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Klischees töten Teil II – Mehr Gedanken über problematische Themen

Nicht alle Spiele sind hyper-thematisch und das ist in Ordnung. Es ist offensichtlich so, dass rein abstrakte Brettspiele (bei Kartenspielen mag das leicht anders sein) sich potentiell schlechter verkaufen als dieselben Spiele mit aufgestülptem Thema. Positiv formuliert könnte man sagen, dadurch steht der Mechanismus mehr im Vordergrund und es gibt vielleicht eine Mehrheit unter den Vielspielern, die das so bevorzugt (was da Ursache und was Wirkung ist lässt sich schwer beurteilen). Das Thema wirkt als narrativer Anker und hilft zu verstehen, um was es geht. Ist das Thema ein bekanntes Klischeethema, hilft es dem Spieler sich sofort zurechtzufinden: Ein Gangsterspiel wird eher direkt konfrontativ ausgelegt sein als „Burgen bauen im Mittelalter“, bei einem Fantasy-Spiel wird man eher direkte Zweikämpfe und weniger wirtschaftliche Mechanismen sehen als bei einem Eisenbahnspiel usw. Das funktioniert, weil diese Themen an sich keine wirkliche Tiefe bieten, keine Simulationen sein wollen, sondern Schablonen. Dabei müssen die Schablonen nicht einmal annähernd der Realität entsprechend, sondern nur dem Bild dass die Öffentlichkeit von diesem Thema hat – so wie Karl Mays Indianerromantik kaum die Lebenswirklichkeit der Amerikanischen Ureinwohner wiedergespiegelt hat.

Problematisch wird das Ganze an der Stelle, wo diese Klischees lebende Menschen betreffen und deren Geschichte verzerren oder gar traumatische Ereignisse verharmlosen. Ein Beispiel ist der Kolonialismus, der auch heutzutage fast überall auf der Welt für Leid gesorgt hat (Ich schreibe dies übrigens am „Australia Day„). Tatsächlich wurde dieser lange Zeit von Europäischen Spieleautoren als weitere Schablone für ein Standard-Setting gesehen, nicht zuletzt weil wir weißen Europäer eben keine negativen Geschehnisse damit verbinden. Erst durch die Internationalisierung wurden die Stimmen aus den tatsächlich betroffenen Ländern deutlicher hörbar, die ihr Unverständnis darüber äußerten, dass ihr historisches Leid verharmlost wurde. Erst langsam – und da nehme ich mich nicht aus – setzte sich die Erkenntnis durch, dass Kolonialismus als Schablone nicht geeignet ist.

Noch kritischer sehe ich aber ein anderes Thema, dass ich hier anschneiden möchte: Psychische Störungen (Früher als „Geisteskrankheiten“ bezeichnet, im englischen „Mental Illness“). Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Krankheiten in Deutschland und haben ein ungemein breites Krankheitsbild. Selbst wenn man sich auf Gehirnkrankheiten bezieht, so wird praktisch jede/r Dreißigjährige schon einmal eine psychische Störung gehabt haben. Dennoch sind diese Krankheiten in der Gesellschaft besonders stigmatisiert – keine möchte als „wahnsinnig“ gesehen werden – und gleichzeitig werden sie -das andere Extrem –  nicht als „richtige“ Krankheiten anerkannt – „Nun stell dich mal nicht so an!“.

Dieses Bild wird durch die Schablonen in den Medien -inklusive der Brettspiele – verstärkt: Kommen Geisteskrankheiten in Brettspielen vor, so sind es fast ausnahmslos besonders extreme Fälle: Wortwörtlicher Wahnsinn, vorwiegend als voyeristisches Setting. In der harmloseren Variante sorgen die Psychosen einfach nur für besondere Boni: „Ha, ich esse Menschen, daher habe ich Stärke +2“. In der subtileren Version werden Handlungen einfach mit „Wahnsinnig“ begründet – Dabei funktionieren Psychosen im allgemeinen nicht so. Jemand mit einer größeren Psychose handelt i.A. nicht wahnsinnig, weil er nicht weiß, wie man sich behandeln müsste, sondern weil aus verschiedensten Gründen, sein Gehirn ihm eine andere Realität vorspielt. Ein subtiler Unterschied. Ein Beispiel ist tatsächlich Thanos: Seine Psychose gaukelt ihm vor, das Universum kann nur überleben, wenn er die Hälfte davon auslöscht. Alles andere folgt dieser falschen Grundüberzeugung. Gegenteilig der Bösewicht aus Broken Arrow der explizit sagt „Ja, ich bin wahnsinnig, ist das nicht geil?“ In Spielen ist mir nur ein Spiel bekannt, in dem Psychosen in diesem Aspekt korrekt umgesetzt wird: In Berge des Wahnsinns, werden die Spieler langsam wahnsinng, d.h. sie bekommen immer stärkere Psychosen – in Form von Karten, die ihnen Handlungen vorgeben, die sie vollziehen müssen. Die anderen Spieler wissen nicht, was genau die Psychose ist, warum die Spieler genau bestimmte Worte etwa vermeiden – man sieht die Wirkung aber nicht den Gedankengang. Ob das Spiel dadurch allerdings auch weniger verharmlosender wird, ist für mich schwer zu beantworten, positv sicherlich, dass hier keine verstörenden (oder gar böswilligen) Handlungen im Mittelpunkt stehen, sondern kleinere Behinderungen, mit denen man lernen kann umzugehen.

Das zweite Problem ist nämlich, dass nicht nur die psychischen Störungen stigmatisiert sind, sondern auch die Behandlung derselben: Spiele -wie auch die meisten anderen Medien) – sehen die Klinken als finstere Orte, als Irrenanstalten, die nicht nur voller Wahnsinniger sind, sondern auch voll mit sadistischen Wärtern und Ärzten, die einen nie wieder raus lassen (nicht zuletzt befeuert von wahren Fällen).  Als geistig gesund für „geisteskrank“ gehalten zu werden ist eine Urangst, die angesprochen wird – und das ist kritisch, denn es ist eben auch ein Faktor, der verhindert, das psychische Erkrankungen behandelt werden. Dieses Bild von Einrichtungen, die lieber nicht betreten werden sollten, muss schleunigst verschwinden, denn es verursacht tatsächlichen Schaden durch verspätete oder gänzlich ausbleibende Behandlungen (ich will nicht sagen, dass das Behandlungssystem in Deutschland tufte ist, aber es ist besser als keine Behandlung). Nun spielen die meisten Spiele in der düsteren Vergangenheit – mit dem Unterton, dass damals ja alles schlimmer war – aber zum einen nicht alle (Bei Escape Room Duo aus dem letzten Jahr etwa rettet man seine Freundin aus einer bedrohlichen Irrensanstalt – der Grund für die Einweisung und wie es nach der Rettung weitergehen soll, wird nicht weiter thematisiert), zum anderen werden die gefährlichen Sterotypen damit nicht konfrontiert, sondern relativiert. Die Irrenanstalt als Schablone ist eben latent gefährlich, auch wenn  „Natürlich ist das jetzt besser!“ mitschwingen soll. Der Vergleich der Schatzräuberei, die anscheinend „abenterlich“ war, wenn sie vor 100 Jahren spielt, aber in einem heutigen Setting natürlich nicht mehr PC genug ist, kommt mir in den Sinn. Matt Lees (Shut up & Sit Down)  hat in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, warum das Setting „Irrenhaus in den 20er Jahren“ in Ordung ist, „Gefängnis in den 20er Jahren“ aber nicht,  wo doch die Bedingungen vergleichbar wären und sich daher beide gleich gut als Setting eignen müssen. Die Antwort ist wohl, dass sich Gefängnisse weniger als Schablone eignen, weil man mittlerweile zu viel über sie weiß. „Irrenanstalten“ sind da jenseits der Schablone weiße Flecken. Ignoranz ist aber nie ein guter Grund, um ein Thema anzugehen – wie immer geilt auch hier das Credo „Sensible Themen brauchen einen sensiblen Umgang“.

Ein positiveres Beispiel zum Abschluss: In dem Rollenspiel Vampire gibt es die Malkavianer und die sie „verrückt“. Im ersten Quellenbuch wurden sie eben auch sehr klischeebelasted dargestellt. Sie waren in erster Linie „Comic Relieve“. Im zweiten Buch dagegen wurden subtilere Psychischen Störungen vorgeschlagen, eher in dem Bereich, wie oben beschrieben: Was sind die Überzeugungen und wie wirken sie nach außen – mit dem Effekt, dass man jetzt problemlos einen Malkavianer spielen kann, der nach außen hin gar nicht „verrückt“ wirkt. Natürlich ist bei einem Rollenspiel viel in den Händen der Spieler und ich gebe mir keinen Illusionen darüber hin, dass viele Spieler Malkavianer immer noch spielen, um Jack Nicholsons Joker zu kopieren – aber zumindest ein Anfang ist gemacht.

ciao

peer

Peer Sylvester
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