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Das goldene Kalb des Wiederspielwerts

In der Vorbereitung auf die Neuerscheinungen im Oktober habe ich mir eine Vielzahl an Rezensionen und Spielvorstellungen zu Gemüte geführt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche der dort angebotenen Spiele sich für mich lohnen könnten. Manches Lob wiederholte sich dabei oft von einem Spiel zum nächsten. So scheint ein geringes Zufallselement bei vielen Kritikern auf Gegenliebe zu stoßen, wird doch oft erwähnt wie man es durch taktisches Spiel umgehen kann. Gelegentlich wird auch gelobt, wenn ein Verlag statt der allgegenwärtigen Plastikminiaturen, eher auf klassische Holzspielsteine setzt.

Aber die lobenswerte Erwähnung, die mir am häufigsten im Gedächtnis blieb, war der Wiederspielwert eines Spiels. Wie oft kann man das Spiel auf den Tisch packen, bevor man es ausgespielt hat? Auf den ersten Blick ist dieses Argument auch nachvollziehbar. Schließlich will man ja etwas für sein Geld haben. Ein Spiel welches man immer wieder spielt, rentiert sich finanziell offensichtlich. Was für einen einen Sandwichtoaster oder Wäschetrockner gilt, kann ja für ein Spiel nicht falsch sein.

Aber das ist eine Sicht auf Spiele, die eher den Gebrauchsgegenstand sieht als das Kulturobjekt. Bei einem Film oder Buch leiten wir die Qualität ja auch nicht davon ab, ob wir lange genug brauchen um zum Ende zu kommen, damit sich die Investition gelohnt hat. Keine davon punkten damit, dass wir uns lange daran abarbeiten müssen. Stattdessen bewerten wir die emotionale Erfahrung, die das Filmschauen oder Buchlesen ausgelöst hat. Ich wage zu behaupten, dass ein Spiel auch wegen dieser emotionalen Erfahrung in Erinnerung bleibt und geschätzt wird.

Da sich aber die Überzeugung breit gemacht hat, dass man ein gutes Spiel auch am hohen Wiederspielwert erkennen kann, legen Autoren und Spieleentwickler Wert darauf, auch das zu liefern.

Mit nur wenigen Kniffen immer wieder zur Weltherrschaft

Ein häufiges Hilfsmittel mit dem man den Käufer von einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugen kann, ist variabler Spielaufbau oder Regelrahmen. So gibt es viele, die etwa Kingdom Builder von Donald X. Vaccarino für die hohe Varianz bei der abschließenden Punktewertung und dem modularen Spielplan loben. Hier gelten mal diese und mal jene Regeln, wenn es um Sonderaktionen geht, oder was durch Siegpunkte belohnt wird. Beim etwas weniger bekannten Nefarious greift er eine ähnliche Idee auf. In jedem Spiel werden zufällig zwei der insgesamt 50 Regelkarten eingebunden. Diese verändern den Spielablauf nur unwesentlich. Die Knobelei, die dem Spiel zu Grunde liegt, wird auf feinkörnige Weise verändert. Mal kostet eine Aktion etwas mehr, oder eine andere wird etwas ertragreicher.

Der Wiederspielwert dieser Spiele spricht vor allem die Neugier der Spieler an. Die nächste Spielrunde mag zwar zu fast 90% identisch sein, aber es sind die kleinen Abweichungen und Besonderheiten, die man erforschen will.

Ein Spiel kann aber auch völlig statisch bleiben und aufgrund seiner Komplexität ein wiederholtes Spielen einfordern. Wenn die einzelnen Regelkomponenten ausreichend miteinander verzahnt sind, kann es schwer sein die Zusammenhänge beim ersten, dritten oder sogar neunten Mal zu begreifen. Man arbeitet sich als Spieler daran ab, bis man zum ersehnten Aha-erlebnis gelangt. Statt von jeder Wendung im Spielverlauf aus der Bahn geworfen zu werden, sehnt man sich danach kompetent genug zu sein, um sich dem Auf und Ab des Spiels selbstsicher stellen zu können. Dies ist vor allem bei komplexen Strategiespielen zu erkennen. Aber auch stark asymmetrische Spiele wie z.B. Root, locken Spieler mit ihrer Undurchschaubarkeit.

Diese Spiele wecken nicht unbedingt die Neugier, sondern vielmehr den Ehrgeiz die Herausforderungen endlich zu meistern. So legt Root nahe es mindestens vier Mal zu spielen, damit man auch jede Fraktion im Spiel ausprobieren konnte. Aber am besten gleich acht Mal, um wirklich zu kapieren, was am Tisch passiert und wie man am Besten damit umgeht.

Die Kosten für dieses Motiv lassen sich nur schätzen

Wenn die Feinjustierungen durch Regelabwandlungen oder die Tiefe durch Komplexität das Spiel nicht wiederholt auf den Tisch bringen, kann man aber auch zu Modularität greifen. In diesem Fall wird das Spiel in Einzelteilen konzipiert, die man nach Lust und Laune kombinieren kann. In seiner reinsten Form findet man sich hier beim Trading Card Game (TCG), Collectible Card Game (CCG) oder auch Living Card Game (LCG) wieder. In regelmäßigen Abständen wird das Spiel hier durch neue Regelbausteine erweitert oder verändert. Neue Kartensätze führen neue Regelideen ein, oder kombinieren bereits bestehende Regeln auf spezifische Art und Weise neu miteinander. Es ist hier besonders beliebt das Verhältnis zwischen Vorteilen und Beschränkungen der Karte zu variieren, um leicht andere Kartenkombinationen im Kartensatz zu erlauben. Der Deckbau, der bei Spielen wie Android Netrunner einen wichtigen Bestandteil des Spielerlebnisses darstellt, lebt vor allem von seiner überwältigenden Anzahl an Veränderungsmöglichkeiten. Der bastelfreudige Spieler kann sich hier nach Belieben austoben.

In kleinerem Rahmen ist dies natürlich auch mit Erweiterungen möglich, welche selbst unterschiedliche Module anbieten, die man in das bekannte Grundspiel einbinden kann. Dabei kann so eine Erweiterung auch mal das Spielkonzept sogar tiefgreifend umkrempeln. So lässt sich die kooperative Spielform bei Pandemie mit Hilfe des Bio-Terroristen in ein kompetitives Spiel verwandeln. Aber auch die Umkehrung von kompetitiv zu kooperativ ist möglich, wie es Orléans zeigt. Diese Module versprechen ein spürbar anderes Spielerlebnis und sollen die Gruppe dazu bewegen das Spiel erneut zu spielen.

Dem einen oder anderen fällt vielleicht auf, dass diese Versuche den Wiederspielwert zu erhöhen vor allem darauf abzielen das Spiel reizvoller für die Gruppe zu machen. Es soll die Lust auf das Spiel erneut geweckt werden. Das macht solche Design- und Produktentscheidungen dann auch zu einer Art Glutamat des Brettspiels. Es ist weniger eine wichtige Zutat mit der das Spiel sättigender wird, sondern ein künstlicher Geschmacksverstärker, der das Erlebnis lediglich verlängert oder intensiver macht.

Das soll nicht heißen, dass ich einen hohen Wiederspielwert für etwas Schlechtes halte. Aber es scheint mir, dass wir hier zu schnell Ursache und Wirkung vertauschen. Es ist nicht der Wiederspielwert, der die Qualität des Spiels erhöht. Vielmehr ist es die hohe Qualität des Spiels, welche den Wiederspielreiz liefert, der uns immer wieder an den Tisch lockt.

So ist es mir zum Beispiel vor kurzem mit der spanischen Kartenspiel-Reihe Sherlock (im Vertrieb von Abacusspiele) ergangen. Es ist ein unscheinbar anmutendes Knobel- bzw. Deduktionsspiel, in dem jeder Kartensatz einen Kriminalfall erzählt. Dieser lässt sich genau ein Mal spielen bzw. lösen, bevor man das Spiel aufgebraucht hat. Die Spielerfahrung empfand ich als so spannend und erfüllend, dass ich nach der ersten Partie umgehend noch mehr spielen wollte. Die Spielidee ist so gut und elegant umgesetzt, dass ich sie wiederholt auf den Tisch bekommen will. Selbst wenn das nur mit neu gekauften Fällen möglich ist.

Die hohe Qualität des Spiels lässt sich daran erahnen, dass ich es wiederholt spielen will, nicht dass ich es wiederholt spielen kann.

Georgios Panagiotidis
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