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Das Secret-Hitler- Problem

Secret Hitler ist ein Deduktionsspiel von den Machern von Cards against Humanity. So ziemlich alle Rezensionen über dieses Spiel beinhalten einen mehr oder minder großen Teil, bei dem der Rezensent rechtfertigen versucht, warum ist total OK ist, ein Spiel mit Hitlerthema zu spielen. Nicht immer ist dabei klar, ob der jeweilige Rezensent die Leser oder sich selbst zu überzeugen versucht. Aber klar: Bei dem Titel darf die Frage erlaubt sein: Warum? Marketing mit Triggereffekt? „Nein, nein“ heißt es dann sinngemäß, „bei dem Spiel geht es ja um die politische Umsetzung des Themas! Die Nazis versuchen Gesetze durchzudrücken und die anderen versuchen das zu verhindern. Dabei kann man viel über Machtstrukturen lernen und das hilft zu verhindern, dass die Nazis jemals wieder an die Macht kommen!“ – das ist auch, so in etwa, die Begründung des Verlages für das Thema. Und ich habe ein Problem damit.

In der Welt von Secret Hitler arbeiten die demokratischen zusammen um zu verhindern, dass die Faschos an die Macht gelangen. Leider weiß man nicht, wer, wer ist und so gelingt es den Nazis dennoch manchmal mit Lug und Trug ihre Gesetze durchzudrücken.

An diesem Bild ist so ziemlich alles falsch und die vermittelte Darstellung galt weder damals noch gilt sie heute. Hitler hat niemals versteckt, wer er ist. Die „neue Rechte“ versteckt nicht wer sie ist: Höcke darf „Faschist“ genannt werden, weil das Gericht festgestellt hat, dass die Bezeichnung eine objektive, beobachtbare Tatsachenbehauptung darstellt. Trump hat gesagt, er könnte jemanden auf offener Straße erschießen und niemand würde ihm was tun. Duterte hat bereits während seiner Präsidentschaftskampagne geprahlt, dass mehr Tode auf sein Konto gehen, als irgendjemand ahnen kann. Nein, man weiß sehr genau, welche Politik die rechten Populisten vertreten. Da versteckt niemand seine zweifelhafte Moral.

Gewählt wurde Hitler nicht trotz einer Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Kräften, sondern eher weil es diese gar nicht gab. Die Gründe für seine Wahl waren Wahltaktik (die Konservativen wollten eine Hand an der Macht haben), Lagerdenken (Die Konservativen wollten lieber einen extremen Rechten als einen Linken – selbst wenn es ein moderater Linker gewesen wäre) und der Glauben, dass man Hitler kontrollieren könnte und dass das Amt ihn moderater machen würde. Fast 1:1 sind diese Gründe mit der Wahl Trumps identisch, ähnliche Überlegungen führten zur Wahl Roland Schills als Vizebürgermeister Hamburgs und es ist bereits abzusehen, dass früher oder später die CDU mit ähnlichen Überlegungen mit der AfD zusammengehen wird (vermutlich im Osten) – die Erstarkung der AfD selbst lässt sich zumindest in Teilen auf wahltaktisches Lavieren der CDU (insbesondere in Sachsen) und der CSU (in Bayermn) während der Flüchtlingswelle zurückzuführen.

Wollte ein Spiel sich tatsächlich ernsthaft mit der Machtergreifung Hitlers und/oder dem Erstarken der Rechten befassen, müssten die Nazis mit offenen Karten spielen und versuchen die öffentliche Meinung so zu manipulieren, dass ihre Thesen plötzlich in die Mitte wandern. Die anderen Parteien wären untereinander verfeindet und würden nicht ohne weiteres zusammenarbeiten. Ein doch sehr anderes Spiel. Würde irgendjemand tatsächlich versuchen mit Hilfe von Secret Hitler die Strategien der Rechten zu entschlüsseln, so würde er völlig falsche Schlüsse ziehen – das wäre nicht nur kontraproduktiv, sondern fast schon gefährlich. Natürlich tut das niemand, es ist eben am Ende des Tages nur eine Entschuldigung.

Nun muss ein Spiel alles natürlich gar nicht mehr tun. Ich bin zwar der Meinung, dass ein sensibles Thema (wie die Machtergreifung Hitlers) auch sensibel umgesetzt werden sollte, aber die Meinung muss man nicht teilen. Es bleibt dann aber die Frage: Warum Hitler? Und die Antwort ist natürlich: Wie auch bei Cards against Humanity geht es Secret Hitler um den Tabubruch: Bei CaH um den Tabubruch im Rahmen des Spieles Dinge sagen zu können, die man sonst nicht sagen würde und bei Secret Hitler um den Tabubruch dem Bösen auf den Thron zu verhelfen. Zwar steht der Tabubruch bei Secret Hitler weniger im Rampenlicht als bei CaH aber es gibt ihn.

Nun muss nicht jeder ein Problem mit diesem Tabubruch haben. Aber Hitler ist ja nicht Voldemort: Es gab ihn wirklich und seine Politik hat echten Kummer und echtes Verderben gebracht. Auch wen das nicht persönlich betrifft, auch wen das nicht umtreibt, muss anerkennen, dass andere Menschen direkt oder indirekt betroffen sind und das deren Leid hier verharmlost wird. Das häufig implizierte „Wer das ernst nimmt, ist selbst schuld, ist ja nur ein Spiel“ verkennt nicht nur, dass Spiele auch Medien sind, die Themen und Inhalte transportieren, sondern eben auch dass andere Menschen nicht den Luxus haben, mit dem Thema keine persönliche Bindung zu haben.

In Montreal hat eine jüdische Organisation dafür gesorgt, dass eine Spielwarenkette Secret Hitler aus dem Sortiment genommen hat. Dieses Spiel nutzt Hitler als Verkaufsvehikel, dem kann man ambivalent gegenüberstehen. Man kann aber auch sagen: Wer Hitler nur einsetzt, um Leute zu triggern, um edgy zu sein, um Kritik auf sich zu ziehen, darf sich nicht wundern, wenn diese Kritik tatsächlich kommt – insbesondere wenn Leute getriggert werden, die direkt oder indirekt vom größtmöglichem Leid getroffen wurden. Das Deduktionsspiel hätte auch mit anderem Thema genauso funktioniert. Dass dieses andere Thema nicht genommen wurde, ist dem Verlag anzulasten.

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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