veranschaulichung an Hand des thematischen Hintergrundes oder der Spielinteraktionen erdet die ansonsten abstrakten Regelerklärungen in etwas Greifbarem. Sie gibt ihnen Substanz und damit dem Spielerlebnis eine gewisse Fülle.

Ich würde gerne behaupten, dass ich diese drei Punkte konsequent und fehlerfrei umsetze und darum jede meiner Spielerklärungen perfekt abläuft. Ich würde mir durchaus etwas drauf einbilden, wenn es so wäre. Oft ertappe ich mich dabei zu wenig Zeit in die Vorbereitung gelegt, manche Ziele nicht ausreichend klar aufgezeigt oder Regeln praktisch zusammenhangslos erwähnt zu haben. Ich kann aber meine erfolgreichen und misslungenen Regelerklärungen immer daran festmachen wie eng ich den drei erwähnten Prinzipien gefolgt bin.

Vielleicht kann der eine oder andere Leser damit auch etwas anfangen.

Georgios Panagiotidis
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